Industrie. Erbe. Landschaft – Identitätskonstruktionen in „post“-industriellen Gesellschaften // Industry.Heritage.Landscape – Constructions of Identity in “Post”-Industrial Societies

Industrie. Erbe. Landschaft – Identitätskonstruktionen in „post“-industriellen Gesellschaften // Industry.Heritage.Landscape – Constructions of Identity in “Post”-Industrial Societies

Veranstalter
DFG-Graduiertenkollegs 2227 „Identität und Erbe“ (TU Berlin/Bauhaus-Universität Weimar) in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V.
Veranstaltungsort
Technische Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2017 - 07.10.2017
Deadline
19.06.2017
Von
Simone Bogner

Das Forum findet im Rahmen der Jahrestagung (5.-7.10.2017) des Arbeitskreises für Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. in Kooperation mit dem DFG-Graduiertenkollegs 2227 „Identität und Erbe“ statt. [Den Call for Papers (Deadline war der 15. April 2017) finden Sie hier: http://www.hsozkult.de/event/id/termine-33691]

Lucius Burckhardt stellte in seinem 1997 veröffentlichten Aufsatz über die Völklinger Hütte, die drei Jahre zuvor als eines der ersten Industriedenkmale von der UNESCO als Weltkulturerbe klassifiziert wurde, das behauptete post-industrielle Zeitalter infrage. Die Bezeichnung des stillgelegten Eisenwerks als „Denkmal des Industriezeitalters“ suggeriere eine überwundene Epoche, zumindest jedoch eine zeitliche Distanz zu vormaligen Orten ökonomischer und ökologischer Ausbeutung und gravierender Umweltverschmutzung.
Doch die industriellen Produktionsstätten sind nicht verschwunden – sie wurden vielmehr an andere Standorte einer globalen Ökonomie verlagert. Laut Ulrich Beck zeichnet sich die Gegenwart zudem durch eine systematische Zunahme von Risiken aus, die in hohem Maße durch die teils hochtechnologisierte Industrie vorangetrieben werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, die Umdeutungs-, Aushandlungs- und Inwertsetzungsprozesse von industriellen Landschaften in identitätsstiftendes Kulturerbe kritisch zu hinterfragen.

Damals wie heute wurden und werden kollektive Identitäten in anthropogenen Landschaften und deren materiellen Zeichen lokalisiert. Die durch Holzkohleproduktion und Massentierhaltung entstandenen Heidelandschaften wurden synonym mit der Heimat der Schotten; die Windmühlen, die das Wasser aus den vom Meer gewonnen Poldern abpumpten, avancierten zum pittoresk verklärten Symbol der Niederlande. Die jüngere Geschichte bietet die sukzessive Fortführung einer solchen identitätsstiftenden Landschaftsromantik, welche nun die Industrielandschaft als Quelle regionaler und transnationaler Identifikation verortet: Die „schönste Zeche der Welt“, das Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen, fungiert als Repräsentant des Wandels einer ganzen Region. In den kantigen Umrissen der "Neuen Landschaft Ronneburg" des in einen Landschaftspark verwandelten einstigen Uranabbaugebiets wird das Potenzial einer neuen regionalen Ikone Thüringens erkannt. Die Europäische Route der Industriekultur (ERIH) stilisiert industrielle Denkmale gar zum europäischen „Symbol für eine gewachsene Identität der Bürgerinnen und Bürger“.

Der Schaden wird, so Burckhardt, bewahrt, poetisiert, ästhetisiert. Da Identitätsbehauptungen hochgradig selektiv sind, gehört die Aufwertung und Umdeutung einzelner Elemente ebenso notwendig zu ihren Konstruktionsprozessen wie das Ausblenden, Verdrängen oder Marginalisieren anderer. Ein großer Teil davon wird u.a. im Rahmen von Eventisierung und Touristifizierung versinnlicht und verwertbar gemacht. Unbequeme oder sich einer Ästhetisierung widersetzende Aspekte der Vergangenheit werden ausgeblendet oder nur bestimmten Räumen, wie beispielsweise Museen, zugewiesen. Die Verfahren solch symbolischer Neubesetzungen können somit als Bewältigungsstrategien verstanden werden, die, so eine These, das Bedürfnis nach Kontinuität, Ursprünglichkeit und Kontrolle in einer durch Kontingenzerfahrungen und zunehmende Komplexität geprägten Gegenwart befriedigen.

Spätestens die potenziellen Ewigkeitsschäden der Atomindustrie und ökologischer Katastrophen übersteigen die räumlichen und zeitlichen Dimensionen der bisherigen Denkmal- und Erbedebatten. Bereits auf der documenta 13 problematisierte die Künstlerin Amy Balkin die bisherige Erbepolitik, als sie forderte, die Erdatmosphäre in die UNESCO-Welterbeliste aufzunehmen.

Vor diesem Hintergrund sollen, unter anderem, folgende Fragen diskutiert werden:
- Was wird als Industrieerbe anerkannt und was marginalisiert? Welche Begründungen werden angeführt und welche Rückschlüsse lassen diese auf Identitätskonstruktionen zu? Wer versteht sich als Erbe(n) und welche Gruppen bleiben ausgeschlossen?
- Wie wird mit Industrieerbe und den sie prägenden Landschaften umgegangen und welche Formen des materiellen, ökonomischen und sozialen Erhalts werden gepflegt?
- Wie können die Schattenseiten industriellen Kulturerbes (Naturzerstörungen, soziale Ausbeutung u.a., etc.) mitgedacht und nicht nur Denkmale der Vergangenheit, sondern auch Mahnmale für Gegenwart und Zukunft gestaltet werden?
- Wie könnte Erbe- und Denkmalpflege sich auf eine globale Erbengemeinschaft in der Risikogesellschaft beziehen?
- Wie kann mit Kulturerbe das Bewusstsein für globale Zusammenhänge geschaffen werden? Wie könnte gegenwärtig und zukünftig das Erbe des hochindustriellen Zeitalters verhandelt werden? Welches Potential steckt in der Auseinandersetzung mit Industrie-Erbe-Landschaften im Spiegel globaler Ungerechtigkeit?

Wir suchen Fallstudien und Beiträge von ForscherInnen, KünstlerInnen und AkteurInnen aus der Praxis, die sich mit den dargelegten Fragen und Thesen kritisch auseinandersetzen. Wir streben einen aktiven Austausch unter den Teilnehmenden an und freuen uns über Beiträge aus unterschiedlichen Fachgebieten.

Die Beiträge sollen 20min Redezeit nicht überschreiten.
Abstracts mit max. 300 Wörtern sowie ein kurzer CV werden bis zum 19. Juni 2017 erbeten an: cfp[at]identitaet-und-erbe.org, Simone Bogner.

Reisekostenzuschüsse können begrenzt gewährt werden.

Den CFP als PDF und weitere Informationen zum Graduiertenkolleg finden Sie unter http://www.identitaet-und-erbe.org/?p=971

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ENGLISH VERSION

Industry.Heritage.Landscape
Constructions of Identity in “Post”-Industrial Societies
6.-7. October 2017, TU Berlin

The Forum takes place as part of the Annual Meeting & Conference (5.-7.10.2017) of the Arbeitskreis für Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. in cooperation with the DFG Research Training Group 2227 “Identity and Heritage”. For further information please see http://www.hsozkult.de/event/id/termine-33691

In his essay on the Völklinger Hütte (1997), UNESCO world heritage site since 1994, Lucius Burckhardt generally questioned the assertion of a post-industrial age. The description of the defunct ironworks in Germany’s Saarland as a “monument of the industrial age” would suggest a conclusion to an era, or at least al-lege a temporal distance to former sites of economic and ecological exploitation and the destruction caused by them.
However, the industrial production sites have not vanished – in fact they have been externalised to other global locations. According to Ulrich Beck the present is distinguished by a systematic increase of risks, which is boosted by high technology industries. In consideration of this, it seems necessary, to critically interrogate the processes of reinterpretation, negotiation, and valorisation of industrial landscapes as cultural heritage sites, which contribute to senses of identity.
Collective identities have been localized in anthropogenic landscapes and their material symbols ever since. The heathlands – the outcome of massive deforestation induced by the production of charcoal and sheep herding, became synonymous with the homeland of Scots; windmills, pumping the seawater out of the polders, advanced as the blissfully picturesque symbol of the Netherlands. Today it is the romanticized industrial landscape, which serves as a resource of identification. The “most beautiful coal mine industrial complex of the world”, the world heritage site Zeche Zollverein Essen represents the transition of the whole Ruhrgebiet. The former uranium mining area turned into a landscape park New Landscape Ronneburg in Thuringia/former East Germany, is being recognized as a new regional icon. The European Route of Industrial Heritage (ERIH) even interprets industrial monuments as symbols of a “common European identity.”

The damage, according to Burckhardt, is being preserved, poeticized and aestheticized. Nevertheless, the assertions of identity are intensely selective: the valorisation and evaluation of certain qualities belong to the identity-building process along with masking, suppression, and marginalisation of the other qualities. Some elements, for instance, are made usable for touristification and eventisation, whereas inconvenient elements or elements that contradict the present aestheticizing processes, are being assigned to certain spaces, such as museums.

The act of this symbolic reappointment can therefore be understood as coping strategies. Those – so the argument – satisfy the need for continuity, originality and control of a society shaped by experiences of contingency and increasing complexity.
Meanwhile the up-coming heritage such as nuclear plants and other sites causing long-term effects on the environment challenge both spatial and temporal dimensions of contemporary monument and heritage debates and reach into the planetary condition. Already at documenta 13 the artist Amy Balkin had scrutinised conventional heritage politics by claiming the UNESCO World Heritage nomination for the Earth’s atmosphere.

Against this background we would like to discuss, amongst others, the following questions:
- What is recognized and valorised as industrial heritage, what is at the same time marginalized? What are the arguments for such recognition and valorisation and what is therefore revealed about the constructions of identities? Which actors claim to be the heirs and who is being excluded?
- How can the practices of dealing with industrial heritage and the landscapes being shaped by it be described? How the material/substantial, economical and societal practices of preservation and maintenance?
- How could an integration of the dark sides of industrial heritage (environmental pollution and damage, economic exploitation etc.) be enabled and conceptualized besides musealisation? How could industrial heritage not only act as landmarks of the past e.g. as engineering monuments but also as memorials reflecting present and future?
- How could the main players of monument and heritage conservation relate to a global community of heirs in a society determined by risks?
- What role could cultural heritage play in regard to raise global awareness? How could this be considered in dealing with industrial heritage in an on-going globalized industrial age? What are the potentials of reflecting on global injustice within concepts of industrial heritage landscapes?

We are seeking case studies and contributions from scholars, artists and practitioners who would like to scrutinize the presented questions and assumptions. We are looking forward to a vibrant and vivid discussion and therefore invite contributors from all disciplines and fields.

Please send your abstract with maximum 300 words for a 20 min presentation and a brief CV by June 19th 2017 to: cfp[at]identitaet-und-erbe.org, Simone Bogner.

Limited travel funds are available.

Please find this Call for Papers as PDF and further information about the Research Training Group here: http://www.identitaet-und-erbe.org/?p=971

Programm

Kontakt

Simone Bogner

TU Berlin, Fakultät VI, GRK 2227
Hardenbergstr. 40a, 10623 Berlin

simone.bogner@tu-berlin.de

www.identitaet-und-erbe.org