Internationale Beziehungen und „emotional regimes“. Neue Fragen an die Geschichte des Kalten Krieges

Internationale Beziehungen und „emotional regimes“. Neue Fragen an die Geschichte des Kalten Krieges

Veranstalter
Professor Dr. Hélène Miard-Delacroix (Paris) und Professor Dr. Andreas Wirsching (München); Historisches Kolleg in Kooperation mit der Max Weber Stiftung
Veranstaltungsort
Historisches Kolleg, Kaulbachstr. 15, 80539 München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2018 - 16.03.2018
Deadline
05.03.2018
Von
Jörn Retterath, Historisches Kolleg, Stiftung zur Förderung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des Historischen Kollegs

Kolloquium Professor Dr. Hélène Miard-Delacroix, Trägerin des Internationalen Forschungspreises der Max-Weber-Stiftung beim Historischen Kolleg

Die hier angezeigte Tagung steht im Schnittpunkt zweier jüngerer historiografischer Trends, deren mögliche konzeptionelle Verknüpfung geprüft werden soll. Zum einen wird in den letzten Jahren viel von einer Geschichte der Gefühle gesprochen, ja sogar von einem „emotional turn“ ist die Rede. Zum anderen sucht die Geschichte der Internationalen Beziehungen nach wie vor nach neuen Wegen, um sich methodisch von der klassischen Diplomatiegeschichte zu lösen. In Frankreich identifizierte Pierre Renouvin bekanntlich unter den „forces profondes“ neben wirtschaftlichen, geografischen und demografischen Kräften auch nationale Gefühle. Dennoch blieben entsprechende Forschungsansätze, die in anderen Bereichen der Geschichtswissenschaft Eingang gefunden haben, auf dem Feld der Internationalen Geschichte weitgehend unbeachtet.
Die Tagung soll thematisieren, inwieweit in der Geschichtswissenschaft zunehmend etablierte Kategorien wie die temporale Spannung von Erwartung und Erfahrung (Reinhart Koselleck) und (ggf.) Ernüchterung und Enttäuschung sowie insbesondere die Geschichte der Gefühle (Ute Frevert) für die Geschichte der Internationalen Beziehungen fruchtbar gemacht werden kann. Dabei lässt sich an konstruktivistische Theorien der Internationalen Beziehungen (Alexander Wendt) und postmoderne Ansätze (Thomas Diez) anknüpfen. Emotionsgeschichte soll nicht eingrenzend als Geschichte eines Gefühlsausdrucks verstanden werden; es geht nicht darum, ein „früheres Gefühlsleben wiederzugeben“ (Lucien Febvre), oder einen „seelischen Strukturzusammenhang“ (Wilhelm Dilthey) bzw. die „innere Motivation persönlicher Handlungen“ (Karl Lamprecht) zu erforschen. Angestrebt ist vielmehr, die Übertragbarkeit emotions- und kulturgeschichtlicher Erkenntnisse auf die Geschichte der Internationalen Beziehungen systematisch mittels empirischer Explorationen zu überprüfen. Der Begriff der emotional regimes (William Reddy) kann dabei leitmotivisch als Orientierung dienen.
Entsprechende methodische Grundsatzfragen sollen möglichst mit empirischen (Teil-)Ergeb-nissen verknüpft werden. Daher konzentriert sich diese Tagung auf ein relevantes Großthema, nämlich auf die Zeit des Kalten Krieges. Im Mittelpunkt soll im genannten Sinne die erkenntnisleitende Frage stehen, inwieweit die Geschichte der Internationalen Beziehungen während dieser Zeit als Erfahrungs- und Wahrnehmungsgeschichte begriffen werden kann, in der „weiche“ Faktoren wie subjektive Aspekte, Gefühle, Erwartungshorizonte etc. eine entscheidende Rolle spielten. Es ist vorgesehen, folgende Begriffsfelder in den Mittelpunkt der Reflexion zu stellen:
- Angst, Hass und Besorgnis
- Vertrauen und Misstrauen
- Begeisterung und Empörung
- Enttäuschung und Ernüchterung.
Weitere Sektionen beschäftigen sich mit:
- „Emotional regimes“ und der deutschen Politik
- NGOs/humanitärer Hilfe.
Die Einzelbeiträge beziehen sich empirisch auf alle einschlägigen Felder, so etwa auf individuelle oder kollektive Akteure der internationalen Politik oder auch NGOs, auf Medien wie auf fassbare Stimmungen in der Bevölkerung.

Programm

Mittwoch, 14. März 2018

ab 12:30 Ankunft und Imbiss im Historischen Kolleg

13:00–13:10 Martin Schulze Wessel (München): Begrüßung durch den Vorsitzenden des Kuratoriums des Historischen Kollegs

13:10–13:20 Begrüßung durch einen Vertreter der Max Weber Stiftung

Einführung und Perspektiven

13:20–13:50 Hélène Miard-Delacroix (Paris/München) und Andreas Wirsching (München): Einführung

13:50–14:20 Ute Frevert (Berlin): Die Gefühle der Staaten. Völkerrecht und politische Praxis in der Moderne (Keynote)
anschließend kurze Diskussion

Sektion 1: Angst, Hass und Besorgnis
Moderation/Kommentar: Krzysztof Ruchniewicz (Wrocław)

14:30–14:50 Birgit Aschmann (Berlin): Antikommunismus als motionales Regime und Gründungsnarrativ im Franquismus

14:50–15:10 Corine Defrance (Paris): Reaktionen und Emotionen in Frankreich während der Berlin-Krisen

15:10–15:40 Kaffeepause

15:40–16:00 Thomas Freiberger (Bonn): Emotionen als Faktor in der Suezkrise 1956

16:00–16:20 Jost Dülffer (Köln): Die doppelte Angst vor Atomkrieg und deutscher Unabhängigkeit: der NPT 1962–1969

16:20–17:20 Kommentar und Diskussion
19:00 Abendessen mit den Referentinnen und Referenten

Donnerstag, 15. März 2018

Sektion 2: Vertrauen und Misstrauen
Moderation/Kommentar: Reiner Marcowitz (Metz)

9:00–9:20 Jessica Gienow-Hecht (Berlin): Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Ein Blick in die US-außenpolitische Geschichte

9:20–9:40 Bernd Greiner (Hamburg): Vertrauen und Misstrauen als Ressource internationaler Politik – dargestellt am Beispiel der amerikanisch-sowjetischen Detente

9:40–10:00 Kristina Spohr (London): Vertrauen auf dem Gipfel. Das Ende des Kalten Krieges

10:00–11:00 Kommentar und Diskussion

11:00–11:30 Kaffeepause

Sektion 3: Begeisterung und Empörung
Moderation/Kommentar: Hermann Wentker (Berlin)

11:30–11:50 Joachim Scholtyseck (Bonn): „Unter der Fahne der heiligen Sache der Erlösung der Menschheit“: Dekolonisierung, Revolutionsbegeisterung und romantische Verklärungen der Neuen Linken

11:50–12:10 Magnus Brechtken (München): „Mad men“ und Napalm – Nutzen, Versuchungen und Grenzen des Blicks auf Emotional Regimes in der Wirkungsgeschichte des Vietnam-Krieges

12:10–12:30 Laurence Badel (Paris): „Ein Regime, das auf seine Jugend schießt, um zu überleben, hat keine Zukunft“ (François Mitterrand). Die französischen Reaktionen auf die Tienanmen-Ereignisse im Mai und Juni 1989

12:30–13:30 Kommentar und Diskussion

13:30–14:30 Mittagessen mit den Referentinnen und Referenten

Sektion 4: Enttäuschung und Ernüchterung
Moderation/Kommentar: Elke Seefried (München)

14:30–14:50 Bernhard Gotto (München): Enttäuschung als Beziehungsmarker und Bewertungskategorie in den Internationalen Beziehungen nach 1945

14:50–15:10 Martin Schulze Wessel (München): „Mit der Sowjetunion auf ewige Zeiten – aber keinen Tag länger!“ Emotionalisierung und Ernüchterung in den tschechoslowakisch-sowjetischen Beziehungen im Prager Frühling

15:10–15:30 Frank Bösch (Potsdam): Euphorie, Angst und Enttäuschung: Das sandinistische Nicaragua und das Ende des Kalten Krieges

15:30–16:30 Kommentar und Diskussion

16:30–17:00 Kaffeepause

Sektion 5: „Emotional regimes“ und die deutsche Politik
Moderation/Kommentar: Margit Szöllösi-Janze (München)

17:00–17:20 Hans Kundnani (Washington, D.C.): „Emotional regimes“ und die Außenpolitik der Bonner Republik

17:20–17:40 Andreas Rödder (Mainz): Geopolitik und Perzeptionen. Deutschlandbilder und internationale Politik im Zeitalter des Ost-West-
Konflikts

17:40–18:10 Philipp Gassert (Mannheim): „Vertrauen schaffen“: Emotionale Vergemeinschaftung als Ressource westdeutscher Außenpolitik im Kalten Krieg

18:10–19:10 Kommentar und Diskussion

anschließend Abendempfang im Historischen Kolleg

Freitag, 16. März 2018

Sektion 6: NGOs/humanitäre Hilfe
Moderation/Kommentar: Ulrich Pfeil (Metz)

9:00–9:20 Agnes von Bressensdorf (München): Humanitäre Hilfe aus emotionsgeschichtlicher Perspektive: Die Bundesrepublik Deutschland und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979

9:20–9:40 Johannes Paulmann (Mainz): Zwischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe: Westdeutsche Beziehungen zur „Dritten Welt“

9:40–10:00 Claudia Kemper (Hamburg): „Wir können und dürfen diesen Wahnsinn nicht mehr dulden, wenn unsere Erde überleben soll.“ NGOs als Emotionsagenturen internationaler Konflikte

10:00–11:00 Kommentar und Diskussion

11:00–11:30 Kaffeepause

11:30–13:00 Schlussdiskussion
Resümee und Moderation: Dominik Geppert (Bonn)

Kontakt

Jörn Retterath
Historisches Kolleg
Kaulbachstraße 15
80539 München
joern.retterath@historischeskolleg.de

http://www.historischeskolleg.de