Religion und Magie in Ostmitteleuropa

Religion und Magie in Ostmitteleuropa

Veranstalter
Lehrstuhl für Neuere u. Neueste Geschichte Osteuropas u. seiner Kulturen, Universität Passau; Fachkommission für Religions- und Kirchengeschichte im Herder-Forschungsrat
Veranstaltungsort
Universität Passau, Nikolakloster (Altbau), Raum NK 403
Ort
Passau
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.11.2004 - 06.11.2004
Website
Von
Prof. Dr. Thomas Wünsch

Die wichtigsten Aporien der bisherigen Forschungslage sind:
1. Die Behandlung der Magie als Teil der „Volksreligiosität“ – und das, obwohl unser Wissen darüber bis ins 17. Jh. hinein durchwegs aus der Feder einer intellektuellen Elite stammt. Streng genommen übernimmt die moderne Forschung damit die seit dem Mittelalter von der „Verfolgerseite“ gepflegte Sichtweise. Gelegentliche Warnungen vor allzu strenger Dichotomie, wie sie von H. Fichtenau, R. Kieckhefer oder R. van Dülmen geäußert wurden, fanden nicht genügend Gehör.

2. Generell die ständische Einengung von Magie, was sich in der Terminologie v.a. in der Zuweisung zur „Volkskultur“ niederschlägt. Hier wird weder dem Faktum Rechnung getragen, daß die Adressaten vieler Verbote magischer Praktiken selbst Kleriker waren, noch dem Umstand, daß meistens Intellektuelle von der Stadt aufs Land sahen, noch auch der aus den Quellen nachweisbaren Tatsache, daß Magie (und sei es „weiße“ Magie) selbst von Bischöfen geübt wurde – siehe den Regenzauber, den Bischof Bernward von Hildesheim (993-1022) praktizierte. Für den in Deutschland wie Schlesien, Böhmen und Polen verbreiteten Brauch des „Todaustragens“ hat man ermittelt, daß die Trägerschicht bis ins 14. Jh. Kleriker waren.

3. Die mangelnde Einbeziehung der Historizität bei der Beurteilung von Magie. Was dem Biographen des Bischofs Bernward im 11. Jh. löblich erschien, wäre dem Chronisten Jan Dlugosz im 15. Jh. wohl als ein Relikt des Heidentums vorgekommen. Damit ist nicht nur gemeint, daß der Humanismus – und D_ugosz gehört in diesem Fall dazu – mit seiner Tendenz zur Mythologisierung gerade im religiösen Bereich auch die Bewertung von Magie grundsätzlich änderte. Magische Praktiken sind nicht auf eine Bedeutung als Relikte oder kulturelle „Überbleibsel“ zu beschränken; dies dürfte erst – mit humanistischem Vorlauf – ein Konstrukt der retrograd projizierenden Volkskunde des 19. und 20. Jhs. sein. Entscheidender noch ist die Besinnung darauf, daß Magie, die im ganzen Mittelalter und in der frühen Neuzeit als „abusio von Religion“ gesehen wurde (bis sie die Aufklärung zu einer „abusio der Vernunft“ machte), einem Deutungsprozeß unterlag. Er spielte sich hauptsächlich und über Jahrhunderte hinweg in den Synoden ab – also in denselben Gremien, die, in einem ebenfalls historischen Prozeß, die Dogmen als normative Selbstbesinnung der Kirche (bzw. Teilkirchen) entwarfen.

4. Die fehlende Folgerung daraus, daß Magie, verstanden als Teilbereich von Aberglaube, weitgehend als ein „literarisches“ Phänomen charakterisiert werden kann. Sowohl Augustinus wie Caesarius von Arles und deren Ausschreiber reproduzierten ein spätantik-mediterranes Wissen von superstitiones, das gleichwohl nicht mehr in Frage gestellt wurde – bis in die Neuzeit nicht, und auch nicht an der „Peripherie“ der Christenheit (z.B. in Polen und Litauen). Die Konsequenz aus diesem Befund kann nur lauten, analog zum Postulat der Ketzerforschung: Anhänger von Magie ist man nicht, sondern man wird dazu gemacht! Magie sollte deshalb – und sei es vorläufig nur hypothetisch – verstanden werden als vorrangig „kommunikatives Konstrukt“, das Funktionen beim Erhalt der gruppenimmanenten Stabilisierung religiöser Gemeinschaften erfüllte.

Ausgehend von diesen Vorüberlegungen möchte die hier projektierte Tagung Anstöße für die Verfolgung neuer Forschungsziele geben. Sie verbindet systematische und regional zentrierte Anliegen. Die systematischen sind:
- Magie zunächst einmal als Ingrediens von Religion schlechthin aufzufassen und ihren Funktionshorizont innerhalb der Religion(en) und Konfessionen zu bestimmen;
- die Träger magischer Handlungen und die Adressaten von Verboten gegen solche Handlungen zu ermitteln;
- die Historizität magischer Praktiken bzw. ihrer Bewertung offenzulegen;
- die Schnittstellen mit verwandten („akkreditierten“) religiösen Phänomenen zu untersuchen: Heiligenverehrung, Wunderglaube, Reliquienkult, liturgische Handlungen allgemein. Dahinter steht die Erkenntnis, daß die „Manipulation okkulter Kräfte“, die Magie kennzeichnet, von der Beeinflussung transzendenter Mächte, wie sie „legitime“ religiöse Handlungen vielfach betreiben, kaum mit befriedigender Trennschärfe zu unterscheiden ist. Man denke hier nur an kirchlich approbierte Vermischungsphänomene wie z.B. die „wundertätigen Könige“ (vor allem in Frankreich), die besondere (und beständig vom Abgleiten ins „Heidentum“ bedrohte) Ausgestaltung des Prozessionswesens, oder die „anthropomorphen Reliquiare“ im Bereich der Heiligenverehrung.

Die regionale Konzentration auf Ostmitteleuropa, die Vergleiche innerhalb ganz Mitteleuropas impliziert, hat nicht nur pragmatische Gründe. Wenn Magie – wie hier als Hypothese angenommen – tatsächlich ein integraler Bestandteil (auch) der christlichen Religion ist, dann sollte ein Zusammenhang bestehen mit den Synkretismen, die für diese Religion so elementar sind. Und das nicht nur am Beginn überhaupt, d.h. in der Spätantike, sondern auch bei jedem Neubeginn, also auch im Gefolge der relativ späten Christianisierung des östlichen Europa – oder den „kleinen“ Neuanfängen, die für jede dauerhafte Religionsgruppenbildung (Hussiten; Konfessionalisierung) typisch sind. Da für den östlichen Teil der christlichen Hemisphäre Europas aber nicht nur eine „Verspätung“ charakteristisch ist, sondern auch ein relativ zügiges „Aufholen“, d.h. die intellektuelle Kultur spätestens im 14. Jh. ein allgemein-europäisches Niveau erreicht hat, bietet sich dieser Raum als Forschungsfeld geradezu an. Die zeitliche Distanz zwischen Missionierung bzw. innerer Durchdringung mit dem Christentum und (gelehrter) Reflexion sowie breiterer Schriftlichkeit ist hier im Osten deutlich geringer als im Westen Europas. Magie erscheint geeignet, anhand des historisch einzuordnenden Materials das Selbstverständnis von Religion in seinem gesellschaftlichen Bezugsfeld aufzeigen zu können. Gerade dafür dürfte sich kaum eine andere europäische Großregion besser eignen als die Länder Ostmitteleuropas, die einen in der Forschung noch längst nicht ausgeschöpften Reichtum an religiöser Vielfalt und dementsprechenden Synergismen zu bieten haben.

Programm

Religion und Magie in Ostmitteleuropa
(Spätmittelalter und frühe Neuzeit)
- Passau, 4.-6. November 2004 -

PROGRAMM

Donnerstag, 4.11.:
Grundsätzliches: Mittelalter und Neuzeit, Kriminalisierung und Stimulierung
(Moderation: Prof. Dr. Alexander Patschovsky, Univ. Konstanz)

16.00 Begrüßung

16.15 Einführung: Prof. Dr. THOMAS WÜNSCH, Univ. Passau

16.30 Vortrag 1
Prof. Dr. RICHARD KIECKHEFER, Northwestern Univ. Evanston
„Magic at Innsbruck: the case of 1485 reexamined“

17.30 Vortrag 2
Prof. Dr. CHRISTOPH DAXELMÜLLER, Univ. Würzburg
„Magie zwischen Religion und Wissenschaft am Hof Rudolfs II. von Habsburg in Prag“

Freitag, 5.11.: Böhmen – Mähren – Österreich
(Moderation: Prof. Dr. Winfried Eberhard, GWZO Leipzig)

9.00 Vortrag 3
Prof. Dr. BERND-ULRICH HERGEMÖLLER, Univ. Hamburg
„Heiltümer und Symbole im Zeitalter der Luxemburger. Reliquienkult und Bildersturm in Böhmen von Karl IV. bis zu den Hussiten“

9.45 Vortrag 4
Dr. ZDENEK UHLIR, NB Praha
„Die Traktate ‚De superstitionibus‘ in den böhmischen Handschriften des Spätmittelalters“

10.30 Kaffeepause

11.00 Vortrag 5
PD Dr. STEFAN SAMERSKI, GWZO Leipzig
„Exorzistische Praktiken und apotropäische Schutzzeichen in Olmütz. Eine jesuitische Propaganda“

11.45 Vortrag 6
Dr. des. PETR MAT’A, Praha
„Stimmen aus dem Fegefeuer. P. Hieronymus Gladich SJ und seine charismatische Tätigkeit in Ungarn, Österreich und Böhmen im 17. Jahrhundert“

12.30 Mittagspause

(Moderation: Prof. Dr. Joachim Bahlcke, Univ. Stuttgart)

14.00 Vortrag 7
Prof. Dr. MARTIN SCHEUTZ, Univ. Wien
„Schatzgräberei in den österreichischen Ländern (vornehmlich im 17. Jahrhundert)“

Preußen – Livland
14.45 Vortrag 8
Dr. BERNHART JÄHNIG, Geheimes Staatsarchiv Berlin
„Magie im alten Ordensland – Zum Nachleben vorchristlicher Vorstellungen im Herzogtum Preußen“

15.30 Kaffeepause

16.00 Vortrag 9
Prof. Dr. THOMAS WÜNSCH, Univ. Passau
Normgebung jenseits von Heidentum und Katholizismus. Der lutherische Prediger Paul Einhorn in Kurland (1. Hälfte 17. Jh.)

Polen – Litauen
16.45 Vortrag 10
Dr. TOMASZ WISLICZ, Instytut Historii PAN Warszawa
„‘Miraculous Sites‘ in Early Modern Polish-Lithuanian Commonwealth“

Samstag, 6.11.:
(Moderation: Dr. Beata Wojciechowska, Akademia Swietokrzyska Kielce)

9.00 Vortrag 11
Dr. BENEDEK LÁNG, Budapest Univ.
„The criminalization of possessing necromantic books in 15th c. Krakow“

9.45 Vortrag 12
Dr. JERZY KALISZUK, Uniw. Warszawski
„The Three Kings in popular piety in Central Europe in the late Middle Ages“

10.30 Kaffeepause

(Moderation: Dr. Adam Fijalkowski, Uniw. Warszawski)

11.00 Vortrag 13
Dr. KRZYSZTOF BRACHA, Instytut Historii PAN Warszawa
"Magie- und Aberglaubenskritik in den polnischen Predigten des Spätmittelalters"

11.45 Vortrag 14
Prof. Dr. EDWARD POTKOWSKI, Uniw. Warszawski
„Vorstellungen zu den heiligen und dämonischen Wirkungen der Schrift im Polen des 15.-16. Jahrhunderts“

12.30 Mittagspause

Südosteuropa
(Moderation: Dr. Meinolf Arens, Ungarisches Institut München)

14.00 Vortrag 15
Prof. Dr. KONRAD GÜNDISCH, Bundesinstitut Oldenburg
„Vlad der Pfähler (Dracula) und Transylvanien – Fakten, zeitgenössische Propaganda, Mythen“

14.45 Vortrag 16
Dr. THEDE KAHL, Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut Wien
„Der Böse Blick – Praktiken und Rezeption der Baskania“

15.30 Kleine Kaffeepause

(Moderation: Thomas Wünsch)

15.45 Kurzvortrag
Mgr. BLANKA SZEGHYOVÁ, Univ. Bratislava
„Town authorities in the 16 c. Hungary and their attitude to magic“

16.00 Abschlußdiskussion

16.45 Empfang in Neuburg a. Inn

Kontakt

Organisation und Leitung:
Prof. Dr. Thomas Wünsch
Universität Passau
94030 Passau
e-mail: thomas.wuensch@uni-passau.de, Tel.: 0851/509-2870

ekretariat (Frau Stern) -2871, Fax: -2872


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