Der arbeitende Körper im Spannungsfeld von Krankheit und Gesundheit. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte V

Der arbeitende Körper im Spannungsfeld von Krankheit und Gesundheit. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte V

Veranstalter
Knud Andresen, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg; Michaela Kuhnhenne, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf; Jürgen Mittag, Deutsche Sporthochschule, Köln; Stefan Müller / Johannes Platz, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Veranstaltungsort
Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.11.2014 - 14.11.2014
Deadline
15.06.2014
Von
Stefan Müller, Archiv der sozialden Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die diesjährige Tagung der Reihe „Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte“ geht dem Problemfeld und Verhältnis von Arbeit und Gesundheit, oder mit anderen Worten, dem arbeitenden Körper im Fluidum von Wohlbefinden, Gesundheit und Krankheit nach. Zu den vorherrschenden Denkweisen sowohl aus ökonomischer als auch aus gesellschaftlicher Sicht – gleich in welcher ökonomischen Ordnung – gehört, dass ein gesunder Körper arbeiten soll und dass nur ein gesunder Körper als voll arbeits- und einsatzfähig betrachtet wird. Um diese ökonomische und darüber hinaus auch staatspolitische Verwendung des (gesunden) Arbeitskörpers entspannen sich mannigfaltige staatliche Praktiken und gesellschaftliche Diskurse. Die individuelle Perspektive, den eigenen Körper für den Einsatz auf dem Arbeitsmarkt gesund zu erhalten, stellt die komplementäre Seite eines gesellschaftlichen Verhältnisses dar, in dem der arbeitende Körper im Mittelpunkt steht.

In dem immer wieder neu ausgehandelten gesellschaftlichen Verhältnis von Arbeit und Gesundheit finden wir Maßnahmen staatlicher und gesellschaftlicher Akteure, die sich den arbeitenden Körper ordnungspolitisch Untertan machen. Wir finden regulierende Eingriffe und Schutzbemühungen zugunsten der Gesundheit des arbeitenden Körpers, nicht zuletzt durch die Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen. Wir finden Programme und Bestrebungen, die gesundheitliche Belastung der Arbeitenden durch veränderte Arbeitsgestaltung und -strukturierung zu reduzieren, wie das Humanisierungsprogramm der 1970er Jahre, und wir sind schließlich auch mit dem komplexen Feld der Gesundheitsindustrie konfrontiert. Weitere Elemente dieses Verhältnisses stellen das breite Feld von Techniken zur Normierung des Körpers dar. Zur Prüfung der Funktionsfähigkeit wird der arbeitende Körper vermessen und gewogen, er wird von außen betrachtet und innen durchleuchtet, es wird über ihn nachgedacht und gesprochen, der arbeitende gesunde/kranke Körper ist Gegenstand von Praxis und er ist Diskursgegenstand. Schließlich wird der kranke Arbeitskörper geheilt, er wird zur Prophylaxe und Prävention angehalten und es wird um die Bedingungen und Kosten der Heilbehandlung gestritten.

Der arbeitende gesunde/kranke Körper unterliegt der Vergeschlechtlichung, Standardisierung und Normierung, einer Objektivierung und Disziplinierung, die nicht nur von „Außen“ an das Subjekt herangetragen wird. Das neue „unternehmerische Selbst“ (Ulrich Bröckling) sucht hinsichtlich der Arbeitsmarktkonkurrenz nicht mehr nur danach, den Körper zu reproduzieren, sondern ihn zu optimieren. Dementgegen stehen jedoch auf der individuellen Seite Flucht, Gegenwehr und Eigensinn wie das Zurückhalten von Arbeitsleistung zur Schonung des Körpers oder das „Krankfeiern“, auf der subjektiv-kollektiven Seite die gemeinsame Interessenformulierung der Arbeitenden und das wirkmächtige Einfordern und Organisieren von Schutz: Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz, Begrenzung der Arbeitszeit usw.

Im Zentrum der Tagung stehen drei Problemfelder.

1. Der gesunde und der kranke Körper
In Fokus stehen die Geschichte von Körperbildern sowie die Entwicklung von Konzepten von Gesundheit. Im Sinne des „body turn“ (Robert Gugutzer) ist das breite Feld der Körperlichkeit in beruflicher Perspektive angesprochen: Neben der Geschichte der Vermessung, Vergeschlechtlichung, Normierung oder Disziplinierung wird hier die objektivierende Betrachtung, der „Blick auf den Körper“ der Arbeitenden untersucht. Beiträge können sich, um einige Beispiele zu nennen, mit Techniken und Diskursen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, der Geschichte von Hygiene, mit der betriebs- oder amtsärztlichen Vermessung, neuen und alten Berufskrankheiten oder auch den individuellen Blicken auf den eigenen gesunden/kranken Arbeitskörper befassen. Im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses des arbeitenden Körpers zählen gleichfalls die Geschichte der Psychologisierung und Therapierung des arbeitenden Körpers, der Entstehung neuer Krankheitsbilder (bspw. von der Manager-Krankheit zum Burn-out) als auch der Therapeutisierung der Arbeitswelt zu diesem Problemfeld.

2. Soziale, politische und ökonomische Regulation des arbeitenden Körpers
In diesem Problemfeld geht es zum Ersten um die Geschichte ordnungspolitischer Maßnahmen wie beispielsweise der Arbeitsschutzgesetzgebung, der Organisation von Gesundheitssystemen oder der Geschichte der Krankenversicherungen, Krankenkassen und Berufsgenossenschaften. Zum Zweiten fallen in dieses Feld Beiträge zur Geschichte der Berufs- und Interessenverbänden und insbesondere der Gewerkschaften und ihrem Agieren hinsichtlich des arbeitenden Körpers und des Gesundheitswesens. Zum Dritten zählen hierzu Forschungen zur Gesundheitsindustrie, soweit sie einen Fokus auf die Geschichte von Arbeitswelten legen. Gleichfalls können hier auch Beiträge aus wirtschafts- oder unternehmenshistorischer Sicht präsentiert werden.

3. Der arbeitende Mensch im Gesundheitsberuf
Nach dem gesunden/kranken Arbeitskörper und den ihn betreffenden Regulationsmodi sowie Interessenformulierungen widmet sich der dritte Bereich den in den Gesundheitsberufen arbeitenden Menschen selbst. Gefragt sind beispielsweise Beiträge, die sich mit Ethos und (Selbst-)Bild des breiten Spektrums von Gesundheitsberufen befassen – von der Physiotherapeutin über den Sportlehrer bis hin zur Ärztin –, mit dem Wandel von Qualifikationen und Berufsbildern, der Professionalisierung von Gesundheitsberufen und -systemen oder der Genderordnung in Gesundheitsberufen.

Die Tagung „Der arbeitende Körper im Spannungsfeld von Krankheit und Gesundheit“ fragt nach Beiträgen in der ganzen methodischen Breite der Geschichtswissenschaft, die auf eines der drei Problemfelder (Körper, soziale Regulation, Beruf) bezugnehmen. So sind genauso Beiträge gefragt, die auf mittlerweile etablierten Forschungen des „body turn“ aufbauen und sich der Arbeit beziehungsweise den Arbeitenden nähern, wie auch verbands- oder technikgeschichtliche Untersuchungen von Interesse sind, die sich ihrem Gegenstand mit kulturgeschichtlichen Fragestellungen zuwenden. Gefragt sind Untersuchungen von Ordnungssystemen genauso wie Geschichten staatlicher, gewerkschaftlicher und betrieblicher Politik oder diskursgeschichtliche Untersuchungen über den gesunden/kranken Arbeitskörper.

Die Tagung ist ausdrücklich interdisziplinär angelegt und Beiträge aus den Sozial- und Kulturwissenschaften sowie weiteren Geisteswissenschaften sind willkommen. Auch wenn der Fokus auf der deutschen Geschichte liegt, sind international-vergleichende Untersuchungen und insbesondere der (deutsch-deutsche) Ost-West-Vergleich von Interesse. Der zeitliche Schwerpunkt der Beiträge sollte auf dem 20. Jahrhundert liegen. Wir bitten alle Beiträgerinnen und Beiträger, ihren Gegenstand theoretisch bzw. methodisch zu konzeptualisieren.

Reisekosten und Unterkunft werden durch die Hans-Böckler-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung getragen.

Abstracts mit etwa 400 Worten und ein kurzes akademisches CV sind bis zum 15. Juni 2014 an Dr. Stefan Müller (stefan.mueller@fes.de) zu schicken.

Programm

Kontakt

Dr. Stefan Müller

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Godesberger Allee 149
53175 Bonn

(0228) 883-8072
(0228) 883-9204
stefan.mueller@fes.de

http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/public_history/index.htm
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