Akte, Archiv und Sammlung: Die materiale Grundlage unseres kulturellen Gedächtnisses und Wissensspeichers treibt die Wissenschafts- und Wissensgeschichte seit geraumer Zeit um. Aber wie hängen abheften und ablegen, dokumentieren und archivieren, sortieren und speichern zusammen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Kolloquiums Außer der Reihe, die wir am Beispiel des Historischen Krankenblattarchivs der Charité erörtern wollen.
Das Historische Psychiatriearchiv der Charité umfasst einen weitgehend geschlossenen Bestand historischer Krankenakten der Psychiatrischen und Nervenklinik in Berlin von 1870 bis 1970. Es verdankt seine Entstehung einer doppelten Aktenführung, die Ausdruck einer gedoppelten Verwendung dieser klinikinternen Notationen ist. Die Patienten- oder Krankenakte dient zum einen administrativen Zwecken und zum anderen der klinischen Forschung. Erst mit der Ablage in der Akte wurde die Rede der Kranken, die beobachteten Zeichen und Symptome der Erkrankung, die Aufzeichnungen über den Verlauf einer Erkrankung, die Befunde und Messergebnisse der diagnostischen Verfahren zur zentralen Ressource im klinischen Erkenntnis- und Forschungsprozess. Die Sammlung dieser Akten betrachteten die Psychiater diese klinikinternen Notationen als ihr »geistiges Material«, das abgelegt und geordnet die Grundlage einer im Prinzip erkenntnisoffenen Forschung bildete.
Diesem Archiv als Material und Instrument klinischer Forschung ist das kommende Institutskolloquium Außer der Reihe gewidmet: Was ist eigentlich eine Krankenakte? Worin unterscheidet sich das Krankenblattarchiv vom historischen Archiv? In welchem Verhältnis stehen sammeln und archivieren? Und wie macht man Wissenschaft mit Akten? Die Beiträge des Kolloquiums fokussieren auf die Materialität und Medialität der Krankenakten, sowie auf das Archiv als eine Grundlage für eine moderne Ordnung des Wissens.