Industriegeschichte «gerecht» ausstellen – wie geht das? Perspektiven einer geschlechter- und migrationshistorisch informierten Museumspraxis

Industriegeschichte «gerecht» ausstellen – wie geht das? Perspektiven einer geschlechter- und migrationshistorisch informierten Museumspraxis

Veranstalter
Historisches Museum Thurgau in Kooperation mit der Universität Bern
Veranstaltungsort
Ort
Frauenfeld
Land
Switzerland
Vom - Bis
13.09.2018 -
Deadline
16.02.2018
Website
Von
Sarah Probst, Historisches Institut, Universität Bern

Die geschichtswissenschaftlich und museologisch orientierte Tagung über die Ausstellungspraxis zur Industriegeschichte findet im Rahmen der Sonderausstellung «Schreck & Schraube. Weltindustrie im Thurgau» statt. Das Historische Museum Thurgau zeigt diese Ausstellung vom 23. März bis 21. Oktober 2018 im Alten Zeughaus Frauenfeld und ist Gastgeber der Tagung. Der Call for Papers richtet sich an Geschichtsforschende sowie an Kultur- und Museumsschaffende auf dem Gebiet der Industrialisierung.

Hintergrund
Historische Museen sind Gedächtnisorte, an denen sowohl individuelle und kollektive Erzählungen als auch unterschiedliche Repräsentationsbedürfnisse zusammenfinden. Eingebettet in gesamtgesellschaftliche Diskurse bestimmen sammlungspolitische Entscheide und Ausstellungskonzepte nicht selten kontrovers und immer wirkmächtig mit, welcher Personen und Gruppen auf welche Art und Weise erinnert wird und welche Themen in Erzähltraditionen eingeschrieben werden.
Seit den 1970er-Jahren sind Museen dafür kritisiert worden, dass Frauen, ethnische Minderheiten und marginalisierte soziale Schichten nicht eigenbestimmt repräsentiert sind und ihre spezifischen Erzählungen unberücksichtigt bleiben. 1 Zwar zeigen gerade Kunstmuseen immer wieder Bildergalerien von Frauen und ethnographische Museen beschäftigen sich mit sogenannt fremden Kulturen, doch perspektivieren viele Ausstellungen sowohl Frauen wie auch MigrantInnen auch heute noch als das vermeintlich Andere oder als Objekte. Dasselbe trifft auch auf gesellschaftlich Marginalisierte wie etwa gebrechliche alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen zu.
Die Erfahrungswelten und die damit einhergehenden Handlungsoptionen dieser heterogenen Bevölkerungsgruppen bleiben ausgeschlossen. Ebenso ihre Erinnerungen, die oft gegenläufige Narrative zu Meistererzählungen bilden.2 Dabei handelt es sich nicht einfach um ein erkenntnistheoretisches Problem, das darin besteht, die Stimmen und Geschichten dieser Gruppen sag- und erzählbar zu machen, sondern vielfach um mehr oder weniger bewusste Entscheide. Was für Parlamente und sämtliche öffentliche Räume gilt, trifft auch auf Museen zu: Repräsentationsfragen sind Machtfragen.

Ziele der Tagung
Die Tagung möchte die museumspolitisch kontroverse Frage einer gerechten Repräsentation von unterschiedlichen, meist marginalisierten Menschen, Gruppen und Themen am Beispiel der Industriegeschichte diskutieren. Die Industriegeschichte eignet sich für diesen Zweck besonders gut, weil sie noch immer häufig als objektbezogene Technik- und damit Fortschrittsgeschichte oder als Geschichte von klugen Erfindern und erfolgreichen Unternehmern unter Ausschluss von Frauen, ethnischen Minderheiten und marginalisierten soziale Schichten ausgestellt und erzählt wird. 3
Damit wird ein reduktionistisches, dafür meist recht lineares Geschichtsbild vermittelt, das zentrale Konflikte und Bruchlinien der Industriegeschichte übersieht, so zum Beispiel, dass Fabrikarbeiterinnen bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert eine enorme Doppelbelastung zu bewältigen hatten, dass Belegschaften nicht selten mit xenophobem Verhalten auf die Anstellung ausländischer Arbeitskräfte reagierten und bei weitem nicht alle Menschen an den industriell geschaffenen neuen Konsumwelten teilnehmen konnten.
Die Tagung setzt sich zum Ziel, Integrations- und Ausschlussmechanismen in Musealisierungsprozessen auf dreifache Art und Weise kritisch zu reflektieren.
Zum einen wird anhand von vergangenen und aktuellen Fallbeispielen eine museumshistorische und/oder museumswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik angestrebt. Besonders interessiert in diesem Zusammenhang die Ausstellungspraxis von Museen zum Themenbereich Industriegeschichte.
Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme soll zweitens die Rolle der Geschichts- und Sozialwissenschaften reflektiert werden, Museen mit minderheitengerecht(er)en wissenschaftlichen Erzählungen zu versorgen und AusstellungsmacherInnen und KuratorInnen zu informieren. Gerade die gender studies und die postcolonial studies halten ein reiches Angebot an theoretisch-konzeptionellen Vorschlägen und empirischen Ergebnissen bereit, die allerdings von Museen eher zögerlich nachgefragt werden.
Drittens schliesslich soll die museumspraktisch relevante Frage aufgegriffen werden, welche sammlungs- und personalpolitischen Entscheide für eine gerechte Industriegeschichte konstitutiv sind, was eine solche ausmacht und wie sie ausgestellt werden kann. Es sollen sowohl Konzepte, die andernorts bereits umgesetzt wurden, als auch Ideen für noch zu realisierende Ausstellungen vorgestellt werden.

Zielgruppe und Publikum
Neben Beiträgen von HistorikerInnen sowie von MuseumsvertreterInnen sind solche aus der Geschichtsdidaktik, aus der Sozial- und Kulturanthropologie, aus den Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaften aber auch aus anderen relevanten Disziplinen sehr willkommen. Zudem freuen wir uns speziell über Beiträge, die einen regionalen Fokus auf die Bodenseeregion, die Schweiz bzw. Ostschweiz oder den Kanton Thurgau richten. Inter- und transnationale Perspektiven sind ebenfalls erwünscht.

Die Tagung wird vom Historischen Museum Thurgau in Kooperation mit der Universität Bern ausgerichtet und findet am 13. September 2018 im Bildungszentrum Adler in Frauenfeld (Schweiz) statt.
Für die Referierenden werden die Kosten für die Reise und in bestimmten Fällen auch für die Unterkunft übernommen.

Interessierte senden bitte ein Abstract zum geplanten Beitrag (inkl. Bezugnahme auf eine der drei Zielsetzungen der Tagung; max. 1000 Wörter) und einen kurzen CV bis zum 16. Februar 2018 mit dem Betreff «Tagung Industriegeschichte» an historisches.museum@tg.ch.

Für weitere Informationen und bei Fragen wenden Sie sich an Sarah Probst (sarah.probst@hist.unibe.ch) oder Dr. Matthias Ruoss (matthias.ruoss@hist.unibe.ch)

------------------------------------------------------------------------
Historisches Museum Thurgau
Tagung Industriegeschichte
Schloss Frauenfeld
CH-8500 Frauenfeld
Schweiz
www.historisches-museum.tg.ch

-------------------------
1 Vgl. z.B. Joachim Baur, Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009; Roswita Muttenthaler/Regina Wonisch, Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006; Amy K. Levin (Hg.), Gender, Sexuality and Museums. A Routlege Reader, London/New York 2010.
2 Vgl. etwa das Londoner migration museum project; http://www.migrationmuseum.org/ sowie das Projekt Musée imaginaire des migrations; http://www.mimsuisse.ch/.
3 Regina Wonisch, Thomas Hübel (Hg.), Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen. Bielefeld 2012; Amma Döpfner, Frauen im Technikmuseum. Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen, Bielefeld 2016.

Programm

Kontakt

Sarah Probst

Länggassstrasse 49
3000 Bern

sarah.probst@hist.unibe.ch