TUMULT-Band "Pharmakoanalysen. Zur chemischen Einstellung des Selbst"

TUMULT-Band "Pharmakoanalysen. Zur chemischen Einstellung des Selbst"

Veranstalter
Ivo Gurschler, Dr. Alexander Klose
Veranstaltungsort
Ort
Wien / Berlin
Land
Austria
Vom - Bis
01.10.2014 - 31.01.2015
Deadline
31.01.2015
Website
Von
Dr. Alexander Klose

Call for Papers für TUMULT #42, Herbst 2015.
Redaktion: Ivo Gurschler, Alexander Klose

Wurde die Psyche von Marx bis Freud als Subjekt der Ideologie behandelt, so ist sie heute zum Gegenstand der Pharmakologie geworden. Die „Sorge um sich“ (Michel Foucault) hat sich konsequent ins Molekulare hinein verlängert, Persönliches stellt sich – in der Psychiatrie wie im Alltag – zunehmend als Effekt der richtigen, chemischen „Einstellung“ dar, und transzendente Erfahrungen werden durch Fragen nach der hinreichenden Dosierung profaniert. Botenstoffketten regulieren im neurochemischen Diskurs alles, was die Selbst- und Welterfahrung des konkreten Menschen bestimmt: Wahrnehmen, Denken, Fühlen. Befördert wird dieses Vertrauen in die Macht des Kleinsten durch reduktionistische Reiz- und Reaktionsmodelle in Forschungskonstellationen, die den politischen, soziologischen, historischen und metaphysischen Rahmen der Substanzeinnahmen ausblenden. Zu beobachten ist der Aufstieg eines Pharmakologismus: des Glaubens daran, dass die chemische Struktur der (Gehirn)Substanzen der alles entscheidende Faktor ist.

Wenn wir, dieser zugespitzten Beschreibung zufolge, in ein Zeitalter der chemischen Botenstoffe eingetreten sind, wen oder was sehen wir dann im Spiegel der Neurotransmitter?

Gleichzeitig – und gegenstrebig zu der geschilderten Entwicklung – herrscht im westlichen Denken seit Platon ein „pharmakologischer Calvinismus“, der zwischen legitimen und illegitimen Substanz-Zuführungen zu unterscheiden weiß und im Zweifel für den Verzicht auf jegliche Einnahmen plädiert. Diese ebenso rigide wie unrealistische Haltung wurde durch den in den 1970ern ausgerufenen „War on Drugs“ dezisionistisch verschärft und mit geopolitischer Wucht erneuert. Nicht zuletzt durch den zunehmenden Druck neuropharmakologischer Diskurse scheint diese Haltung jedoch an Überzeugungskraft zu verlieren. Um dem „neurochemischen Selbst“ (Nikolas Rose) auf der Spur zu bleiben und das Feld nicht allein den Normalisierern und Optimierern zu überlassen, plädieren wir für eine neue Pharmakoanalytik.

Der Band versammelt medizinhistorische, philosophische, soziologische, kulturwissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Texte sowie künstlerische Beiträge. Unter die Lupe genommen werden sollen zum einen diejenigen Entwicklungen, die im engeren Sinne den Bereich der Medikamente bzw. „Drogen“, deren wissenschaftliche Taxierung und biopolitische Wirkungen betreffen. Zum anderen soll es aber in einem weiteren Sinne auch um die Symptome der von uns beobachteten, zunehmenden Substanzen-Fixiertheit – eines allgemeinen „material turn“ – in der Auseinandersetzung der Menschen (der reichen Konsumgesellschaften) mit sich selbst, ihrem Körper und ihrer Psyche gehen. So etwa um den Aufstieg von ehedem weitgehend unbekannten Ernährungsgrundbestandteilen wie Lactose oder Gluten zu Zentralagenten des (Un-)Wohlbefindens, oder um die bemerkenswerte Karriere der Hormone und Neurotransmitter seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die Beiträge können – gemäß der Tradition der in der Reihe TUMULT. Schriften zur Verkehrswissenschaft erschienenen Bände – in ganz unterschiedlichen Genres und Formaten verfasst sein, vom wissenschaftlichen Essay über die philosophische Miniatur bis zum poetischen Text, sollten aber, einschließlich eines nicht zu umfangreichem Fußnotenapparats, eine Gesamtlänge von 30.000 Zeichen nicht überschreiten. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor.

Einsendeschluss für Texte ist der 31. 1. 2015.
Ideen für Beiträge, Abstracts und Texte bitte schicken an: a.klose@berlin.de und/oder an: ivo.gurschler@gmail.com

Die Zeitschrift TUMULT existiert seit 1979. Den Anstoß zu dem Publikationsprojekt gab ein Kreis um Michel Foucault, zu seinen Gründungsmitgliedern gehörten u. a. Hans-Peter Gente, Ulrich Raulff, Dietmar Kamper, Walter Seitter und Hanns Zischler. Mitglieder des Redaktionsrats sind gegenwärtig: Frank Böckelmann, Horst Ebner, Ivo Gurschler, Alexander Klose, Helmut Kohlenberger, Ulrich van Loyen, Michael Neumann, Michaela Ott, Peter Pörtner, Wolfert von Rahden, Christopher Schlembach, Erhard Schüttpelz, Walter Seitter, Hanns Zischler (ambulanter Redakteur). Die Reihe umfasst bis heute ca. 40 Bände. Sie erscheint seit 2014 im SONDERZAHL VERLAG (Dieter Bandhauer), Große Neugasse 35/15, A-1040 Wien.

Weitere Informationen unter: http://www.tumult-magazine.net/tumult-themenbaende

Programm

Kontakt

Alexander Klose
Verein zur Erprobung prekärer Konzepte
Böckhstr. 34
10967 Berlin

a.klose@berlin.de

Ivo Gurschler
Akademie der Bildenden Künste Wien

ivo.gurschler@gmail.com