Sammelband "Soziale Gedächtnisse der Katastrophe. Zur Theorie und Empirie des Katastrophenerinnerns und -vergessens"

Sammelband "Soziale Gedächtnisse der Katastrophe. Zur Theorie und Empirie des Katastrophenerinnerns und -vergessens"

Veranstalter
Dr. Michael Heinlein / Prof. Dr. Oliver Dimbath, Institut für Soziologie, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz
Veranstaltungsort
Ort
Koblenz
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.12.2017 -
Deadline
15.12.2017
Website
Von
Michael Heinlein, Institut für Soziologie, Campus Koblenz, Universität Koblenz-Landau

Katastrophen gehören zu den grundlegenden Erfahrungen des menschlichen Daseins. Sie entsetzen, indem sie unvermittelt eine große destruktive Kraft entfalten, die von Individuen und Kollektiven als existenzbedrohend wahrgenommen wird. Sowohl Naturkatastrophen (z.B. Erdbeben, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche) als auch zivilisatorische Katastrophen (z.B. chemische, biologische oder nukleare Unfälle, Dammbrüche, Terroranschläge) stellen dabei keine singulären Ereignisse dar, sondern treten immer wieder auf – ohne dass jedoch gesagt werden kann, welche Katastrophe sich zu welcher Zeit an welchem Ort mit welchen Folgen als nächstes ereignen wird. Katastrophen machen damit nicht nur die Fragilität eingelebter sozialer Ordnungen sichtbar, die von katastrophalen Ereignissen überrascht und unterlaufen, im Extremfall zerstört werden. Sie verweisen vielmehr als ungewollte „catastrophe to come“ (Aradau/van Munster 2011: 2) immer auch auf eine unsichere Zukunft. Für Gesellschaften bedeutet dies, dass sie potenziell katastrophale Zukünfte erwartbar machen müssen, die sich paradoxerweise jeglicher Erwartbarkeit entziehen, da Katastrophen immer auf ein „unspezifiziertes Nichtwissen“ (Japp 2002; Luhmann 1992; Wehling 2006) verweisen, d.h. einen nicht imaginierbaren und nicht beherrschbaren Rest, der die Wucht und Ausdehnung ihrer Destruktivkraft gerade bedingt (vgl. Voss 2006: 54ff.).

Gesellschaften lösen diese Paradoxie auf, indem sie mit „normalen Katastrophen“ (Perrow 1987) rechnen und Maßnahmen zur „Kontingenzkontrolle“ (Bröckling 2008: 41) treffen: Sie bilden Institutionen und generieren Wissen, um weitere Katastrophen zu verhindern oder hinauszuzögern (Prävention) und um die Folgen nicht vermeidbarer Katastrophen zu bewältigen (Kompensation). Die institutionalisierte Antizipation zukünftiger Katastrophen, die für beide Bereiche konstitutiv ist, setzt dabei jedoch einen Rückgriff auf gesellschaftliche Erfahrungen aus vergangenen Katastrophen voraus: Zum einen erhalten Präventions- und Kompensationsroutinen erst dann einen Sinn, wenn typisiertes Wissen über Katastrophen(verläufe) und ihre Folgen vorliegt; zum anderen eröffnen und erfordern Katastrophen neue Horizonte des Denkens und Handelns, die jedoch immer erst retrospektiv, d.h. nach dem Eintritt eines katastrophalen Ereignisses erschlossen und erprobt werden können. Katastrophenerwartungen sind somit unmittelbar an Katastrophenerinnerungen gebunden, die jedoch keine vollständigen und detailgetreuen Abbilder vergangener Katastrophen darstellen. Erinnerungen beruhen vielmehr auf hochselektiven Konstruktionsprozessen in einer je aktuellen, und das bedeutet: sich wandelnden Gegenwart (Dimbath/Heinlein 2014; Sebald/Weyand 2011). Es geht damit nicht um die Vergangenheit an sich, sondern um sich kontextspezifisch wandelnde Vorstellungen der Vergangenheit, aus denen Gewissheiten für die Gegenwart und Orientierungen für die Zukunft abgeleitet werden. Offensichtlich ist dies im Kontext der ausgiebig mit Katastrophen befassten Erinnerungskultur: Katastrophen werden nie in ihrer vollen Komplexität erinnert, sondern im Lichte einer sich wandelnden Gegenwart interpretiert und mit Bedeutung versehen. Dazu gehört, dass bestimmte Aspekte von Katastrophen absichtsvoll oder nicht intendiert, konsensuell oder gegen Widerstände vergessen oder beschwiegen werden und es auch nicht selbstverständlich ist, dass einzelne Katastrophen auch nur im Ansatz in ähnlicher Form (i. S. v. Zerubavel 2003) erinnert werden.

Der geplante Herausgeberband möchte Beiträge versammeln, die das Erinnern und Vergessen von Katastrophen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen theoretisch und/oder empirisch analysieren. Eine zentrale Rolle spielt demnach ein sozialwissenschaftliches Gedächtnis-, Erinnerungs- und/oder Vergessenskonzept, das in den Beiträgen klar erkennbar ausbuchstabiert werden soll. Folgende Fragestellungen können für potenzielle Beiträge als Orientierung dienen:
- Wie lässt sich der Zusammenhang von Katastrophe und Gedächtnis theoretisch beschreiben und entfalten?
- Auf welche Weise und in welchen Formen werden Katastrophen im Kontext gesellschaftlicher Teilbereiche (z.B. Politik, Wirtschaft, Kultur) erinnert bzw. vergessen?
- Auf welche Weise schreiben sich Katastrophenerfahrungen in die Struktur gesellschaftlicher Institutionen (z.B. Katastrophenschutz, Versicherungswesen, Gedenkrituale) ein und bestimmen dadurch strukturell-programmatisch den Umgang mit weiteren Katastrophen?
- Welche Rolle spielen Medien beim Erinnern und Vergessen von Katastrophen?
- Wie schreiben sich Katastrophen in den Körper ein und auf welche Weise erinnert/vergisst das Körpergedächtnis entsetzende Ereignisse?
- Welche Deutungskämpfe um katastrophale Vergangenheiten zeigen sich und welche Akteure und Formen des Erinnerns und Vergessens spielen dabei eine Rolle?
- Wie werden Katastrophen biographisch oder im Familiengedächtnis erinnert bzw. vergessen?

Wir benötigen Ihren Beitrag (ca. 30.000-50.000 Zeichen) bis spätestens zum 31. Oktober 2018. Beitragsvorschläge (maximal 5.000 Zeichen) werden bis zum 15.12.2017 erbeten an: heinlein (at) uni-koblenz.de

Programm

Kontakt

Dr. Michael Heinlein
Universität Koblenz-Landau
Campus Koblenz
Institut für Soziologie
Universitätsstraße 1
56070 Koblenz


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Deutsch
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