Internationalität und Kosmopolitismus in den Wissenschaften. Driburger Kreis

Internationalität und Kosmopolitismus in den Wissenschaften. Driburger Kreis

Veranstalter
Driburgerkreis
Veranstaltungsort
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2017 - 22.09.2017
Deadline
10.07.2017
Website
Von
Alexander Stöger; Laurens Schlicht; Verena Lehmbrock; Eike Harden

Der Driburger Kreis findet dieses Jahr vom 20. – 22. September 2017 im Vorfeld der Jahrestagung der Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik GWMT (ehemals DGGMNT und GWG) in Münster statt. Er richtet sich an Studierende, Promovierende und Nachwuchswissenschaftler/innen der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte und angrenzenden Disziplinen. Der Driburger Kreis versteht sich als informelles Forum, in dem auch unabhängig vom Rahmenthema Probleme, Schritte und Ergebnisse eigener Forschungsprojekte vorgestellt und in einer konstruktiven Atmosphäre diskutiert werden können; ausdrücklich erlaubt und erwünscht sind daher auch Vorschläge für thematisch abweichende Vorträge.

Das diesjährige Rahmenthema lautet:

„[…] Wissen ist begrenzt.“ – Internationalität und Kosmopolitismus in den Wissenschaften

Albert Einsteins berühmtes Zitat spielt zwar auf Faktenwissen im Vergleich zu Phantasie an, aber die Frage, inwiefern Wissen und damit verbundene Wissenschaften Grenzen kennen, ist berechtigt und wird oft in Verbindung mit ethischen Bedenken oder technologischen Einschränkungen ins Feld geführt. Dabei sind auch räumliche Grenzen bedingt durch natürliche Hindernisse wie Entfernung oder durch Landesgrenzen nicht unerheblich. Der diesjährige Driburger Kreis möchte die Frage aufwerfen, in welcher Weise in verschiedenen wissenschaftlichen Systemen die Werte von Internationalität und Kosmopolitismus erzeugt, verwendet und kritisiert wurden. Inwiefern haben sich wissenschaftliche Systeme selber als kosmopolitisch verstanden und wurde dies zu einem funktionalen Bestandteil ihrer Wissensproduktion? Die westliche Wissenschaftskultur fördert und förderte jedenfalls die interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern. Renommierte Universitäten und Institutionen fürchten angesichts jüngster politischer Entwicklungen wie dem Brexit oder den Einreiseeinschränkungen in die USA die folgenreiche Beschneidung des wissenschaftlichen Austauschs. Im Zeitalter der Aufklärung hatte der Kosmopolit, der Weltbürger, einen Aufschwung erfahren.
Dieses bereits seit der Antike existierende philosophisch-politische Konzept wollte vor allem intellektuell nationale oder territoriale Grenzen überwinden (vgl. ALBRECHT:2004). Der Weltbürger, ob Literat, Philosoph oder Wissenschaftler, so die Idee, wollte sich in seinem Denken nicht auf einen spezifischen Landstrich beschränken lassen. Er befürwortete den internationalen Austausch nicht nur, er sah sich in der Verpflichtung, zum Wohle aller Menschen zu handeln.
Obwohl der Kosmopolitismus im 20. Jahrhundert verstärkt politisch verstanden und kritisch aufgefasst wurde, haben doch große Organisationen und Bündnisse wie Ärzte ohne Grenzen oder das europäische Programm zur Wirtschafts- und Forschungsförderung Horizon 2020 den Kerngedanken internationaler Zusammenarbeit und Forschung aufgegriffen. Mit dem neuen Begriff der Open Sciences im Kontext der Digitalisierung gewinnt die Debatte über die unbegrenzte Zugänglichkeit zu Forschung aktuell noch eine weitere Dimension (vgl. HERB: 2014). Im Rahmen wissenschaftlicher Fortschrittsnarrative und wissenschaftstheoretischer Reflexion ist es häufig eine positiv konnotierte Vorstellung, dass Wissenschaft an sich ohne nationale Grenzen auskommt und nur die Personen, die Wissenschaft betreiben, durch äußere Umstände in ihrer Forschung behindert werden können. Ein Blick auf die deutsch-deutsche-Geschichte zeigt, dass Wissenschaft durch politische Grenzziehung eingeschränkt werden kann. Oftmals erfolgte die Forschung in der DDR in Abschottung zu westlichen Entwicklungen und ging damit ganz eigene Wege (vgl. MALYCHA:2001). Der Kalte Krieg war nicht nur ein Wettrüsten militärischer Mächte, sondern auch ein Wetteifern national orientierter Wissenschaftler/innen.
Eine weitere positive Perspektive auf Internationalismus meint, der internationale kritische Diskurs über Entdeckungen, Experimente und Theorien sei notwendig, um Erkenntnisse weiterzuentwickeln und ihre Kohärenz zu prüfen. Deshalb spielen Fragen nach der sprachlichen Dimension von Wissensgenerierung und das methodische Instrumentarium der neueren Translationsforschung eine zentrale Rolle. Dies ließe sich bspw. für den europäischen Raum untersuchen, solange seine Wissenschaftssprache Latein war (vgl. ULBRICH:2010) oder für den Zeitraum der Bildung von nationalsprachlich geprägten Wissenschaftsräumen im 18. Jahrhundert.
Gleichzeitig entwickelt sich mit der Global History ofScience, die versucht, von einer stark westlich geprägten Perspektive abzurücken und einen globalen, andere Kulturen gleichwertig behandelnden Blickwinkel einzunehmen (vgl. FAN:2012), auch eine kritische Haltung gegenüber dem aus der Aufklärung stammenden Idealbild Kosmopolitismus. Die Überlegenheitsvorstellung europäischer und nordamerikanischer Gelehrter aus dem 17. und 18. Jahrhundert ging Hand in Hand mit anderen Kolonialisierungsbestrebungen. Eine Abkehr von der Vorstellung fremder Kulturen durch europäische Gelehrte erstmals eine Wissenschaftskultur zu etablieren, führt darüber hinaus inzwischen vermehrt zu kritischen Betrachtungen nationaler und regionaler Wissenschaftsgeschichte abseits europäischer Einflüsse (vgl. McCOOK:2013).
Wie Wissenschaft bzw. Wissenschaftler/innen international agieren, bringt vielschichtige Betrachtungswinkel und Aspekte im Hinblick auf gegenwärtige und historische Forschungssituationen mit sich. Sowohl die Selbsteinschätzung von Wissenschaftler/innen und ihrem Verhältnis zu ihrem Land als auch das Verhältnis von Staaten zu ihren Wissenschaftler/innen ist von Bedeutung, um Aufschlüsse darüber zu geben, ob wissenschaftliche Erkenntnisse davon abhängig sind, wo sie erzeugt werden.
Wir wollen auf der diesjährigen Tagung sowohl neueste Entwicklungen als auch das historisch gewachsene Selbstverständnis des Einzelnen in seiner Rolle als Forscher im Kontext von territorialen und nationalen Grenzen und deren Überwindung betrachten und uns in Diskussionen kritisch mit den verschiedenen Aspekten dieses Themas auseinandersetzen.

Folgende Fragen sollen als Anregungen für die Diskussionen im diesjährigen Driburger Kreis Hilfestellung leisten:

- Wie nahmen und nehmen Wissenschaftler nationale Grenzen wahr? Was unternahmen sie, um diese zu überwinden oder zu bewahren?
- Inwiefern kann man von historischen oder gegenwärtigen, spezifisch regionalen, nationalen oder kontinentalen Wissenschaftspraktiken sprechen? Gibt es beispielsweise typisch deutsche oder typisch indische Wissenschaft? Lassen sich Unterschiede in der Fragestellung, der Methode oder dem Selbstverständnis der Wissenschaften ausmachen?
- Was bedeutet es für einen Wissenschaftler und seine Arbeit, wenn er sich als Kosmopolit betrachtet? Wie wurden Vorstellungen und Argumente des geographisch unabhängigen Wissenschaftlers diskutiert?
- Welchewissenschaftlichen Entwicklungen, Probleme und Fehlschlägestanden in unmittelbarem Verhältnis zu regionalen, nationalen oder internationalen Aspekten wie Sprache, räumlicher Distanz, nationalen Gesetzen und Vorstellungen sowiedem eigenen Zugehörigkeitsgefühl oder dem Fehlen desselben zu einer Nation?
- Wie wurden und werden außer-europäische bzw. nicht-westliche Wissenschaftskulturen wahrgenommen? Wie nahmen und nehmen sie sich selbst wahr? Und welche Entwicklungen fanden und finden im Hinblick auf Emanzipation und Selbstreflexion von Forscher/innen und Wissenschaften in diesem Kontext statt?
Alexander Stöger (Jena)

Abstracts (Umfang: 1 Seite) für max. 25-minütige Vorträge nebst Kurzlebenslauf werden erbeten bis zum 10. Juli 2017. Schickt diese bitte an:
eikeharden@t-online.de, verena. lehmbrock@gmail.com und laurens.schlicht@hu-berlin.de.

Wer sowohl am Driburger Kreis als auch an der Tagung der GWMT teilnimmt, kann einen Reisekostenzuschuss erhalten. Das ausgefüllte Antragsformular (s. Homepage der DGGMNT) ist bis zum 15. August 2017 beim Vorsitzenden der DGGMNT einzureichen:
Prof. Dr. Friedrich Steinle, Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte. Technische Universität Berlin, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin,
friedrich.steinle@tu-berlin.de

Auswahlbibliografie

Albrecht, Andrea: Kosmopolitische Ideale. Das weltbürgerliche Engagement des Göttinger Literarhistorikers Friedrich Bouterwek. In: Europa – Alte und Neue Welten. Georgia Augusta (3 / 2004). S. 80 – 85. Bernaschina Schürmann, Vincente; Kraft, Tobias; Kraume, Anne [Hg. ] : Globalisierung in Zeiten der Aufklärung: Texte und Kontexte zur „Berliner Debatte“ um die Neue Welt (17. / 18. Jhd. ). Bd. 1. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. Fan, Fa-ti: The Global Turn in the History of Science. In: East Asian Science, Technology and Society. An International Journal (6 / 2012). S. 249 – 258. Herb, Ulrich: Open science’s final frontier. In: Research Professional. 2014. http://www.researchresearch.com/news/article/?articleId=1345626. Malycha, Andreas: Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1961. In: Politisch und Zeitgeschichte (30 – 31 / 2001). S. 14 – 21. McCook, Stuart: Focus: Global currents in national Histories of Science. The „Global Turn“ and the History of Science in Latin America. In: ISIS Nr. 104 (4 / 2013). S. 773 – 776. Schaffer, Simon; Roberts, Lisa; Raj, Kapil u.a. : The brokered World. Go-Betweeens and Global Intelligence, 1770 – 1820. Sagamore Beach: Science History Publications USA 2009. Schramm, Manuel: Wirtschaft und Wissenschaft in DDR und BRD. Die Kategorie Vertrauen in Innovationsprozessen. Köln: Böhlau 2008. Siddiqi, Asif: Another global history of science. Making space for India and China. In: BJHS Themes (1 / 2016). S. 115 – 143. Ulbricht, Daniel: Sprachen der Wissenschaften 1600 – 1850. Bd. 1. Zwischen Latein und Logik (= Jahrbuch für Europäische Wissenschaftskultur. Bd. 5). Stuttgart: Steiner 2011. Ulbricht, Daniel: Sprachen der Wissenschaften 1600 – 1850. Bd. 2. Sprachliche Differenzierung und wissenschaftliche Nationalisierung (= Jahrbuch für Europäische Wissenschaftskultur. Bd. 7). Stuttgart: Steiner 2014.

Programm

Kontakt

Laurens Schlicht

Humboldt-Universität Berlin, Institut für Kulturwissenschaften
Georgenstraße 47, 10117 Berlin

laurens.schlicht@hu-berlin.de