Hunger. Nebulosa - Figuren des Sozialen, Heft 08/2015

Hunger. Nebulosa - Figuren des Sozialen, Heft 08/2015

Veranstalter
Neofelis Verlag
Veranstaltungsort
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.12.2014 - 31.12.2014
Deadline
31.12.2014
Website
Von
Frank Schlöffel

Hunger lässt sich als biologisches und als soziales Phänomen begreifen, das für den einzelnen Menschen als Aspekt seines Körpers eine lebenswichtige Rolle spielt, allerdings aufgrund der sozialen und historischen Verhältnisse, in denen er_sie lebt, ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Hunger ist ein Begleiter des Menschen durch die Geschichte, eine Folge von Katastrophen, eine Waffe im Krieg und in der Gegenwart zu einem chronischen und konstitutiven Bestandteil der kapitalistischen Weltverhältnisse geworden, in denen laut dem World Food Programme der UN 842 Millionen Menschen hungern. Dem Hunger als Figur des Sozialen soll "Nebulosa" 08/2015 in seinen unterschiedlichen historischen und sozialen Erscheinungsweisen sowie den Formen seiner Darstellung nachgehen.

Zunächst lässt sich Hunger als Ausdruck der Not des eigenen Körpers betrachten, auch als Feind dieses Körpers, da der Mensch den Hunger auf Dauer nicht überleben kann. Dem Hunger soll mit einer Befriedigung der Not durch die Aufnahme von Nahrung begegnet werden, doch in übertragenem Sinn lässt sich von Hunger auch auf ganz anderes denn Nahrung sprechen, auf Sex, Macht oder Geld – so dass sich nach der Grenze zwischen Hunger und Gier, zwischen einem berechtigten Bedürfnis und seinem unberechtigten Überschuss fragen lässt. Obgleich meist negativ konnotiert und zu überwinden, wird Hunger sozial aber auch anders gewertet, vor allem in religiösen Zusammenhängen, wenn Fasten zu einer Reinigung des Körpers, zu Rauschzuständen oder Erkenntnis führen soll. Diese religiösen Wertungen des Hungers finden sich in postmoderner Ernährungspraxis konserviert (Selbstoptimierung, Ernährungsberatung usf.) und lassen ihn so zu einem Teil der Konsumpraxis westlicher Überflussgesellschaften werden. Als Feind des Körpers erscheint der so ‚selbstgewählte‘ Hunger wiederum in der Anorexie.

Zur politischen Protestform kann der Hunger im Hungerstreik einzelner werden, oder das Elend des Hungers löst Proteste aus, Hungerrevolten. Andererseits dient Hunger als Waffe der militärisch Überlegenen nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern vor allem gegen ganze Bevölkerungsgruppen, die ausgehungert, dem Verhungern überlassen werden. Die Kriegsmethode der Belagerung hat historisch immer wieder den Hunger als Waffe eingesetzt; ein besonderes Ausmaß erreichte dies bei der Belagerung von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht von September 1941 bis Januar 1944, an der mehr als 1,1 Millionen Menschen zumeist durch Hunger starben. Auch in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus und in anderen Genoziden diente Hunger als Mittel zur Vernichtung derer, die als „lebensunwertes Leben“ definiert worden waren.

Hungersnöte lassen sich als historisch immer wiederkehrende Ereignisse mit je unterschiedlichen Ursachen beschreiben, die nicht zuletzt zu großen Migrationsbewegungen, wie z.B. im 19. Jh. aus Irland in die USA oder heute aus Ländern des globalen Südens in die des globalen Nordens, führen. Dabei lassen sich sowohl Wetter und Naturkatastrophen als auch Umweltzerstörung und Bodenerosion wie auch der Anbau von Cashcrops oder Landgrabbing historisch als Ursachen von Hungersnöten ausmachen. Mit dem Hunger wären also immer auch die ihn bedingenden Verhältnisse des (Nicht-)Zugangs zu Nahrungsmitteln zu betrachten.

Nicht zuletzt die mediale Präsenz von Hunger in den westlichen Medien lässt diesen als Dispositiv erscheinen, als Differenzierungsmerkmal zwischen reichen und armen Ländern und Bevölkerungen. Ganze Bevölkerungen können als Stereotypen des Hungers erscheinen – oft ausgemergelte, dunkelhäutige Kinderkörper –, so dass in Aufrufen, den Hunger zu bekämpfen, eine Teilung der Welt in Spendende und Spendenempfangende erfolgt. Der Aufruf zur Wohltätigkeit, der sich ebenfalls als aus einer religiösen Tradition stammend betrachten lässt, erhält dabei, bei all seiner Wichtigkeit für die einzelnen Menschen, denen geholfen wird, die Teilung der Welt aufrecht und bekämpft nicht den Hunger als Konstituens gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Der Hunger erweist sich auch hier als unmittelbar politisch, als Bestandteil der und Frage an die bestehenden sozialen Verhältnisse.

Als Begleiter der Menschen durch die Geschichte taucht der Hunger in zahlreichen historischen und künstlerischen Darstellungen auf, so dass die kommende Ausgabe von "Nebulosa" auch nach Darstellungslinien oder -traditionen des Hungers fragen will. Und damit auch nach Darstellungen des Umgangs mit Hunger, die von Imaginationen tabuisierter Handlungen, die der Hunger erzwingt, wie in Dantes "Göttlicher Komödie", wo der mit seinen Söhnen in einen Turm gesperrte Ugolino diese als Nahrung zunächst ablehnt, doch dann sterben sie vor ihm und „schließlich vermochte / mehr als der Schmerz der Hunger“ –, bis hin zu den Hunger Games der "Tribute von Panem" reichen können.

Es wird nach Beiträgen zum Hunger als Figur des Sozialen gesucht, die einen oder mehrere dieser Aspekte oder auch ganz andere in den Blick nehmen. Gefragt werden soll nach historischen und gegenwärtigen Erscheinungen des Hungers, nach seinen sozialen und politischen Verhältnissen und nicht zuletzt nach seinen Darstellungen in Literatur, Theater, Film und Popkultur, deren Interdependenzen und Verhältnissen. Neben wissenschaftlichen Beiträgen für den Thementeil wird für den Themenschwerpunkt auch nach einem künstlerischen Beitrag zu „Hunger“ gesucht. Vorschläge hierzu sind ebenso willkommen!
Im an den Hauptteil der Ausgabe anschließenden Forum gibt es die Möglichkeit, auf Artikel des Themenschwerpunkts von Nebulosa 07/2015 – „Prinzessinnen“ – zu reagieren. Sie sollen kommentiert, diskutiert und um weitere Aspekte und Positionen ergänzt werden. Eine vorläufige Beitragsliste von Nebulosa 07/2015 findet sich am Ende des CfP.

Interessierte sind herzlich eingeladen, bis zum 31. Dezember 2014 ein Abstract (max. 1 Seite) und kurze biographische Angaben (max. ½ Seite) in elektronischer Form (Word- oder PDF-Dokument) an die Herausgeber_innen (Eva Holling, Matthias Naumann, Frank Schlöffel) zu schicken:

nebulosa@neofelis-verlag.de

Die Bekanntgabe der akzeptierten Beiträge erfolgt Ende Januar 2015 per Email. Die Beiträge, die eine max. Zahl von 30.000 Zeichen nicht überschreiten sollen, müssen den Herausgeber_innen bis zum 1. Juni 2015 vorliegen. Nebulosa 08/2015 soll Anfang Oktober 2015 erscheinen.

Prinzessinnen
Nebulosa – Figuren des Sozialen, Ausgabe 07/2015
Herausgegeben von Eva Holling, Matthias Naumann, Frank Schlöffel
Erscheint im Frühjahr 2015

Vorläufiges Inhaltsverzeichnis:

Christel Baltes-Löhr
Bedeutung von Prinzessinnen – aber auch von Prinzen – aus einer genderspezifischen sozialisationstheoretischen Perspektive (AT)

Rainer Emig
Warum Prinzessinnen keine Königinnen sind: Prinzessinnen in der englischsprachigen Literatur und Kultur

Thomas Küpper
„Die Bettelprinzess“. Von Hedwig Courths-Mahler zu Hella von Sinnen

Nora Derbal
Saudische Prinzessinnen (AT)

Silke Felber / Teresa Kovacs
Prinzessinnen in der Unterwelt? Variationen des Dazwischen in Elfriede Jelineks "Der Tod und das Mädchen I–V", "FaustInand out" und "Schatten (Eurydike sagt)"

Jan Henschen
Prinzessin Fantoche – Arnold Höllriegels Erzählung einer Selbstermächtigung und das Frauenbild zwischen Detektivgenre und Kinoreform

Tamara Werner / Aleta-Amirée von Holzen
Becoming a Magical Pony-Princess. Die Neuinterpretation der Prinzessinnenfigur als Identifikationsangebot in My Little Pony – Friendship is Magic

Programm

Kontakt

Frank Schlöffel

Neofelis Verlag, Stavanger Str. 3 10439 Berlin

nebulosa@neofelis-verlag.de


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