Die Universität und das Politische. Professoren, Studierenden und Staatsbehörden in Europa (1848-1945)

Die Universität und das Politische. Professoren, Studierenden und Staatsbehörden in Europa (1848-1945)

Veranstalter
Institut franco-allemand/Sciences historiques et sociales (IFRA-SHS)
Veranstaltungsort
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.06.2018 - 08.06.2018
Deadline
15.01.2018
Website
Von
Antonin Dubois

Thema der Tagung

Vor einem Jahrhundert, am 7. November 1917, hielt Max Weber seine berühmte Münchner Konferenz über „Wissenschaft als Beruf“ vor einem vor allem aus Studierenden bestehenden Publikum. Der zwei Jahre später veröffentlichte Text, der aus dieser Konferenz entstanden ist, wird heute immer noch viel kommentiert und genau analysiert. Obwohl Weber hauptsächlich die deutsche Situation behandelt, die er in den ersten Seiten mit den Vereinigten Staaten von Amerika vergleicht, bezieht er allgemeine Fragestellungen mit ein, die auch auf andere Länder anwendbar sind, etwa zur akademischen Karriere, zur Prekarität des Privatdozentenstatus und zu antisemitischen Diskriminierungen an der Universität. Über die „wertfreie Wissenschaft“ hinaus denkt Weber in diesem Text die Verbindungen zwischen Universität und Politik, und fordert auch uns heute noch immer auf, diese Verbindungen ebenfalls zu berücksichtigen.
Die Tagung bietet die Gelegenheit das Verhältnis zwischen Universität und Politik für das Jahrhundert zwischen den 1848er-Revolutionen und dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu untersuchen. Die Erforschung der Akteure und ihrer Gruppen wird besonders betont. Es geht darum, die vielfältigen Verbindungen zwischen den (lehrenden, lernenden oder verwaltenden) Akteuren des akademischen Felds und diejenigen des politischen Felds im europäischen Raum zu reflektieren. 1 Eine zentrale Fragestellung für diese Tagung ist die Autonomie des akademischen Feldes, seiner Herausbildung und seiner möglichen Beschränkung gegenüber dem politischen Feld, in einer Periode, die durch die Ausdehnung der universitären Institutionen gekennzeichnet ist. Diese Ausdehnung spiegelt sich u. a. in der Gründung von neuen Disziplinen wider, die mit der Professionalisierung und der Spezialisierung der wissenschaftlichen und intellektuellen Berufe zusammenhängt, obwohl eine ungleiche Entwicklung und unterschiedliche Modalitäten in den verschiedenen europäischen Ländern festzustellen sind. 2 Die Integration dieser neuen Disziplinen und Berufe am universitären System, aber auch ihrer Instrumentalisierung durch die politische Macht werden ebenfalls untersucht.
Die Tagung richtet sich an junge Forscher und Forscherinnen aller Sozial- und Geisteswissenschaften, die aus einer historischen Perspektive arbeiten. Vergleichende, verflechtende und transfergeschichtliche Untersuchungen werden besonders berücksichtigt, seien sie zwischen verschiedenen europäischen Ländern oder innerhalb eines selben Staats, z. B. zwischen verschiedenen Universitätszentren geführt. 3 Drei Hauptthemen, die sich z. T. überschneiden, seien für die Diskussion vorgeschlagen:

1. Professoren und Studierende in der Politik
Von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts können vielfache Formen von aktiver Teilnahme der Professoren und Studierenden am politischen Leben erfasst werden: Vom revolutionären und bewaffneten Aufstand bis zum Engagement in einer politischen Partei, von Demonstrationen kürzerer Dauer zu lokalen oder nationalen Wahlkandidaturen. 4 Welche Formen des Engagements wurden bevorzugt? Welche wurden vermieden? Über die politischen Strategien besonders mobilisierter Individuen oder kleiner Gruppen hinaus, trugen oft Professoren und Studierenden (zusammen oder nicht) politische Forderungen und Ideale. Letztere konnten sie spezifisch als Mitglieder der „Akademikerschaft“ betreffen (Reform des Status oder der Studiengänge, finanzielle Fragen, Forderungen der Studierenden einer aktiveren Teilnahme am Universitätssystem oder ihre Lebensbedingungen, usw.) oder genereller als Bürger, die die politische Lage ihres Lands beunruhigte. Diese Forderungen und Ideale können oft genau erforscht werden, da sie als Adressen oder Petitionen formuliert und in Zeitungen oder als Broschüren veröffentlicht wurden. Begünstigten Perioden „politischer Krisen“ (welcher Natur sie auch waren) ein stärkeres politisches Engagement der Professoren und Studierenden? Ermöglichten im Gegenteil Stabilitätsperioden ein sichereres Engagement, Dank der Sicherheit der Macht? Das in Betracht genommene Jahrhundert ist dasjenige der Entwicklung des modernen studentischen Vereins- und Verbindungswesens in den meisten europäischen Ländern. Die wechselhaften Verhältnisse zwischen diesen Studentenvereinen und der Politik (Unterdrückung oder Unterstützung des studentischen Vereinswesens durch die Staatsbehörden, Gründung politischer oder sogar mit einer politischen Partei verbündeten Studentenvereine) stehen deshalb auch im Interesse der Tagung. Ein weiteres Untersuchungsthema ist die Verbindungen oder im Gegenteil die Antagonismen zwischen den Professoren und/oder Studierenden auf der einen Seite und den Fachmännern ihrer Disziplinen (Mediziner, Apotheker, usw.) auf der anderen Seite, im Rahmen der Entwicklung eines Syndikalismus der intellektuellen Berufe (besonders in Medizin und Pharmazie, später in den literarischen und künstlichen Berufen). 5

2. Die unterschiedlichen Formen des elitären entre soi
Professoren, Studierende und Politiker konnten viele Verbindungen knüpfen, v. a. innerhalb von offenen (oder ursprünglich) nicht politischen Organisationen, seien es Vereine, Zirkel, Expertengruppen, usw. Welche Vereinsformen wurden bevorzugt – breite Assoziationen, geschlossene Klubs, geheime Gesellschaften? Führten diese (relativ) informellen Verhältnisse über die bürgerliche Geselligkeit, die dort gepflegt wurde (Zeitschriftenlesen, Unterhaltung und Debatten, usw.), 6 hinaus zur Gründung von wissenschaftlichen und politischen Netzwerken? Wurden diese Verhältnisse zwischen Wissenschaftlern/Intellektuellen und Politikern öffentlich gemacht (Veröffentlichung von Mitgliederlisten, 7 Organisation von Banketten oder Konferenzen, die für das Publikum freizugänglich waren)? Oder führten sie im Gegenteil zu Bedürfnissen der inneren Abgeschlossenheit seitens der Akademiker, die ihre Unabhängigkeit behaupten wollten? Dazu kann auch die Rolle und Positionierung der Akademiker gegenüber der Politik in ihren wissenschaftlichen Zeitschriften oder während ihrer wissenschaftlichen Kongresse erforscht werden. Außer der Existenz von politischen Studentenvereinen (siehe Punkt 1) mussten die Mitglieder der Studentenvereine, die sich als unpolitisch beschrieben, in Kontakt mit den Behörden treten (um die Genehmigung ihres Vereins zu erbitten oder um eine Subvention zu beantragen). Es ist auch möglich, den Platz zu untersuchen, den sie Politikern innerhalb ihrer Vereine einräumten (Einladung zu Vorträgen, Status von Honorarmitgliedern, usw.).

3. Politiker und das Hochschulwesen
Obwohl wichtige Reformen des Hochschulwesens schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts unternommen (die wichtigsten davon waren natürlich diejenige von Wilhelm von Humboldt in Preußen) und neue Reformen nach 1945 (auch vor den 1968er-Revolten) angefangen wurden, bildet das Jahrhundert, das während dieser Tagung behandelt wird, ein entscheidendes Moment für die Veränderung und die Modernisierung des Hochschulwesens. Es ist auch das Moment der Professionalisierung des Politikerberufes. Erklärt sich das besondere Interesse der Politiker und Politikerinnen für das Hochschulwesen in dieser Zeit durch ihre politische Stellung oder zeichnete es sich durch spezifischere oder persönlichere Gründe aus aus? Zu der Analyse ihrer sozialen und politischen Charakteristika, können auch die Reformen, die sie unterstützten oder bekämpften, untersucht werden: sowohl institutionelle Veränderungen wie die Neugründung der Universitäten 1896 in Frankreich oder das 1899 gewährte Recht an die Technischen Hochschulen in Deutschland, den Doktortitel zu verleihen, als auch allgemeinere Projekte wie die Entwicklung des Hochschulwesens in den Kolonien oder neue Entscheidungen gegenüber der wachsenden internationalen Konkurrenz auf dem Hochschulmarkt. Eine weitere Perspektive ist die des möglichen Drucks der Politiker auf die Akademiker.

1 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass vor kurzem die Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte eine Tagung über ein verwandtes/ähnliches Thema organisiert hat: Hochschule und Politik vom Mittelalter bis heute. Jedoch behandelte keiner der Vorträge die Periode 1848-1918. Die Vorträge schilderten nicht die Fragestellungen und Perspektiven, die von unserer Tagung in Betracht genommen werden und begrenzten sich auf den deutschsprachigen Raum. Siehe: https://guw-online.net/item/114-hochschule-und-politik (27.10.2017).

2 Siehe u. a.: Christophe CHARLE, La République des universitaires (1870-1940), Paris (L’Univers historique), 1994; Christophe CHARLE und Jacques VERGER, Histoire des universités (XIIe-XXIe siècle), Paris (Quadrige manuels) 2012; Fritz K. RINGER, The Decline of the German Mandarins: The German Academic Community, 1890-1933, Hanover, London, 1990 (1969) ; Fritz K. RINGER, Fields of Knowledge. French Academic Culture in Comparative Perspective, 1890-1920, Cambridge, New York, Port Chester, Paris, 1992; Welter RÜEGG (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 3 Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800-1945), München, 2004.

3 Zwei Beispiele: Christophe CHARLE, Les intellectuels en Europe au XIXe siècle. Essai d’histoire comparée, 2. Aufl., Paris (Points histoire), 2001 (1996); Sonja LEVSEN, Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900-1929, Göttingen (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 170), 2006.

4 Über Studenten und Professoren während der 1848er Revolutionen, siehe u. a.: Peter BORWSKY, Schlaglichter historischer Forschung. Studien zur deutschen Geschichten im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg, Kap. V.1 Studenten in der deutschen Revolution 1848, S. 187-199; Jean-Claude CARON, Générations romantiques. Les étudiants de Paris et le Quartier latin (1814-1851), Paris, 1991; Stanley Z. PECH, Studenten in der böhmischen Revolution von 1848, in: Wilfried FORSTMANN und Horst STUKE (Hg.), Die europäischen Revolutionen von 1848, Königstein/Ts., 1979, S. 189-197; Priscilla ROBERTSON, Students on the Barricades: Germany and Austria, 1848, in: Political Science Quaterly 84/2, 1969, S. 367-379; Gernot STIMMER, Die Mythologisierung der Revolution von 1848 als Modell einer Studentenrevolution, in: Christian HELFER und Mohammed RASSEM (Hg.), Student und Hochschule im 19. Jahrhundert. Studien und Materialien, Göttingen (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im neunzehnten Jahrhundert, 12), 1975, S. 243-302.

5 Gisèle SAPIRO (Hg.), L’organisation des professions intellectuelles, in: Le Mouvement social, 214, 2006.

6 Maurice AGULHON, Le Cercle dans la France bourgeoise 1810-1848. Étude d’une mutation de sociabilité, Paris (Cahiers des Annales, 36), 1977; Matthias ASCHE und Dietmar KLENKE (Hg.), Von Professorenzirkeln, Studentenkneipen und akademischem Networking. Universitäre Geselligkeiten von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wien, Köln, Weimar (Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen, 19), 2017.

7 Die Überlegungen von Luc BOLTANSKI, L’espace positionnel. Multiplicité des positions institutionnelles et habitus de classe, in: Revue française de sociologie, 14/1, Januar 1973, S. 3-26 können hilfreich sein, um solche Veröffentlichungen zu analysieren.

Einreichung der Beiträge
Die Tagung wird am Donnerstag, den 7. und Freitag, den 8. Juni 2018 an der Goethe Universität in Frankfurt/Main stattfinden. Reise- und Übernachtungskosten (1 Nacht) werden durch die Veranstalter übernommen. Die Veranstaltung richtet sich vorrangig an junge Forscher und Forscherinnen (fortgeschrittene Masterstudierende, Doktorandinnen und Post-Doktorandinnen). Arbeitssprachen werden Französisch und Deutsch sein (eventuell auch Englisch).
Interessierte senden ihre Vortragsvorschläge von max. 500 Wörtern bitte vor dem 15. Januar 2018 an Antonin Dubois: antonin[.]dubois[at]ehess[.]fr. Bitte fügen Sie dazu ein Lebenslauf mit ggf. einer Publikationsliste und Ihren Sprachkenntnissen bei. Ein wissenschaftliches Komitee wird die Vorschläge prüfen und spätesten am 15. Februar 2018 Antwort geben.

Programm

Kontakt

Antonin Dubois

IFRA-SHS, IG-Farben, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60239 Frankfurt/Main

antonin.dubois@ehess.fr