Meilensteine und Perspektiven der wissensbasierten Wirtschaft

Meilensteine und Perspektiven der wissensbasierten Wirtschaft

Veranstalter
Dr. Yaman Kouli (Technische Universität Chemnitz); Prof. Dr. Markus Hertwig (Technische Universität Chemnitz); Prof. Dr. Peter Pawlowsky (Technische Universität Chemnitz); Fraunhofer-Zentrum für internationales Management und Wissensökonomie (Leipzig)
Veranstaltungsort
eniPROD (Gebäude M), Technische Universität Chemnitz, Reichenhainer Straße 70, 09126 Chemnitz
Ort
Chemnitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2017 - 15.09.2017
Deadline
30.06.2017
Von
Dr. Yaman Kouli

Die Fortentwicklung einer „wissensbasierten Wirtschaft“ – das lässt sich ohne Übertreibung sagen – ist wirtschaftspolitisches Ziel der meisten Staaten dieser Welt. Gerade in Europa handelt es sich dabei um den Hoffnungsträger der Ökonomie. Spätestens seit der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche des Euro-Raums, die sich jedenfalls im Moment selbst durch einen historisch günstigen Leitzins nicht beheben lässt, wird regelmäßig argumentiert, dass Bildung und eine auf ihr beruhende Wirtschaft Europas wichtigste Ressource sei. An der Feststellung, dass Volkswirtschaften langfristig nur bestehen, wenn sie sich der Herausforderung der steigenden Bedeutung von wissensbasierter Produktion stellen, gibt es praktisch keinen Zweifel.

Es mangelt nicht an Forschung zu diesem Thema, wobei sich die Herangehensweisen stark voneinander unterscheiden. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Ansätzen entsprechen dabei nicht immer den Disziplingrenzen. Sozialwissenschaftler gehen vom Paradigma der „Wissensgesellschaft“ aus und untersuchen z. B. neue Formen der Arbeit, Qualifikationsanforderungen und -chancen, oder beschäftigen sich mit Innovationsnetzwerken. Wirtschaftswissenschaftler erkennen ihre Bedeutung ebenfalls an, setzen bei ihren Untersuchungen zu Humankapital und zu Wissensorganisation meist auf der mikroökonomischen Ebene an. Die schärfste Trennlinie verläuft sicherlich innerhalb der wirtschaftshistorischen Forschung. Die quantitative Wirtschaftsgeschichte versucht, enge, regionale Korrelationen der wissensbasierten Wirtschaft mit der Humankapitalbildung, der Alphabetisierung oder der Zahlenalphabetisierung (engl. „numeracy“) zu ermitteln, um hier einen Zusammenhang mit wirtschaftlichem Erfolg nachzuweisen. Die qualitative Forschung widmet sich der Frage, welche Rolle Faktoren wie Unternehmer, die Verwissenschaftlichung des Denkens oder Akteursnetzwerke spielten.

All diesen Forschungsfeldern ist gemein, dass sie zwar empirisch beschreibend vorgehen. Die Qualifikation einer wissensbasierten Ökonomie wird jedoch vorher bloß unterstellt, ein Kriterienkatalog, der diese Unterstellung absichert, existiert jedoch nicht. Gerade hieran besteht jedoch größtes Interesse, handelt es sich doch bei der immateriellen Wertschöpfung um eine Produktionsweise, die zweifellos eine wichtige Fähigkeit erfolgreicher Volkswirtschaften darstellt. Eine überzeugende Definition wissensbasierter Wirtschaft könnte sich dazu hervorragend als Schnittstelle zwischen den genannten Ansätzen erweisen.

Vor diesem Hintergrund gibt es in der Wissenschaft ein hohes Interesse an der Beantwortung der Frage, welches die wichtigsten Merkmale einer wissensbasierten Wirtschaft sind. Zum einen würde sich dadurch die Möglichkeit eröffnen, wissensbasierte Ökonomien überhaupt zu identifizieren. Zum anderen könnten auch diese Merkmale selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden. Analysen zum Wandel des Erziehungs- und Ausbildungssystems, des betrieblichen und sozialen Alltags oder auch der Arbeitsorganisation, um nur einige Beispiele zu nennen, könnten zum besseren Verständnis der „Bausteine der Wissensgesellschaft“ beitragen. Noch dazu ließen sich Trends wie die sog. Digitalisierung der Wirtschaft historisch überzeugender einordnen.

Erschwert wird die Forschung durch eine begriffliche Unschärfe. So erfreuen sich zwar Globalbezeichnungen wie „Agrargesellschaft“, „Dienstleistungsgesellschaft“, „post-industrielle Gesellschaft“ oder die bereits genannte „Wissensgesellschaft“ einer bemerkenswerten Verbreitung. Gleichzeitig besteht innerhalb der Wirtschaftswissenschaft wenig Zweifel daran, dass die analytische Trennung etwa von Agrar-, Industrie- und Dienstleistungssektor nur unzureichend ist. Ohne deren Existenzberechtigung damit grundsätzlich in Zweifel ziehen zu wollen, sind sie jedenfalls nicht geeignet, zur Aufschlüsselung der „wissensbasierten Wirtschaft“ beizutragen. Und selbst der Begriff der „Wissensgesellschaft“ ist weiterhin diffus, da erstens eine überzeugende historische Einordnung noch nicht erfolgt ist und zweitens noch zu häufig eine weitgehende Gleichsetzung mit dem Begriff der „wissensbasierten Wirtschaft“ erfolgt.

Das Thema erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Ziel der Tagung ist es, aktuelle Forschung verschiedener Disziplinen – Historiker, Ökonomen, Sozialwissenschaftler und die Ingenieurswissenschaften sind hier ausdrücklich eingeschlossen – zusammenzuführen, um die weiterhin überzeugende Hypothese der „wissensbasierten Wirtschaft“ zu mehr werden zu lassen als einem Catch-All-Begriff. Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen aus der Forschung und Entwicklung sind eingeladen, Vorschläge für Tagungsbeiträge einzureichen.

Zu folgenden oder verwandten Themen können Abstracts zugesandt werden, wobei auch Analysen aktueller Unternehmen z. B. aus Deutschland oder historische Fallbeispiele sind sehr willkommen sind:
1. „Annäherung an die wissensbasierte Wirtschaft“: sowohl theoretische Analysen wie praktische Fallbeispiele sind willkommen, um den zentralen Merkmalen wissensbasierter Wirtschaft sowie ihrem Verhältnis zum Paradigma der Wissensgesellschaft näher zu kommen. Wie lässt sich Trennendes und Verbindendes beider Begrifflichkeiten erfassen und nutzen?
2. „Meilensteine wissensbasierter Wirtschaft“: Welche historischen Zäsuren – beispielsweise neue Technologien und bahnbrechende Innovationen wie Internet, Kernenergie oder Erneuerbare Energien – haben die wissensbasierte Wirtschaft geprägt?
3. Stellt die wissensbasierte Wirtschaft die Zukunft der Industriegesellschaft dar, gerade auch, wenn es um Nachhaltigkeit geht? Sorgen Innovationen automatisch für Wachstum? Und bringt Wachstum wiederum Jobs, die Europa so dringend benötigt?
4. Welche technischen Aspekte spielen bei der wissensbasierten Wirtschaft eine Rolle und wie sind Deutschland und die Bundesländer dort aufgestellt?
5. Wissensgesellschaft und soziale Praktiken: Was sind die zentralen Merkmale der Wissensgesellschaft? Wodurch kennzeichnet sie sich in verschiedenen Bereichen des Sozialen? Worin findet sie ihren Ausdruck in Feldern wie Ökonomie, Betrieb, Erziehungssystem oder der alltäglichen Lebensführung?
6. Was sind die langfristigen Folgen der Wissensgesellschaft? Welche Entwicklungen lassen sich antizipieren? Gibt es Fluchtpunkte?
7. Welche verschiedenen nationalen Ausprägungen von Wissensgesellschaft und wissensbasierter Wirtschaft lassen sich identifizieren? Welche wirtschaftspolitischen Konzepte und Agenden liegen vor?
8. Wie unterscheiden sich Geschäftsmodelle in der wissensbasierten Wirtschaft von der nicht-wissensbasierten Wirtschaft (Stichworte Digitalisierung, soziale Innovationen, Wissenswertschöpfung) und welche Anforderungen stellt das an die Entrepreneur und Intrapreneur-Qualifikationen?
9. Wie hat sich Wissen als Teil der Gesellschaft und der Wirtschaft, immer mehr zum entscheidenden Standort- und Produktionsfaktor entwickelt? Was bedeutet das konkret für die angewandte Forschung und die Implementation in die Industrie und Wirtschaft?
10. Wo bleibt die öffentliche Universität, die universitäre und außeruniversitäre Forschung in einer Welt, in der Alternativ-Produzenten von Wissen in der Wissensindustrie reüssieren und gigantische Umsätze generieren?

Die Tagung, die am 14. und 15. September 2017 stattfinden soll, wird durch das Fraunhofer-Institut für internationales Management und Wissensökonomie sowie durch die Professuren für Personalwesen und Führungslehre (Prof. Peter Pawlowsky), für Soziologie mit Schwerpunkt Arbeit und Organisation (Prof. Markus Hertwig) sowie für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Dr. Yaman Kouli) der Technischen Universität Chemnitz durchgeführt. Veranstaltungsort ist die Technische Universität Chemnitz.

Vorschläge für Vorträge (maximal 300 Wörter) sind zusammen mit einem kurzen CV per E-Mail an Dr. Yaman Kouli (yaman.kouli@phil.tu-chemnitz.de) zu senden. Einsendeschluss ist der 30. Juni 2017. Eine Auswahlentscheidung wird bis zum 31. Juli getroffen werden. Die Veröffentlichung der Beiträge in einem Tagungsband ist vorgesehen.

Programm

Kontakt

Dr. Yaman Kouli

Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz
Reichenhainer Straße 39, 09126 Chemnitz
(03 71) 5 31-3 94 93
(03 71) 5 31-83 94 93
yaman.kouli@phil.tu-chemnitz.de

http://www.tu-chemnitz.de