Sexualität als Experiment? Körpertechniken zwischen Wissenschaft, Bioethik und Science Fiction

Sexualität als Experiment? Körpertechniken zwischen Wissenschaft, Bioethik und Science Fiction

Veranstalter
Dr. Nicolas Pethes Universität Bonn, Emmy-Noether-Forschungsgruppe Kulturgeschichte des Menschenversuchs Dr. Silke Schicktanz Universität Münster, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin
Veranstaltungsort
steht noch nicht fest
Ort
Bonn / Köln / Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2005 - 19.11.2005
Deadline
30.04.2005
Website
Von
Silke Schicktanz

Call for papers

Sexualität als Experiment?
Körpertechniken zwischen Wissenschaft, Bioethik und Science Fiction
Interner Experten-Workshop vom 17.-19.11. 2005

Im Rahmen eines interdisziplinären Experten-Workshops soll es um Sexualität und Fortpflanzung im Spannungsfeld (experimental)wissenschaftlicher, (bio)ethischer und (pop)kultureller Diskurse gehen. Vorrangiges Ziel ist der intensive Austausch und die Initiierung neuer Forschungsfragen und -netzwerke über Disziplinengrenzen hinweg.
Neue Trends auf dem Feld der Reproduktionsmedizin, ästhetischen Chirurgie und der Geschlechtsumwandlung sollen in einen kulturwissenschaftlichen Kontext gestellt werden, die die Bedeutung dieser Praktiken zwischen Biopolitik und Selbstentwurf, zwischen Expertenwissen und allgemeinem Menschenbild positioniert. Ausgangsthese der geplanten Tagung ist, dass die moralischen Implikationen und die kulturellen Bedeutungen der modernen Sexualwissenschaften nur in einer interdisziplinären Perspektive deutlich werden, die sich die historischen, wissenschaftstheoretischen, ethischen sowie pop- und medienkulturellen Diskurse und Darstellungsweisen gemeinsam vornimmt.

Zentrale Aspekte des Lebens wie Sexualität, Fortpflanzung, Geschlechtsidentität oder die Festlegung körperlicher Anlagen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorrangig Gegenstand gesesellschafts-politischer Diskurse im Rahmen einer menschenverachtenden Biopolitik waren, werden im 21. Jahrhundert eher als Mittel einer neuen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des Einzelnen betrachtet. Dabei dehnen die neuen „Anthropo- und Körpertechniken“, die ihre Wurzeln in der Medizin- und Biologiegeschichte haben, ihr Anwendungsfeld weit über eindeutige ‚Krankheitswerte’ und den legitimen Wunsch nach Therapie aus. Verhütung und Steigerung der sexuellen Lust (z.B. Viagra), Behandlung oder Herbeiführung von Sterilität, künstliche Zeugung durch In-Vitro-Fertilisation oder das noch hypothetische reproduktive Klonen sind vielmehr auch Themen eines öffentlichen Diskurses, der die Grenzen zwischen Dichotomien wie ‚Natur und Kultur’, ‚Mensch und Technik’ oder ‚Wissenschaft und Öffentlichkeit’ selbst zum Gegenstand der Diskussion werden lässt. Die modernen Biotechnologien und die an sie anschließenden Diskussionen über die Grenzen von Mensch, Leben und Natur werden aber auch zum Nährboden der Bildung moderner Zeugungs- und Fruchtbarkeitsmythen auf der einen Seite, apokalyptischer Horrorvisionen à la Brave New World auf der anderen. Von einem Experiment mit der Sexualität kann dabei in mehrfacher Hinsicht die Rede sein: Zum einen, insofern die moderne Reproduktionsmedizin ein theoretisches Know-how entwickelt, das bei seiner praktischen Anwendung immer ein ‚erstes Mal’ („Retortenbaby Luise Brown“, „Klonschaf Dolly“) mit ungewissem und unsicherem Ausgang kennt. Zum anderen illustriert ein experimentelles Verständnis der modernen Sexualwissenschaften die spezifische epistemologische Relation zwischen Wissenschaftler und „Patient“. ‚Patienten’ bzw. ‚Konsumenten’ scheinen neuerdings selbst experimentelle Therapie- und Eingriffsformen suchen, um der eigenen, individuellen Lebensgestaltung Ausdruck geben zu können. ‚Experimente’ sind hier an der Schnittstelle von Praxis, Selbstentwurf und Utopien zwischen neu zu sortierendem Verhältnis von ‚Laien’ und ‚Experten’ zu verorten und machen sie daher für ein besseres Verständnis der Interaktionen von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Kultur so interessant.

Folgende Referenten haben als Keynote-Speaker zugesagt:
REGINA AMNICH-QUINN (TÜBINGEN), JULIA DIETRICH (TÜBINGEN), STEFAN HIRSCHAUER (MÜNCHEN), ANNETTE KECK (MÜNCHEN), THOMAS LAQUEUR (BERKELEY), HANS-JÖRG RHEINBERGER (BERLIN), PHILIPP SARASIN (ZÜRICH), DEBORAH STEINBERG (WARWICK), MARTIN STINGELIN (BASEL), PRISCILLA WALD (DUKE), SIGRID WEIGEL (BERLIN)

Auf der Tagung sollen vor diesem Hintergrund folgende vier Themenfelder zur Sprache kommen:

A. Geschichte der Fortpflanzung und Sexualität und ihrer Erforschung
- Welche wissenschafts- und kulturhistorische Rolle spielt die Sexualität als Differenz- und Selbstbestimmungsdiskurs?
- Wie werden Sexualität und Reproduktion als identitätsstiftende Merkmale heute gesehen?
- Welche wissenschaftshistorischen und körpergeschichtlichen Entwicklungen in der Sexualmedizin sind für heutige Praxen der Körpertechniken besonders wirkmächtig?

B. Verantwortung und Selbstbestimmung zwischen Fremdkontrolle und Selbstentwurf
- Welche normative Rolle spielen sexuelle Identität und sexuelle Selbstbestimmung?
- Welche ethisch-philosophischen Vorstellungen sind mit dem Erleben von Lust, Leid und Liebe verbunden?
- Welche politische und öffentliche Relevanz hat Reproduktion und das Recht auf Reproduktion aus historischer und aktueller Sicht?
- Welche normativen Konsequenzen sind mit Ver- und Entkopplung von Sexualität und Reproduktion verbunden?

C. Popkulturelle Darstellungsversuche: Fakten, Fiktionen und Utopien
- Welche textsortenspezifischen Diskurs- und medialen Repräsentationsformen für experimentelle Praxen im Bereich der Sexualitäts- und Reproduktionsmedizin gibt es?
- Wie verhalten sich individuelle Erfahrung, Wissenschaftskommunikation und mediale-und kulturelle Darstellung zueinander?
- Wie verhalten sich politische Strategien, positive Utopien und apokalyptische Missbrauchsszenarien in den Medien, aber auch in Kunst und Literatur, zueinander?

D. Experimentelles Setting und epistemischer Zugang
- Wie ist das institutionelle und erkenntnistheoretische Setting in den Sexualwissenschaften zu beschreiben?
- Bestehen Zusammenhänge zwischen Reproduktionsmedizinische Labors und der Gesellschaft als Labor?
- Wie unterscheiden sich Therapie und Experiment in inhaltlichen und institutionellen Rahmenbedingungen?
- Welche Rolle spielen Expertentum, Unsicherheit und Erkenntnisinteresse?
- Wie interagieren Wissenschaftler, Betroffene und Öffentlichkeit; welche neuen Formen der Betroffenen- und Laienmitbestimmung lassen sich hier feststellen?

Nachwuchswissenschaftler und –Innen aus Philosophie und Ethik, Wissenschaftsforschung, den Kulturwissenschaften sowie der Wissenschaftsgeschichte sind herzlich eingeladen, sich mit einer ca. 20-minütigen einschlägigen Präsentation zu beteiligen.
Interessierte schicken bitte ein max. 2-seitiges Abstract sowie CV per Email bis zum 30. April 2005 an:
Silke.schicktanz@ukmuenster.de

Der genaue Tagungsort wird noch bekannt gegeben (Raum Köln-Bonn-Münster).
Weitere Informationen sind erhältlich bei den Veranstaltern:

Dr. Nicolas Pethes
Universität Bonn,
Emmy-Noether-Forschungsgruppe
Kulturgeschichte des Menschenversuchs
pethes@gmx.de

Dr. Silke Schicktanz
Universität Münster,
Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin
silke.schicktanz@ukmuenster.de

Die Organisatoren danken der Fritz-Thyssen-Stiftung für die finanzielle Unterstützung

Programm

Kontakt

Silke Schicktanz

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin

silke.schicktanz@ukmuenster.de