Erziehung als "Entfehlerung". Zum Zusammenhang von Weltanschauung, Bildung und Geschlecht in der Neuzeit

Erziehung als "Entfehlerung". Zum Zusammenhang von Weltanschauung, Bildung und Geschlecht in der Neuzeit

Veranstalter
Anne Conrad / Alexander Maier, FR 3.3 Katholische Theologie, Universität des Saarlandes,
Veranstaltungsort
Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2015 - 05.12.2015
Deadline
01.10.2014
Website
Von
Anne Conrad

Der Zusammenhang von Pädagogik und Religion gehört zu den traditionellen Themen der historischen Forschung, und für die Beschreibung dieses Zusammenhangs in der Vormoderne haben sich bestimmte Erklärungsmodelle durchgesetzt. So wurde für die Frühe Neuzeit bislang vor allem der Beitrag der christlichen Konfessionen zur Institutionalisierung des Schulwesens herausgestellt (reformatorische Schulgründungen, katholische Schulorden, Einzelinitiativen wie die Francke’schen Stiftungen) und die Epoche nach 1800 demgegenüber eher als Prozess der Säkularisierung wahrgenommen: Die religionskritischen Impulse der Aufklärung wie auch die romantisierenden Konzepte des Idealismus hätten seit dem 18. Jahrhundert zu einer von den christlichen Kirchen weitgehend unabhängigen Neufundierung der Pädagogik geführt, die für das moderne Schulsystem, aber auch für die vielfältigen reformpädagogischen Initiativen im 19. und frühen 20. Jahrhundert kennzeichnend geworden sei.

In kritischer Reflexion dieser Modelle ist in den vergangenen Jahren allerdings die Frage nach den „Transformationen des Religiösen“ in der Pädagogik ins Blickfeld gerückt. Im Sinne eines weiten, funktionalen Begriffs von Religion, haben neuere Forschungen zum 19. und 20. Jahrhundert deutlich gemacht, dass auch vermeintlich säkulare Konzepte von weltanschaulichen Prämissen („Glaube“), „sakralen“ Strukturen und „mythischen“ Inhalten geprägt sind und insofern „religiösen“ Charakter haben. Nicht selten haben sich Pädagogen als „Erlöserfiguren“ dargestellt oder wurden als solche von ihrer Anhängerschaft inszeniert. Bis heute bezieht sich Erziehung sowohl auf die moralische Formation des ganzen Subjekts wie auf Veränderung gesellschaftlicher Praxis und perpetuiert darin –wenngleich transformiert und nicht auf den ersten Blick erkennbar – eine religiöse Grundstruktur, die auf „Entfehlerung“ der Welt (J.A. Comenius: „emendatio rerum humanarum“) durch Formation menschlicher Subjektivität zielt.

Die geplante Tagung setzt hier an und fragt nach den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, den religiös-weltanschaulichen Strukturen und den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser säkular-sakralen Pädagogik seit der Frühen Neuzeit.

Dabei sollen zunächst jene „religiösen“ Traditionen zur Geltung gebracht werden, die zum konfessionell-christlichen Mainstream quer oder parallel verlaufen, von ihm aber integriert wurden oder ihn „unterwandert“ haben. Zu nennen sind hier vor allem die frühneuzeitliche Hermetik und die aus ihr erwachsenen esoterischen Tendenzen, die in Bewegungen wie Rosenkreuzer, Freimaurer und Theosophen, aber auch in Varianten einer „Intellektuellenreligiosität“ (Max Weber) kulturelle Breitenwirkung erlangt haben. Ihnen eignet ein drängender pädagogischer Impuls, insofern es um die Erlangung von „höherer Vernunft“ und „höherer Erkenntnis“ geht, die zwar ein individuelles Ziel (Selbsterziehung/Selbsterlösung) darstellt, das aber letztlich nur über Vermittlung (Erziehung/Bildung) durch „Offenbarungsmittler“ oder eben „Erlöserfiguren“ erreicht werden kann. Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Esoterik liegen inzwischen zwar vor, im Hinblick auf konkrete Erziehungs- oder gar Schulkonzepte ist dies jedoch noch kaum thematisiert worden.

Ähnliches gilt auch für spiritualistische bzw. christliche Strömungen – seien sie nun mehr oder weniger orthodox –, die theologische Konzepte der Subjektivierung hervorbrachten und diese pädagogisierten. Darin zeigen sie Verbindungen und Wechselwirkungen zum „esoterischen Denkstil“ (Neugebauer-Wölk) und den ihm zugrunde liegenden Einstellungen, grenzen sich jedoch durch die Betonung der „Gnade“ und den Verweis auf die Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten auch von ihm ab. Beispiele dafür sind u.a. die pädagogischen Ideen der pietistischen und jansenistischen Bewegungen oder die Pansophie des Comenius. Ihnen gemeinsam ist die dualistische Vorstellung, dass der Mensch (wie Welt und Materie überhaupt) „verderbt“ und „böse“ ist, durch Erziehung aber ein Wandlungsprozess zum „göttlichen“ Guten eingeleitet werden kann. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um einen pädagogisch initiierten und angeleiteten Erlösungsprozess, der etwa in der jansenistischen Pädagogik als „sukzessive Reinigung des Herzens“ und „Erkenntnis der Gnadengeheimnisse“ chiffriert wird.

Die Genderforschung hat zudem dafür sensibilisiert, historische Prozesse intersektional in der Verschränkung verschiedener sozial- und kulturgeschichtlicher Kategorien wahrzunehmen und danach zu fragen, welche Bedeutung geschlechtsspezifischen Vorannahmen und Klischees dabei zukommt. Erziehung ist in der (Frühen) Neuzeit immer geschlechtsspezifisch orientiert und wird – religiös und/oder wissenschaftlich – entsprechend begründet. Allerdings stehen der traditionell vorherrschenden „heteronormativen“ Weltsicht auch alternative Modelle gegenüber, die wie z. B. das aus der griechischen Antike gespeisten Menschenbild der frühneuzeitlichen Hermetik oder die Anthropologie der christlichen Mystik, auf Androgynität bzw. Aufhebung der Geschlechtergrenzen zielen. Zu fragen ist, ob und wie sich dies in den pädagogischen Konzepten wiederspiegelt. Welche geschlechtsspezifischen Markierungen sind mit der intendierten „Entfehlerung“ verbunden? Welche Konsequenzen haben die den neuzeitlichen Weltanschauungen verpflichteten pädagogischen Entwürfe für die Verstärkung oder Relativierung von Geschlechtsstereotypen? Auch dazu fehlen bislang einschlägige Forschungen.

Die Beiträge der Tagung sollen zur Erhellung dieser Fragen beitragen und die gängigen Erklärungsmodelle zum Verhältnis von Religion und Pädagogik durch neue Perspektiven differenzieren und erweitern.

Programm

Kontakt

Anne Conrad

Universität des Saarlandes, FR 3.3 Katholische Theologie, Campus A 4.2, 66123 Saarbrücken

0681-302-3348 (2348)

a.conrad@mx.uni-saarland.de


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