Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressource füreinander

Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressource füreinander

Veranstalter
DFG-SPP 1143: „Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und im 20. Jahrhundert“
Veranstaltungsort
Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.02.2005 - 04.02.2005
Deadline
15.01.2005
Website
Von
Sybilla Nikolow, Institute for Interdisciplinary Studies of Science, Universität Bielefeld

„Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressource füreinander“
Workshop im Rahmen des DFG-SPP 1143: „Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und im 20. Jahrhundert“

3./4. Februar 2005

Von welcher Seite man auch immer in die aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatten um den Charakter (post)moderner Gesellschafen einsteigt, welches Erklärungsmodell man dabei favorisiert, man stößt auf die Frage nach der Verknüpfung von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ob es die Modellvorstellung der „Triple Helix“ aus Universität, Industrie und Politik (Etzkowitz/Leydesdorff) ist, der Paradigmenwechsel von disziplinärer „mode 1“ zu inter- und transdisziplinärer „mode 2“ der Wissensproduktion (Gibbons/Nowotny u.a.) oder das Konzept enger Koppelungen der gesellschaftlichen Teilsysteme in der Wissensgesellschaft (Weingart); alle diese Zeitdiagnosen verweisen auf die offensichtlich gestiegene Funktion der Öffentlichkeit in den heutigen demokratischen Massengesellschaften, die für die Wissenschaft eine neue Herausforderung darstellt. Die Öffentlichkeit verlangt nicht mehr nur Zugang zu den Ergebnissen der Wissenschaften, sondern auch zunehmend Mitspracherecht bei der Generierung neuen Wissens. Auf der anderen Seite kommt in innerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen dem Rekurs auf die Ressource Öffentlichkeit eine wachsende Bedeutung zu.

Aus historischer Sicht scheint diese enge Verbindung von Wissenschaft und Öffentlichkeit, die für die postmoderne Wissensgesellschaft behauptet wird, nicht wirklich neu zu sein. So sprach man etwa von der Elektrizitätslehre im 18. Jahrhundert bereits als einer dezidiert "öffentlichen Wissenschaft" (Hochadel), und auch die Volkskunde, der der Status einer akademisch-wissenschaftlichen Disziplin bis zu einem gewissen Grade versagt blieb, wurde als eine solche bezeichnet. Ebenso gilt das 19. Jahrhundert als goldenes Zeitalter der Popularisierung der Naturwissenschaften, in denen die unterhaltsame Beschäftigung mit wissenschaftlichen Themen in Verein und Feuilleton zum bürgerlichen Selbstverständnis gehörte (Daum). Aber erst im 20. Jahrhundert suchten Wissenschaftler den direkten Weg zur Öffentlichkeit (etwa in den neu entstandenen Massenmedien) und zur Politik. So stellte z. B. der Wiener Kreis sein Wissenschaftsprogramm in den Dienst der Arbeiterbildung, und deutsche Atomphysiker beteiligten sich mit öffentlichen Manifesten und Auftritten an der politischen Meinungsbildung.

Die bisher nur exemplarische Forschung erlaubt jedoch noch kein Gesamtbild der Verknüpfung von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Und um die Bedeutung der gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere in den letzten beiden Jahrhunderten für das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit genauer zu verstehen, sind Aufschlüsse über die Praktiken der Wissenskommunikation notwendig, die auch jenseits der großen Disziplinen zu verorten sind und eine Analyse verschiedener Medien, Publika und Popularisierungsentwürfe umfassen. So wie die Wissensbestände, um die es dabei geht, müssen wissenschaftshistorische Studien dieses Verhältnisses und auch das Konzept der Öffentlichkeit der Wissenschaft genauer bestimmen.

Erste Versuche einer Historisierung des Konzepts der Wissensgesellschaft (Szöllösi-Janze) knüpfen an diese Debatten an und dekonstruieren das lineare Modell der Koppelung von Wissenschaft und Öffentlichkeit, demzufolge die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit eindirektional von der Wissenschaft ausgeht und die Öffentlichkeit als passiven Beobachter sieht. Vielmehr ist die Öffentlichkeit der Ort, wo in den ausdifferenzierten Wissensgesellschaften des 20. Jahrhunderts, vermittelt über verschiedene Medien, in zunehmendem Maße eigenständig wissenschaftliches Wissen erworben wird. Wissenschaft und Öffentlichkeit bleiben trotz des letztlich unüberwindlichen Grabens zwischen beiden Bereichen als Ressource füreinander eng miteinander verbunden.

Hinterfragt wird in der historischen Forschung auch die Linearität einer seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig zunehmenden Koppelung von Wissenschaft und Öffentlichkeit (Felt). Stattdessen rücken Erklärungsmodelle in den Vordergrund, die Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressource füreinander verstehen, und in dieser Perspektive lösen sich Phasen schwacher und starker Koppelung der beiden gesellschaftlichen Teilsysteme ab: Auf politische und gesellschaftliche Akzeptanzkrisen reagiert die Wissenschaft jeweils mit dem verstärkten Rekurs auf die Ressource Öffentlichkeit.

Leitfragen:
Der Workshop wird anhand der im SSP vertretenen Forschungsprojekte u.a. folgende Leitfragen diskutieren: Welche Formen der (institutionalisierten) Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bilden sich auf der Ebene einzelner Forschungsfelder und Disziplinen heraus? Welche Bedeutung kommt dabei den (Massen)Medien zu? Welches waren die jeweiligen Leitmedien der Wissenskommunikation? Wie nehmen Wissenschaft und Öffentlichkeit sich wechselseitig wahr? Wie veränderte sich das Verständnis von Öffentlichkeit in der Wissenschaft angesichts gravierender gesellschaftspolitischer Wandlungsprozessen? Welche Segmente der Öffentlichkeit werden von der Wissenschaft wann und wie adressiert? Welche „Grammatik“, welche Bilder bestimmen den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, in welchen Räumen findet er statt? Welche „Transaktionskosten“ resultieren aus der „Übersetzung“ wissenschaftlichen Wissens in öffentliche Kontexte? Welche Bedeutung spielt die Ressource Öffentlichkeit in innerwissenschaftlichen Aushandlungsprozesse? Welche Wirkungen hat die Öffentlichkeitsorientierung für die Wissenschaftsentwicklung? Welches Bild des Wissenschaftlers wird von der Wissenschaft kommuniziert, welches Bild von der Öffentlichkeit rekonfiguriert? Wie verändern sich die Mechanismen und Strukturen des Vermittlungsdiskurses von wissenschaftlichem Wissen über den Wechsel des politisch-gesellschaftlichen Systems im Deutschland des 20. Jahrhunderts hinweg?

Dr. Sybilla Nikolow
Prof. Dr. Helmuth Trischler
Dr. Arne Schirrmacher
Prof. Dr. Peter Weingart

Programm

Programm

3./4. Februar 2005
Universität Bielefeld, Kleiner Senatssaal A3-137

Donnerstag, den 3. Februar 2005

11.30-13.00 Uhr
Das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit als Beziehungsgeschichte

Die Wissenschaften der Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit der Wissenschaft
(Peter Weingart, Bielefeld)

Für eine Historisierung des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit am Beispiel von Otto Neuraths Bildstatistik
(Sybilla Nikolow, Bielefeld)

14.30-16.00 Uhr
Wissensvermittlung zwischen push und pull

Du sollst dir kein Bildnis machen? Das Atom als Problemfall der Wissensvermittlung zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg
(Arne Schirrmacher, München)

„Vitaminfragen - kein Vitaminrummel“? Die deutsche Vitaminforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit
(Ulrike Thoms, Berlin)

13.00-18.00 Uhr
Medien der Wissenskommunikation

Bildersprachen und Öffentlichkeit. Bedeutung und Einsatz von Bildern für eine populärwissenschaftliche Verbreitung technischer Visionen und Utopien
(Anja Casser, München)

Thesen zum Verhältnis von science & fiction. Die Entstehung der Figur des "Klons" im 'Zwischenraum' von Wissenschaft und Fiktion, 1960-1980
(Christina Brandt, Berlin)

20.00-21.00 Uhr
Abendvortrag in U6-211 (Institut für Wissenschafts- und Technikforschung)

Wissenskommunikation im Wissenschafts- und Technikmuseum des 20.
Jahrhunderts (Helmuth Trischler, München)

Freitag, den 4. Februar 2005

9.00-10.30 Uhr
Öffentlichkeit als Ressource für die Disziplinentwicklung

Wissenschaft, Öffentlichkeit und der "Kampf um die Welteislehre"
(Christina Wessely, Wien)

Zwischen Vertraulichkeit und Massensensation. Graphologisches Expertenwissen in der Weimarer Republik
(Per Leo, Berlin)

11.00-11.45 Uhr
Popularisierungsarbeit als Legitimationsarbeit für die Volkskunde
(Ina Dietzsch und Cornelia Kühn, Berlin)

13.30-15.00 Uhr
Vereine als Vermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit

Die Grenzen wissenschaftlicher Deutungsmacht: Kriminalitätsdiskurse britischer Reformgesellschaften um die Jahrhundertwende
(Sabine Freitag, Köln)

Zwischen Aufklärung und Sittlichkeit. Zum Spannungsverhältnis von Eugenik und Öffentlichkeit im katholischen Milieu
(Monika Löscher, Wien)

15.30-16.30 Uhr
Abschlusskommentar und -diskussion (Mitchell Ash, Wien)

Interessenten/-innen zur Teilnahme: Um den Workshopcharakter der Veranstaltung aufrecht zu erhalten, wird darum gebeten, sich bei Interesse bei der lokalen Tagungsleiterin, Sybilla Nikolow, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (nikolow@iwt.uni-bielefeld.de) bis zum 15. Januar 2005 zu melden. Eine Tagungsgebür wird nicht fällig. Im Tagungshotel steht noch eine begrenzte Anzahl von Übernachtungen (2.2./3.2 und 3.2./4.2, jeweils 65 Euro) zur Verfügung, die gleichzeitig über Sie gebucht werden können.

Kontakt

Dr. Sybilla Nikolow
E-Mail: nikolow@iwt.uni-bielefeld.de


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