Gebrochene Sprache. Filmautoren und Schriftsteller des Exils. 29. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Gebrochene Sprache. Filmautoren und Schriftsteller des Exils. 29. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Veranstalter
CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. und Bundesarchiv in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg und Kommunales Kino Metropolis
Veranstaltungsort
Gästehaus der Universität, Rothenbaumchaussee 34, 20148 Hamburg / Metropolis-Kino, Kleine Theaterstr. 10, 20354 Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.11.2016 - 27.11.2016
Von
Erika Wottrich

cinefest 2016 beschäftigt sich mit den Karrieren von Drehbuchautoren und Schriftstellern, die aus politischen oder rassistischen Gründen ins Exil vertrieben wurden, vor allem aus Nazi-Deutschland. Gerade erfolgreiche Autoren hatten es besonders schwer, in einer fremdsprachigen Umgebung ihre gewohnte Arbeit fortzusetzen. Ihr vielfach zur Kunst entwickeltes Handwerkszeug, der differenzierte Umgang mit der Muttersprache und ihren kulturellen Traditionen galten nichts mehr. Während z.B. Musiker in Hollywood vielfach geehrt wurden und eine einflussreiche Schule der Filmmusik entwickelten, mussten sich bisher oft gefeierte Autoren erst in einer neuen Sprache zurechtfinden und an ungewohnte Methoden der Studios anpassen. Dennoch gelang es manchen, sich in der fremden Sprache zu etablieren. Bisweilen verbanden sie alte kulturelle Erfahrungen mit denen des Exillandes und kreierten interessante neue Misch-Genres.
Einigen gelang der Wechsel auf den Regie-Stuhl oder hinter den Produzenten-Schreibtisch, so z.B. Billie/Billy Wilder und Hermann Kosterlitz/Henry Koster oder Rudolf Katscher, der als Rudolph Cartier die Tradition der BBC-Fernsehspiele mitbegründete. Der in Hamburg geborene Felix Joachimson machte als Felix Jackson in den USA mit Musical-Drehbüchern und als Fernsehproduzent Karriere.

Während das Filmprogramm etwas breiter angelegt ist und unterschiedliche Exilkontexte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt, wird der Fokus beim 29. Internationalen Filmhistorischen Kongress auf der Exilsituation während des Dritten Reichs liegen.
Im Emigrantenroman »Those Torn From Earth« (dt.: »Menschliches Treibgut«) verarbeitete der exilierte Komponist Friedrich Hollaender das Schicksal vieler seiner Mit-Exilanten. Wir werden als Einstieg einen Blick auf das 1941 in New York veröffentlichte Werk und seinen Autor werfen, ebenso wie auf den Episodenfilm TALES OF MANHATTAN (1941/42), an dessen Produktion viele Exilanten beteiligt waren.
Ein naheliegendes und wichtiges Exilland war Frankreich, so auch für Slatan Dudow, der seinen Film SEIFENBLASEN (1933/34) – noch in Deutschland begonnen – dort nach seiner Flucht beendete. In Paris wurde der Produzent Max Glass für viele geflüchtete Künstler eine wichtige Anlaufstelle und Arbeitgeber.
Einige Schriftsteller, wie Irène Némirowsky, Alfred Kerr und Friedrich Torberg, versuchten – mit unterschiedlichem Erfolg – im Exil eine Karriere als Drehbuchautoren aufzubauen; vielleicht auch in der Annahme, diese Art des Schreibens sei leichter in der fremden Sprache zu bewerkstelligen. Auch viele Filmkritiker waren in Nazi-Deutschland nicht mehr sicher und verließen das Land. Darunter Siegfried Kracauer und Lotte Eisner. Kracauer setzte in den USA seine Untersuchungen zur Filmgeschichte fort, weit weniger bekannt ist, dass er zuvor in Frankreich auch Drehbücher schrieb. Eisner versuchte, sich weiterhin mit dem Schreiben von Filmkritiken durchzuschlagen, bevor sie beim Aufbau der Cinémathèque mitwirkte. Die Schicksale von Autorinnen wie Gina Kaus, die in den USA u.a. das Drehbuch zu THE WIFE TAKES A FLYER (1942) verfasste, und Anna Gmeyner (PASTOR HALL, 1940) werden beim Kongress genauso thematisiert wie Ludwig Bergers niederländisches Exil, wo er u.a. den Antinazi-Film ERGENS IN NEDERLAND (1940) schrieb. Ein Vortrag wird sich mit Willy Haas beschäftigen, der 1920 aus Prag nach Berlin kam, wo er sich einen Namen als Filmkritiker machte und Drehbücher schrieb. Er kehrte 1933 nach Prag zurück und floh beim Einmarsch der Deutschen 1939 über Frankreich und Triest nach Bombay, wo er auch als Drehbuchautor arbeitete.
Nicht alle Emigranten hatten Erfolg in der fremden Sprache, viele mussten im Exil bittere Rückschläge hinnehmen. Oftmals spielte der Zufall eine große Rolle sowie Wohltäter, die den Gestrandeten unter die Arme griffen. Beim Kongress werden die Werdegänge und Schicksale der verschiedenen Autoren sowie ihre Werke beleuchtet und kontextualisiert.

Der 29. Internationale Filmhistorische Kongress ist integraler Bestandteil des XIII. cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes (19.–27.11.). Er wird am Abend des 23.11.2016 im Metropolis-Kino eröffnet. Während der Veranstaltung werden auch die Willy-Haas-Preise für eine bedeutende internationale Publikation (Buch und DVD) verliehen.
Die Vorträge des Kongresses finden vom 24.–26.11., jeweils von 9.30–16.00 Uhr, im Gästehaus der Universität statt. Ab 17.00 Uhr laufen im Metropolis-Kino Filmvorführungen zum Thema.

Die Vorträge des Kongresses werden in überarbeiteter Form anschließend in einem CineGraph Buch veröffentlicht.

Anmeldung: http://www.cinefest.de/d/akkreditierung.php

Weitere Informationen auch unter: http://www.cinefest.de

Programm

Mittwoch, 23. November 2016

Metropolis-Kino (Kleine Theaterstr. 10)
16:30 OBCHOD NA KORZE (DER LADEN AUF DEM KORSO) (CS 1964, Ján Kadár, Elmar Klos), 125 min

19:30 Kongress-Eröffnung
mit Verleihung der Willy Haas-Preise
Eröffnungsfilm: AUS DER FERNE SEHE ICH DIESES LAND (BRD 1977/78, Christian Ziewer), 100 min

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Donnerstag, 24. November 2016

Gästehaus der Universität (Rothenbaumchausee 34)
09:30 Begrüßung

09:45 – 12:00 Panel 1: MENSCHLICHES TREIBGUT

Geoff Brown, London: "The 5,000 Fingers Of Dr. H: Friedrich Hollaender And His Novel Of Exile, ‘Those Torn From Earth’"

Réka Gulyás, Berlin: "The Human Touch. Autoren des Films Tales of Manhattan und ihre Beiträge"

12:00 – 12:30
Undine Beier, Berlin: "Das Bundesarchiv – Recherche im Archivgut"

13:45 – 16:00 Panel 2: FILMKRITKER IM EXIL

Michael Girke, Herford: "'The Tradition of Lost Causes'. Siegfried Kracauers Filmdrehbücher der Exilzeit"

Julia Eisner, London: "Lotte Eisner in exile: relocated and reinvented"

Metropolis-Kino

17:00 KLEINE MUTTI (AT/HU 1935, Hermann Kosterlitz), 95 min
Einführung: Brigitte Mayr

19:00 IN PELICULAS ESCONDIDAS. UN VIAJE ENTRE EL EXILIO Y LA MEMORIA (ARG/D 2016, Claudia Sandberg, Alejandro Areal Vélez), 77 min, OmU

21:15 ERGENS IN NEDERLAND (IRGENDWO IN DEN NIEDERLANDEN) (NL 1940, Ludwig Berger), 86 min, OmU

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Freitag, 25. November 2016

Gästehaus der Universität
09:30 – 12:30 Panel 3: FLUCHTPUNKT FRANKREICH

Thomas Tode, Hamburg: "Fragmentierung, Atemlosigkeit, Beklommenheit. Slatan Dudow im französischen Exil."

Heike Klapdor, Berlin: "Films parlés. Die Filmtexte der Schriftstellerin Irène Némirovsky."

Christoph Fuchs, Hamburg: "Herr Glass und die Geschichte. Eine ungewöhnliche Karriere in fünf Bildern."

14:00 – 16:00 Panel 4: AUTORENSCHICKSALE I

Deborah Vietor-Engländer, Darmstadt: "'Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich gern (aber halten Sie sich fest) einen Versuch als Filmschauspieler machen würde'. Alfred Kerrs Filmskripte im Exil"

Michael Omasta, Wien: "Eine Stimme im Wind. Friedrich Torberg als Drehbuchproletarier in Hollywood"

Metropolis-Kino
17:00 SEIFENBLASEN (D/F 1933/34, Slatan Dudow), 35 min, OmU
Vorfilm: SLATAN DUDOW: EIN FILMESSAY ÜBER EINEN MARXISTISCHEN KÜNSTLER (DDR 1974, Volker Koepp), 29 min
Einführung: Ralf Schenk

19:30 AZ ARANYEMBER (Der rote Halbmond) (HU 1918, Alexander Korda), 80 min. Stumm
Musik: Michael Riessler
Einführung: Nina Goslar

21:30 THE WIFE TAKES A FLYER (US 1942, Richard Wallace), 87 min, OF
Einführung: Jan-Christopher Horak

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Samstag, 26. November 2016

Gästehaus der Universität
09:30 – 11:30 Panel 5: AUTORENSCHICKSALE II

Brigitte Mayr, Wien: "Dem Exil zum Trotz – Script: Anna Gmeyner. Eine Wiener Autorin im britischen Kino"

Jan-Christopher Horak, Los Angeles: "Gina macht Propaganda. Gina Kaus in Hollywood"

11:30 – 12:00
Annika Souhr-Könighaus, Berlin: "Das Bundesarchiv – Präsentation der Filmothek"

13:00 – 15:00 Panel 6: VERSCHLUNGENE PFADE

Christian Rogowski, Amherst, Massachusetts: "'Gewählter König von Holland'. Ludwig Bergers Amsterdamer Exil"

Francesco Pitassio, Udine: "Distance, Closeness, and Everything in Between. Willy Haas, between Cultures, Arts, and Eras."

15:15 – 16:00 Abschlussdiskussion

Metropolis-Kino
17:00 DU HAUT EN BAS (FR 1933, G. W. Pabst), 80 min, OmU
Einführung: Heike Klapdor

19:00 WISSEN SIE NICHT, WO HERR KISCH IST? (DDR/CS 1985, Eduard Schreiber), 19 min

TONKA ŠIBENICE (Die Galgentoni) (1929/30, Karel Anton)
Einführung: Francesco Pitassio

21:15 PASTOR HALL (GB 1940, Roy Boulting), ca. 95 min
Einführung: Brigitte Mayr

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Sonntag, 27. November 2016

Metropolis-Kino
14:30 KOMEDIE OM GELD (NL 1936, Max Ophüls), 82 min, OmU
Einführung: Ralf Schenk

17:00 NINOTCHKA (US 1939, Ernst Lubitsch), 80 min, OmU
Einführender Vortrag: Evelyn Hampicke: "Geopolitische Kleiderwelten erzählen Emigration"

19:00 TALES OF MANHATTAN (US 1941/42, Julien Duvivier), ca. 120 min, OF

21:15 THE PRIVATE LIFE OF HENRY VIII (DAS PRIVATLEBEN HEINRICHS VIII.) (GB 1933, Alexander Korda), ca. 95 min, DF

Kontakt

Erika Wottrich
Swenja Schiemann

Schillerstr. 43
22767 Hamburg
040-352194
040-345864
kongress@cinegraph.de

http://www.cinefest.de