Besondere Häuser. Haus und Haushalt jenseits der erweiterten Kernfamilie

Besondere Häuser. Haus und Haushalt jenseits der erweiterten Kernfamilie

Veranstalter
Arbeitskreis „Haus im Kontext – Kommunikation und Lebenswelt“ in Kooperation mit dem Centre Georg Simmel - Recherches franco-allemandes en sciences sociales (UMR 8131 EHESS, CNRS) Paris
Veranstaltungsort
Tagungszentrum Schloss Beuggen
Ort
Rheinfelden
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.03.2015 - 07.03.2015
Deadline
01.12.2014
Website
Von
Falk Bretschneider

Seit geraumer Zeit hat das Haus als offener Kommunikations- und Handlungszusammenhang neue Aufmerksamkeit in der Geschichtswissenschaft und in anderen Sozialwissenschaften gefunden. Dabei gehen die aktuellen Forschungen inzwischen weit darüber hinaus, O. Brunners Paradigma des „ganzen Hauses“ als grundlegende soziale Organisationsform „Alteuropas“ zu dekonstruieren. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen vielmehr neue theoretische und methodische Ansätze, die vor allem die Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen der Akteure in den Blick nehmen, die Spannungen zwischen normativen Setzungen und der soziokulturellen Praxis häuslicher Lebenswelten ausloten und die Position des Hauses im Gesamtgeflecht sozialer Ordnung (Nachbarschaft, Gemeinde, Beziehungen zu den Obrigkeiten) untersuchen.

Empirisch konzentriert sich die historische Hausforschung jedoch weiterhin vor allem auf die Sphäre der erweiterten Kernfamilie. Als Nukleus des sozialen Lebens erscheint das Haus hier als das Reservat eines Arbeitspaares mit seinen Kindern, weiteren Familienangehörigen und dem zugehörigen Gesinde. In dieser Gestalt wirkt es als kleinste Ordnungseinheit der Gesellschaft, der die anderen – z. B. herrschaftlichen oder kirchlichen – Institutionen quasi vor- oder aufgesetzt sind. Ausgeblendet bleibt dabei, dass auch in diesen Organisationen häusliche Formen des Lebens und Wirtschaftens eine zentrale Rolle spielten. Entstanden sind dabei Häuser, die sich etwa durch ihre Größe, aber auch durch besondere Bezeichnungen von denen der Untertanen abhoben (wobei jedoch in vielen Fällen durch die Beibehaltung des Wortes „Haus“ im Namen der Rückbezug auf das soziale Modell bestehen blieb). Ziel der Tagung ist es, solche „besondere“ Häuser näher in den Fokus zu rücken und sie in einer vergleichenden Perspektive mit den Ergebnissen der neueren Hausforschung zu konfrontieren.

In Frage kommen für ein solches Anliegen viele Bereiche: Das gilt zunächst für das breite Spektrum von Institutionen der Kranken- und Daseinsvorsorge („Armenhaus“, „Siechenhaus“, „Tollhaus“, „Waisenhaus“, „Findelhaus“) sowie der Disziplinierung, Bestrafung und Verwahrung („Zuchthaus“, „Arbeitshaus“, „Werkhaus“, „Spinnhaus“ usw.), die in der Frühen Neuzeit weite Verbreitung fanden und als Zeichen einer verstärkten obrigkeitlichen Propagierung des Hauses als allgemeinen Ordnungsrahmen der Gesellschaft gelesen werden können. Auf den Begriff und das Modell des Hauses griffen aber auch herrschaftliche Institutionen („Amtshaus“) oder kirchliche Gliederungen („Pfarrhaus“) zurück. Daneben war das Haus in der ökonomischen Sphäre allgegenwärtig („Gutshaus“). Schließlich orientierten sich auch viele Einrichtungen, die das Wort „Haus“ nicht explizit im Titel trugen (etwa Klöster oder Hospitäler), dennoch in ihren konkreten sozialen wie ökonomischen Organisationsformen an diesem Modell.

Als Leitfragen bei der vergleichenden Untersuchung dieser „besonderen“ Häuser kommen die inneren Strukturen und sozialen Hierarchisierungen in den Blick (wurden hier die Idealvorstellungen des häuslichen Regiments reproduziert, etwa durch Übernahmen von Begriffen wie „Hausvater“ und „Hausmutter“?), aber auch andere konstitutive Faktoren wie die materielle Kultur, die Abgrenzung zu anderen Häusern, die Organisation der häuslichen Wirtschaft und ihre Einbindung in übergreifende ökonomische Beziehungen oder die symbolischen und rituell-performativen Repräsentationen als „Haus“. Daneben stellt sich die Frage, in welcher Beziehung diese Häuser untereinander standen und wie sie sich zu den Häusern der gemeinen Untertanen verhielten. Interessant sind auch die Wahrnehmungen und die Interaktionen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen im Haus, insbesondere in Institutionen mit zahlreichen Bewohnern: agierten die Akteure hier als Haus-Angehörige oder werden bereits neue soziale Konfigurationen sichtbar (etwa das bürokratisch-rationale Handeln eines Stabs, das die „besonderen“ Häuser langsam vom allgemeinen Kontext des „Hauses“ löste und zu „Anstalten“ werden ließ)? Selbstverständlich interessieren auch die Alltagspraxis der Akteure, ihre Auseinandersetzung mit den an sie herangetragenen Normen, die daraus entstehenden Konflikte und deren Austrag sowie die Verflechtungen im sozialen Handeln zwischen allen Hausangehörigen. Schließlich stellt sich gerade bei den „besonderen“ Häusern die Frage nach dem Verhältnis von innen und außen bzw. Öffentlichkeit und Privatheit, das hier wohl anders zu definieren ist als beim Haus der übrigen Untertanen.

Angesprochen sind mit diesen Leitfragen nur einige Gesichtspunkte, Vorschläge zu anderen Aspekten des Themas sind deshalb ausdrücklich erwünscht. Chronologisch wird der Schwerpunkt der Tagung auf der Frühen Neuzeit (1500-1800) liegen, im Interesse einer epochenübergreifenden Perspektive sind Beiträge aus dem Bereich des Spätmittelalters oder der Neueren Geschichte jedoch gleichfalls sehr willkommen.

Vortragsvorschläge (max. 2.500 Zeichen) werden mit kurzen Angaben zum CV bis zum 1.12.2015 erbeten an bretschn@ehess.fr, joachim.eibach@hist.unibe.ch oder inken.schmidt-voges@uos.de.

Die Veranstalter bemühen sich, eine Finanzierung für die Tagung einzuwerben. Im Moment muss jedoch damit gerechnet werden, dass Reise- und Aufenthaltskosten im Rahmen des Arbeitskreises leider nicht erstattet werden können. Für Übernachtung und Verpflegung fallen im Tagungszentrum Schloss Beuggen etwa € 170 an. Sollten keinerlei Möglichkeiten der Eigen- oder Drittmittelfinanzierung bestehen, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis bei der Einsendung des Vortragsvorschlags.

Tagungsleitung: Falk Bretschneider (Paris), Joachim Eibach (Bern), Inken Schmidt-Voges (Osnabrück)

Programm

Kontakt

Falk Bretschneider

EHESS Paris, 96 boulevard Raspail, 75006 Paris

bretschn@ehess.fr


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Deutsch
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