Macht und Interaktion – Die alteuropäische Stadt im Prozess der Staatsbildung

Macht und Interaktion – Die alteuropäische Stadt im Prozess der Staatsbildung

Veranstalter
Prof. Dr. Rudolf Schlögl SFB 485 "Norm und Symbol" Projekt B4 (Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt)
Veranstaltungsort
KFK / SFB 485 ‚Norm und Symbol’
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2004 - 05.11.2004
Website
Von
Uwe Goppold

„Macht und Interaktion – Die alteuropäische Stadt im Prozess der Staatsbildung“

Im Rahmen des Konstanzer SFB-Teilprojekts ‚Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt‘ wird vom 4. bis zum 5. November 2004 an der Universität Konstanz ein Workshop zum Thema ‚Stadt und Territorium im Prozess frühneuzeitlicher Staatsbildung“ stattfinden. Die Tagung soll Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammenführen, die sich mit der Geschichte von Städten und Territorien, insbesondere aber ihrer Bedeutung für den zwischen Spätmittelalter und 19. Jahrhundert einsetzenden Ausbildungprozess frühmoderner Staatlichkeit beschäftigen.

Die Frühe Neuzeit gilt als Zeitalter der allmählichen Ausbildung des modernen Staats. Dieser Prozess wird mit Schlagworten wie Rationalisierung und Bürokratisierung von Herrschaft, Verrechtlichung sozialer Beziehungen, Sozialdisziplinierung, Monopolisierung von physischen Gewaltmitteln und von Gesetzgebungskompetenz, Ausweitung und Systematisierung der Gesetzgebung, Entstehung von Staats- und Völkerrecht, Souveränitätslehre und Diplomatie, Säkularisierung von Politik und durchgreifende Steuerung des Wirtschaftslebens etc. beschrieben. Auf dem Gebiet des Deutschen Reichs erscheinen als Träger dieses Prozesses vor allem die mittleren und großen Territorien. Die deutschen Städte wurden lange Zeit aus der Betrachtung und Analyse dieses Prozesses ausgeklammert bzw. kamen lediglich als Objekte oder gar als Opfer territorialstaatlicher Bestrebungen nach Ausweitung und Vereinheitlichung von Herrschaftsbereichen vor.

Die Ausdifferenzierung des Fachs „Frühe Neuzeit“ hat hier zu einer Differenzierung auch der Perspektiven auf Stadt und Territorium vor dem Hintergrund einer zunehmender Skepsis gegenüber der Eingängigkeit und Selbstläufigkeit solcher Makroprozesse, wie sie die oben angeführten Schlagworte skizzieren, geführt. Der Begriff des „Absolutismus“ wird als vorläufiger Endpunkt der Staatsbildung in den Territorien zunehmend problematisiert, indem die Zwangsläufigkeit des Prozesses der Staatsbildung selbst in Frage gestellt wird. Regionalstudien haben einen sehr unterschiedlichen und keineswegs zielgerichteten und glatten Verlauf von Territorialisierung und Staatsbildung im Deutschen Reich beschrieben. Dabei wurde auch deutlich, dass der entstehende moderne Staat häufig die Durchsetzung seiner zentral gesetzten Vorgaben vor Ort nicht garantieren konnte oder in jedem Fall anstrebte, sondern in vielen Fällen an lokale und regionale Besonderheiten anschloss oder diese bewusst erhielt oder tolerierte.

So vielfältig, wie sich die territoriale Entwicklung im Deutschen Reich darstellt, so vielfältig erscheint daher auch die Entwicklung der Landstädte und Reichsstädte und ihre Wechselwirkung mit und auf den Prozess der Staatsbildung in den Territorien. Die Landstädte konnten zwar nur in wenigen Fällen eine weitreichende Autonomie bis zum Ende des Alten Reichs erhalten, aber doch in vielen Fällen zumindest begrenzte Selbstverwaltungsrechte bewahrten, die an ältere Traditionen anschlossen. Landstädte konnten zu einem wichtigen Knotenpunkt staatlicher Verdichtungsprozesse werden, indem sie als administrative, wirtschaftliche und kulturelle Zentren des Umlands dienten, über Steuern und Kredite den entstehenden Territorialstaat finanzierten oder ihm mit Beamten und Pfarrern ausgebildetes Personal bereitstellten. Die landesherrlichen Städtegründungen der Frühen Neuzeit, die meist sehr spezifische Sonderfunktionen innerhalb des Territoriums übernahmen, oder auch die herausgehobene Entwicklung großer Reichsstädte mit spezifischen Sonderfunktionen innerhalb des Deutschen Reichs unterstreichen die besondere und unbestrittene Bedeutung von Städten im Prozess der Staatsbildung. Neben diese letztlich doch territorialstaatliche, weil auf ihre Funktionen für das Territorium konzentrierte Perspektive auf die Stadt tritt zunehmend eine Perspektive von „unten“, die die Herausbildung des modernen Staats als Ergebnis eines dialektischen Prozesses begreift. Nicht nur durch die Landesherrschaft, also von „oben“, sondern auch durch die Untertanen, etwa die städtischen Gemeinden, wurde der Prozess der Staatsbildung durch Suppliken und Gravamina, in ständischen Vertretungen, vor Gericht oder in Form des Widerstandes angestoßen oder beeinflusst.
Die innere politische Entwicklung der Landstädte, die sich bei allen Unterschieden mit den Schlagworten „Oligarchisierung“ und „Verobrigkeitlichung“ beschreiben lässt, ist ebenfalls als Ergebnis von Territorialisierung und Staatsbildung aufzufassen, indem die Landstädte ihre Verfassung und Verwaltung auf landesherrliche Zumutungen hin umbauten, aber auch, indem die politische Elite der Landstädte das Herrschaftsmodell des Territorialstaats nach innen aktiv kopierte. Gleiches gilt für die Reichs- und freien Städte, die nach innen ebenfalls zunehmend auf ein am modernen Staat orientiertes Herrschaftsmodell umstellten, nach außen als Obrigkeiten und damit als souveräne Partner der Territorialherren aufzutreten und soweit möglich eigene Territorien aufzubauen bzw. staatlich zu verfestigten versuchten.

Staatsbildung ist also in der historischen Forschung längst nicht mehr nur ein Prozess, der aus der Perspektive des Territoriums hinreichend beschrieben und Staatlichkeit längst kein Herrschaftsmodell mehr, das ausschließlich an das Territorium geknüpft wird. Stadt und Territorium in der Frühen Neuzeit erscheinen nicht einfach als zwei prinzipiell gegensätzliche und konkurrierende Modelle sozialer und politischer Ordnung, sondern als räumlich, funktional, politisch und sozial eng verflochtene und aufeinander verwiesene Vergesellschaftungsformen. Damit stellen sich zwei Fragekomplexe aber mit neuer Dringlichkeit. Zum einen die Frage nach den Möglichkeiten einer systematischeren Analyse der Wechselverhältnisse von Stadt und Territorium im Hinblick auf den Prozess der Staatsbildung, insbesondere die sich dabei ergebenden methodischen Probleme und die Möglichkeiten zur theoretischen Abstraktion der vielfältigen regionalen Befunde. Zum anderen die Frage nach den unbestreitbaren Spezifika von Stadt und Territorium in der Frühen Neuzeit und ihrer Veränderung, Angleichung oder Auseinanderentwicklung durch den Prozess der Staatsbildung. Historische Städteforschung und Territorialgeschichte, die bislang meist getrennt voneinander betrieben wurden, bedürfen dazu einer stärkeren Verknüpfung. Diese Verknüpfung sollte dabei nicht nur auf mögliche Transferprozesse zwischen Stadt und Territorium abheben, sondern – und das wäre ein dritter, eigenständiger Fragekomplex – auf die Frage nach einer übergreifenden, regionalen oder gar nationalen politischen Kultur, die durch das spezifische Verhältnis politischer Einheiten wie Städten und Territorien geprägt ist. Hier wird dann insbesondere eine europäische Vergleichsperspektive relevant. Der Blick in die Niederlande oder die Schweiz, nach Italien, Frankreich, England, Spanien oder aber auch nach Osteuropa könnte die Bedeutung der Stadt auch im frühneuzeitlichen Deutschen Reich neu gewichten helfen.

Die Betonung von Transferprozessen und Wechselbeziehungen und der Integration der Städte in übergreifende politische Landschaften legt einen kommunikationstheoretisch fundierten Zugriff auf das Thema des Workshops nahe. Ein solcher Zugriff ermöglicht es, eine übergreifende Fragestellung zu formulieren, nämlich, in welcher Weise in den Städten und Territorien die je unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen unterschiedliche Formen der Herstellung und Reproduktion von sozialer und politischer Ordnung notwendig machten und auch die Kommunikationsprozesse zwischen Städten und Territorien prägten.

So betrachtet lässt sich Staatsbildung auffassen als nur eine Antwort auf das Problem der Herstellung und Reproduktion sozialer und politischer Ordnung, die im frühneuzeitlichen Europa besondere theoretische und praktische Wirkmächtigkeit entfaltete. Dabei scheinen die Ordnungsprobleme, mit denen territoriale Herrschaft konfrontiert wurde, gerade im Vergleich zu städtischer Herrschaft eine höhere Affinität zur Staatsbildung bedingt zu haben. Als grundlegende Differenz zwischen Stadt und Territorium erscheint diesbezüglich die unterschiedliche Reichweite von Herrschaft. Während die Stadt soziale und politische Ordnung vor allem über face-to-face-Kommunikation, also – wie es die moderne Kommunikationstheorie ausdrückt – in „Interaktion“, herstellte, griff das Territorium notwendig auf medial vermittelte Formen von Macht und Herrschaft zurück. „Interaktion“ als Ausdruck dieser Wechselbeziehungen zwischen den übergreifenden politischen Einheiten und ihren Teilen – z.B. der landesherrlichen Administration und den Städten – bezeichnet mithin etwas andres als der kommunikationstheoretisch fundierte Begriff von Interaktion als face-to-face-Kommunikation unter Anwesenden. Gerade die Differenz aber zwischen medial vermittelter Kommunikation und face-to-face-Kommunikation soll für diesen Workshop fruchtbar gemacht werden.

Zwar sahen sich viele Städte, insbesondere solche mit starkem Bevölkerungswachstum, großem Territorium oder starker sozialer und ökonomischer Differenzierung mit ähnlichen Ordnungsproblemen wie die Territorien konfrontiert. Doch scheint face-to-face-Kommunikation die politische Kultur der Städte als Leitmodell der sozialen und politischen Ordnung bis zum Ende des Alten Reichs geprägt zu haben. Das zeitgenössische Bewusstsein von der besonderen Verfasstheit der Städte findet ihren Ausdruck in theoretischen Reflexionen, die der historischen Forschung als Grundlage für die Konstruktion eines „alteuropäischen Republikanismus“ und eines „Kommunalismus“ dient. Zu Beginn der Frühen Neuzeit findet die Bedeutung dieses Leitmodells seinen Ausdruck darin, dass städtische Politik stark situations- und kontextgebunden blieb und obrigkeitliche Entscheidungen pragmatisch aktuellen Machtverhältnissen angepasst waren. Es stellt sich dann die Frage, inwiefern unter diesen Bedingungen – vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg – Staatlichkeit ausgebildet und ob sie in originär „städtischer“ Art und Weise angeeignet werden konnte. Welche Rolle für einen solchen Zug Richtung Staatlichkeit Faktoren wie Größe und Wachstum, ökonomische Bedeutung und Stabilität, die Existenz und die Größe eines eigenen Territoriums, die Stärke der benachbarten Territorialherren oder die „Reichsnähe“ und „Reichsferne“ von Städten spielten, bedarf einer genaueren Untersuchung. Gewiss ist jedenfalls, dass sich Stadt und Staatsbildung nicht ausschließen, offen ist jedoch, ob sich Staatlichkeit in den Städten mit einem auf das territorialstaatliche Modell ausgerichteten Blick aufspüren lässt.
Herrschaft in den mittleren und größeren Territorien war nicht von vornherein in selber Weise wie in den Städten vor Ort präsent. Die Territorien stellten daher nicht nur früher und stärker auf normativ eindeutig fixierte und auf Dauer gestellte Formen von Herrschaftsausübung um, sondern bedienten sich darüber hinaus auch der Einbindung lokaler – nicht zuletzt städtischer – Intermediärgewalten als institutionalisierten Instanzen landesherrlicher Administration und Regierung. Zu Beginn der Frühen Neuzeit erfüllten solche Intermediärgewalten für den Landesherrn vor allem die Funktion, die Latenz elementarer Herrschaftsansprüche zu gewährleisten, auch und gerade dann, wenn solche landesherrlichen Herrschaftsansprüche nur bedingt durchsetzungsfähig waren. Dabei waren repetetive Formen wie landesherrliche Konfirmationen lokaler Entscheidungen oder regelmäßige Huldigungsakte von großer Bedeutung. Beobachten lässt sich dann in vielen Fällen im Verlauf der Frühen Neuzeit ein Prozess der personellen und institutionellen Assimilation solcher lokaler Gewalten in territorialstaatliche Strukturen. So konnte der städtische cursus honorum allmählich einen festen Platz am unteren Ende der territorialstaatliche Ämterlaufbahn einnehmen. Verbunden war dies mit dem Umbau der zuvor nur lose an die übergeordnete Administration gekoppelten lokalen Gewalten zur untersten Instanz dieser Territorialverwaltung. Die staatliche Integration von Städten, geistlichen und adeligen Herrschaften in territoriale Zusammenhänge erweist sich, wie schon eingangs erwähnt, als dialektischer Prozess. Gerade die Auseinandersetzungen zwischen lokalen Gewalten einerseits und der Landesherrschaft andererseits um die Reichweite der Autonomie solcher lokaler Gewalten und ihrer Funktionen im territorialstaatlichen Gefüge, entfalten eine wichtige integrative Wirkung. Das Territorium wurde gewollt oder ungewollt in solchen Konflikten zum zentralen Bezugspunkt politischen Handelns. Die Stadt im Territorium erscheint so als wichtiger Generator für die Entstehung moderner Staatlichkeit.

Programm

Tagungsprogramm

Donnerstag, 04.11.2004

09:00-09:30
PROF. DR. RUDOLF SCHLÖGL (Konstanz)
Begrüßung und Einführung

I. Sektion: DIE STADT IM STAAT

09:30-10:30
DR. BRIGITTE MEIER (Frankfurt/Oder)
Die Ratsherren als Mittler zwischen städtischen und staatlichen Interessen in der Zeit zwi-schen 1648 und 1848. Das Beispiel der kurmärkischen Stadt Neuruppin.

10:30-11:00
Kaffeepause

11:00-12:00
PHILIP HOFFMANN (Konstanz)
Widerstrebende Elemente oder gestaltende Kraft? Zur Rolle der Zünfte im Prozess der Staats-bildung am Beispiel Leipzig/ Kursachsen.

12:00-13:00
ALEXANDER SCHLAAK (Konstanz)
„Wo solches nicht geschieht, werde ich verůrsachen, ferner solches an höhern Orttern zůsu-chen laßen“. Zum Charakter des Supplikenwesens in der frühneuzeitlichen Residenzstadt Dresden.

13:00-14:30
Mittagspause

II. Sektion: DER STAAT VOR ORT

14:30-15:30
DR. NILS JÖRN (Greifswald)
Lübecker Oberhof vs. Hofgerichte. Stralsund, Rostock und Wismar zwischen Hanse und Ter-ritorialstaat

15:30-16:30
DR. DES. UWE GOPPOLD (Konstanz)
Persistenz politischer Kommunikationsformen in der frühneuzeitlichen Stadt: Münster vor und nach dem Fall an den Landesherren (1661)

16:30-17:00
Kaffeepause

17:00-18:00
PATRICK OELZE (Konstanz)
Der Streit um die Leiche – Territorialkonflikte zwischen Schwäbisch Hall und Brandenburg-Ansbach im 17. und 18. Jahrhundert.

Freitag, 05.11.2004

III. Sektion: DIE STADT ALS STAAT

08:30-9:30
PROF. DR. ANDRÉ HOLENSTEIN (Bern)
Interaktion als Herrschaftstechnik. Die Ämteranfragen eidgenössischer Städte im 15./16. Jahrhundert

9:30-10:00
Kaffeepause

10:00-11:00
DR. ACHIM LANDWEHR (D´dorf)
Stadtvolk - Staatsvolk. Bevölkerungserhebungen in Venedig im 17. und 18. Jahrhundert

11:00-12:00
DR. BERND KANNOWSKI (Frankfurt)
Die mittelalterliche Stadt als „Treibhaus des modernen Verwaltungsstaates“? Kommunikation und Verrechtlichung in Frieden und Unruhe anhand der Fallstudien München 1377 und Ulm 1396

12:00-13:30
Mittagspause

13:30-14:30
PROF. DR. ANDREAS SUTER (Bielefeld)
Die städtische Territorialherrschaft und städtischer Territorialadministration im Vergleich zur territorialherrschaftlicher Herrschaft: Alte Eidgenossenschaft und Altes Reich.

Ab 14:30
Abschlussdiskussion

Kontakt

Uwe Goppold
Universität Konstanz
Z 912
78467 Konstanz
Tel.: 07531 88 4668


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