„Provinz“ und „Heimatfront“. Kleine und mittlere Kommunen im Ersten Weltkrieg

„Provinz“ und „Heimatfront“. Kleine und mittlere Kommunen im Ersten Weltkrieg

Veranstalter
PD Dr. Stefan Gerber, Friedrich-Schiller-Universität Jena (z. Zt. Johannes Gutenberg-Universität Mainz); Dr. Matias Mieth, Direktor der Städtischen Museen Jena; Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
Veranstaltungsort
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.10.2014 - 10.10.2014
Deadline
23.03.2014
Website
Von
PD Dr. Stefan Gerber

„A nation of provincials“ hat die amerikanische Historikerin Celia Applegate das Kaiserreich in ihrer Studie zum pfälzischen Regionalismus des 19. und 20. Jahrhunderts „zwischen Heimat und Nation“ genannt. 1 Dieser Befund gilt nicht nur für die historische und historisierende Schaffung regionaler Identitäten als Teil der Nationsbildung, sondern auch für die Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur Deutschlands bis zum Ersten Weltkrieg. In der rasanten Urbanisierung seit der Reichsgründung konnten, neben der Zunahme und dem starken Wachstum der Großstädte, auch die Klein- und Mittelstädte ihre Position behaupten: Noch 1910 lebte mehr als ein Viertel der Deutschen, ca. 16 Millionen Menschen, in Kommunen zwischen 2.000 und 20.000 Einwohnern; die Mittelstädte bis 100.000 Menschen beherbergten mit 8,6 Millionen Einwohnern reichlich 13 Prozent der Reichsbevölkerung. Die kleine und mittlere Stadt, eingebunden in ein lokal-regionales Umfeld, das sich mit der politischen Einheit eines Amtes, eines Kreises oder einer Amtshauptmannschaft decken, aber auch historisch-traditionalen Verbindungen jenseits der administrativen Gliederung folgen konnte, blieb im Deutschland der Hochindustrialisierungsphase für viele Deutsche der prägende Lebens- und Erlebnisraum.

Auch diese klein- und mittelstädtische deutsche „Provinz“ wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zur „Heimatfront“. Was indes für die Stadt- und Urbanisierungsforschung zum Kaiserreich vor 1914 gilt, das gilt auch für die Weltkriegsphase: Die vorhandenen Unter-suchungen konzentrieren sich fast ausschließlich auf Großstädte oder – wie Roger Chicke-rings Pionierstudie zu Freiburg im Breisgau – auf einige größere Mittelstädte (meist Universitätsstädte), und überlassen das weite Feld der „Provinz“ häufig noch immer mehr oder weniger ertragreichen heimatgeschichtlichen Arbeiten. Zudem werden zumeist Einzelaspekte des städtischen Lebens im Krieg, wie das zentrale Problem der Ernährung oder die Kriegspropaganda, in den Blick genommen. 2 Auch wenn es ertragreiche Neuansätze einer soziologischen und historischen Kleinstadtforschung gibt 3, auch wenn diese Studien aufzeigen, dass einerseits lokal und regional stark zu differenzieren ist, und dass andererseits viel dafür spricht, die Entwicklungsunterschiede zwischen den verschiedenen Stadttypen nicht zu stark zu gewichten, fehlen doch vielfach noch immer tragfähige Aussagen zur Sozial-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte, zu Kulturen, Mentalitäten und Lebenspraktiken in deutschen Kleinstädten im Kaiserreich sowohl vor 1914 als auch – und dies ganz besonders – während des Ersten Weltkrieges.

Die geplante Tagung kann diese Desiderate nicht beheben, will aber erste Schritte tun, indem sie die Fragestellungen zur Charakterisierung der „Heimatfronten“ des Ersten Weltkrieges, die bisher vor allem an Großstädte und spezifische Mittelstädte gerichtet worden sind, auf kleinere und mittlere Kommunen bezieht: Kleinstädte, kleinere (d. h. noch nicht auf dem „Sprung“ zur Großstadt stehende) Mittelstädte, kleinere und mittlere Gebietskörperschaften. Die Differenzierung der „Heimatfronten“ nach funktional bestimmten Stadttypen (z. B. Verwaltungszentren, Garnisonsstädte, Universitäts- bzw. Schulstädte, Industrie- bzw. Gewerbestädte, Residenzstädte) kann dabei ein Ausgangspunkt sein. Besonders die Überschaubarkeit dieser Kommunen, die intensivere face-to-face-Kommunikation zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, zivilen und militärischen Behörden, die Wirtschaftsstruktur und die oft unmittelbare Verflechtung mit dem ländlichen Umfeld, die besonderen Formen von Öffentlichkeit, lokal-regionale Einstellungen und Traditionen, die Position gegenüber benachbarten Mittel- oder Großstädten schufen für die kleinstädtischen „Heimatfronten“ einen Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Handlungsrahmen, der sich von dem großstädtischer Kommunen oder größerer Mittelstädte deutlich unterschied. Die Aufmerksamkeit soll sich auf diejenigen Bereiche richten, die für die historische Forschung zu Städten im Ersten Weltkrieg auch bisher schon leitend gewesen sind: Kriegserleben (vom kleinstädtischen „Augusterlebnis“ bis zu Niederlage und unmittelbarer Nachkriegsphase), Ernährung und Versorgung, kommunale Organisation, Verwaltung und Finanzen; Erwerbsstruktur und soziale Situation; Kommunikation und Informationsquellen (Presse und die Formen kleinstädtischer Öffentlichkeit); kirchlich-religiöses Leben; Schulen; Propaganda und Erinnerungskultur.

Ziel ist es, ein möglichst facettenreiches Bild kleiner und mittlerer Kommunen im Ersten Weltkrieg zu zeichnen, das in einem weiteren Schritt orts- und regionenübergreifende Aussagen und damit auch die Kontextualisierung der Ergebnisse in der Forschung zu deutschen Klein- und Mittelstädten im Kaiserreich zulässt.
Deshalb ergeht die herzliche Einladung zu Angeboten für Tagungsbeiträge. Skizzieren Sie Ihren möglichen Beitrag bitte in einer 1-seitigen Kurzzusammenfassung und senden Sie diese bis zum 23. März 2013 an: rebreg@web.de oder an: matias.mieth@jena.de.

1 Celia Applegate, A nation of provincials. The German idea of Heimat, Berkeley 1990. [dt. Version: Dies., Zwischen Heimat und Nation. Die pfälzische Identität im 19. und 20. Jahrhundert, Kaiserslautern 2007].
2 Repräsentativ dafür die Beiträge des Bandes: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Kleinstadt in der Moderne, Ostfildern 2003.
3 Vgl. Roger Chickering, Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914-1918, Paderborn u. a. 2009. Neuere Beispiele für Großstädte bzw. mittlere Universitätsstädte: Christoph Regulski, Klippfisch und Steckrüben. Die Lebensmittelversorgung der Einwohner Frankfurt am Mains im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Eine Studie zur deutschen Wirtschafts- und Innenpolitik in Kriegszeiten, Wiesbaden u. a. 2012; Christoph Nübel, Die Mobilisierung der Kriegsgesellschaft. Propaganda und Alltag im Ersten Weltkrieg in Münster, Münster u. a. 2008.

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