Die Tagung „Wahrheit zurichten. Über Sozio- und Psychotechniken“ wirft die Frage auf, inwiefern unterschiedliche Formen von Wahrheit durch spezifische Formen von Psycho- und Soziopraktiken hervorgebracht, reproduziert oder dementiert werden. Das schließt auch die Frage danach ein, welche historischen oder aktuellen Subjektivierungsformen (Zeuge, Atheist, Hochstapler), Charaktere (Skeptiker, Enthusiast, Schelm) oder personae (Versuchsperson, Richter, Wahrsager) mit den entsprechenden Sozio- und Psychotechniken verbunden sind. Es geht um wechselseitige Verschränkungen der Konstitutionsprozesse von Wahrheit und Subjektivität, die auch durch spezifische Organisationen, Institutionen, Netzwerke, durch Narrative oder Dispositive ermöglicht werden.

Ausgangspunkt der Tagung ist die Beobachtung, dass Wahrheitsfindung und Berufung auf Wahrheit ebenso Subjektivierungsformen und -programme voraussetzen, bedingen und befördern, wie Subjektivierungsprozesse andererseits ohne Bezugnahme auf bestimmte Wahrheitsformen nicht denkbar sind. Wir gehen davon aus, dass dieses Verhältnis in der Thematisierung, Infragestellung und Erforschung von Sozio- und Psychotechniken der Wahrheit eine Explizierung erfährt. In den Blick tritt so auch eine Praxeologie der Wahrheit, es wird möglich, die Herstellung von Wahrheit auf der Ebene der konkreten historischen Verfahren zu rekonstruieren.

Die Aufmerksamkeit der Tagung gilt jenem Feld, das sich im 20. Jahrhundert im Rahmen einer Konjunktur von Sozio- und Psychotechniken verdichtet und das ebenso Praktiken des social engineerings, in denen Gruppen u.a. demokratische Diskussions- bzw. Spielregeln erlernen sollen, wie eine Experimentalkultur umfasst, die subjektive Wahrhaftigkeit an mikrologischen Verhaltens- und Reaktionsmustern zu erkennen versucht. Dieses Feld eröffnet eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf Wahrheitspraktiken, aus der nicht primär die den entsprechenden diskursiven und experimentellen Zusammenhängen zugrunde liegenden Wahrheitstheorien, sondern vielmehr ganze Wahrheitskulturen und deren mehr oder weniger implizite Bestandteile in den Blick treten.