Der Begriff des Liberalismus verweist nicht nur auf eine der einflussreichsten politischen Traditionen Europas und der westlichen Welt. Er umfasst auch eine Vielfalt von Positionen, Denkformen, Mentalitäten, Praktiken und Programmen, die kaum mit einem einheitlichen Begriffsformat zu fassen sind. Seit seiner Entstehung im achtzehnten Jahrhundert versammelt der ›Liberalismus‹ ein spannungsreiches Konglomerat aus politischen Ver-sprechen von Freiheit und Emanzipation, von Staats- und Rechtskonzepten, Freihandelsabkommen, Marktutopien, Menschheitsvisionen und Erziehungs-projekten. ›Bildung‹ als Inbegriff aller liberalen Bestrebungen war das Ideal der verlegerischen Unternehmungen der Familie Mosse und des Historikers George L. Mosse, denen diese Veranstaltungsreihe gewidmet ist.
Historisch war der Liberalismus Schauplatz politischer und sozialer Konflikte in Abgrenzung von autoritären und restaurativen Tendenzen ebenso wie von sozialistischen Bewegungen. Zu seinem Konfliktpotential und Ideenreservoir gehören die Fragen nach der wechselseitigen Abmessung von Freiheit und Gleichheit, von Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit, von Eigentumsrechten und Gemeinwohl.
So sehr sich der deutsche Ordoliberalismus der Nachkriegszeit noch in Kapitalismuskritik übte und nach dritten Wegen zwischen Laissez-faire und Planwirtschaft suchte, so wenig Zweifel besteht daran, dass die neo-liberalistischen Dogmen seit den 1970er Jahren wesentlich zur Durchsetzung des gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus beitrugen. Aktuell ist zu fragen nach den Konsequenzen der im Namen des ›Liberalismus‹ verfolgten finanz-ökonomischen, ökologischen und globalen Umwälzungen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein eher als überholt geltender und dennoch weltpolitisch forcierter Liberalismus heute noch Lösungen zu bieten hat für Probleme, die er selber nicht mehr zu stellen vermag, schon gar nicht für die nicht westlichen Länder.