Materielle Kulturforschung. Eine Zwischenbilanz. Zum epistemischen Gewinn einer vermeintlich neuen Perspektive / Material Culture Research. An appraisal of its epistemic gain

Materielle Kulturforschung. Eine Zwischenbilanz. Zum epistemischen Gewinn einer vermeintlich neuen Perspektive / Material Culture Research. An appraisal of its epistemic gain

Veranstalter
Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt / International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen
Veranstaltungsort
Forschungszentrum Gotha, Seminarraum
Ort
Gotha
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.12.2013 - 07.12.2013
Website
Von
Methfessel, Christian

Spätestens seit der Ausschreibung des BMBF im Mai 2012 boomt die Materielle-Kultur-Forschung auch in Deutschland. Dabei handelt sich keinesfalls um eine neue Perspektive, sondern um das Ergebnis interdisziplinärer Forschungsansätze, die bereits zu Beginn der 1990er in der USA entwickelt und von dort als objektgestützte Methode auf andere Felder übertragen und so erstmals für die Kulturwissenschaften erschlossen wurde. Die Beschäftigung mit materiellen Hinterlassenschaften vergangener Epochen war bis dahin die Domäne von Archäologie und Volkskunde/ Europäischer Ethnologie. Als material culture studies hat sich die Beschäftigung mit den Dingen als Leitmedium im anglo-amerikanischen Raum bereits als eigenständiges Fach etabliert. Die wissenschaftspolitische Dimension des nun auch im deutschsprachigen Raum ausgelobten Forschungsfeldes gilt es, kritisch zu hinterfragen: Handelt es sich bei der materiellen Kulturforschung um ein Modeerscheinung, ein Teilgebiet oder möglicherweise um eine eigene Disziplin innerhalb der historischen Wissenschaften? „Funktioniert“ materielle Kultur als Erkenntnismedium in allen Epochen gleich gut?

Das Ziel der Tagungen ist, den erhofften epistemischen Gewinn der materiellen Kulturforschung grundlegend auf seine Tragfähigkeit hin zu prüfen. Welche Erkenntniserweiterungen ergeben sich durch die Beschäftigung mit Objekten/Dingen/Artefakten als Quelle? Wie lassen sich die Begriffe abgrenzen? Werden bereits bekannte historische Phänomene im Spiegel der Dinge neu zu perspektivieren sein? Nach Latour sind Objekte Akteure mit eigenem Handlungsskript und beinhalten Aussagen über die Personen, die sich mit ihnen umgeben oder sie nutzen, wie ebenso über zeitgenössische Praxis und Normen. Können Dinge als Quelle dazu dienen, Denkmodelle oder kulturelle Praxis zu erschließen, die durch Text- oder Bildquellen nicht sichtbar zu machen wären? Welches Mehr/Surplus an Informationen transportieren Objekte in unmittelbarer Weise und wie lässt sich dieser Informationsgehalt übersetzen? Reicht zum Vorgang der Übersetzung Sprache oder müssen haptische Informationsgehalte integriert werden? Damit verbunden werden erneut Fragen nach der Wiederholung historischer Wahrnehmung gestellt. Methodisch von besonderem Interesse sind u.a. die medialen Brüche, die sich ergeben, wenn die Dinge nicht in ihrer dreidimensionalen Körperlichkeit, sondern ausschließlich als Beschreibung vermittelt durch Texte oder literarische Verarbeitungen vorliegen.

Teil 1 der Tagung konzentriert sich auf die Epoche der Frühen Neuzeit und lädt zur interdisziplinären Auseinandersetzung mit den Dingen ein. Schwerpunkt der Tagung ist die anhand von Beispielen geführte Auseinandersetzung mit materieller Kultur als Erkenntnismedium. Was kann materielle Kulturforschung leisten und wo liegen ihre Grenzen? Wir haben daher besonders Vorträge eingeladen, die sich mit den theoretischen Implikationen der materiellen Kulturforschung befassen.

Material Culture Research – an appraisal of its epistemic gain

The study of material culture is booming within Germany – most noticeably since the German Ministry of Research (BMBF) announced its new program in May 2012 – and beyond. The boom does not, however, correlate with a completely new perspective but rather is the result of interdisciplinary research that introduced object-based methodologies to cultural studies as early as the 1990s in the United States. Before then, engagement with the material remains of past eras belonged largely to the domains of Archaeology and Ethnology. Under the label of ‘Material Culture Studies,’ the examination of culture via ‘things’ has become an established and relevant discipline within Anglo-American cultural studies contexts. It is important that the political-policy dimensions of this area of research undergo critical analysis: Is the study of material culture simply fashionable or should it become an entirely new discipline within historical studies? Can material culture be usefully studied as a medium for knowledge in all eras?

The aim of this conference is to fundamentally examine the potential for epistemic gain from material culture research. What forms of insight result from the study of objects/things/artefacts as source materials? How are the field’s terminology and concepts distinguished? Do established historical phenomena develop new significance when viewed via ‘things’? Can ‘things’ be regarded as sources for understanding modes of thought and cultural habits that yield information that is not attainable via textual or iconic sources? Which kinds of information do objects immediately convey and how can we decode them? How does the haptic quality of things add to their meaning? Methodologically of particular interest are the medial fractures that result when ‘things’ are not conveyed in their three-dimensional physicality but only described by texts and pictures.

Part 1 of the conference focuses on the early modern period in its interdisciplinary investigation of things. Of central concern is the epistemic value of the study of material culture, which will be evaluated via examples. What does material culture studies achieve and what are its limits? We especially chose papers engaged with the theoretical implications of the study of material culture.

Aufgrund der Raumgröße ist nur eine begrenzte Teilnehmerzahl möglich. Wir bitten um vorherige Anmeldung per E-Mail: Annette.Cremer@ggk.uni-giessen.de.

Die Veranstaltung wird gefördert durch / sponsored by

Fritz Thyssen Stiftung

Programm

Donnerstag, Thursday, 5. Dezember 2013

19.00 Martin Mulsow (Erfurt-Gotha)/ Annette Cremer (Gießen)
Zum Stand der materiellen Kulturforschung in Deutschland/ On the status of material culture reserach in Germany

Tagungseröffnung: Begrüßung der Teilnehmer, Einführung
anschließend Abendessen/ Welcome/ Introduction/ Dinner

Freitag, Friday, 6. Dezember 2013

Materielle Identität/ Material Identities
8.30–9.30 Benjamin Steiner (Frankfurt a.M.)
Im Reich der großen Dinge. Großprojekte im kolonialen Raum Frankreichs in der Frühen Neuzeit / Empire of Big Things. Large Projects and the French Colonial Space in the Early Modern Period

9.30–10.30 Annette C. Cremer (Gießen)
Zur Dekodierung dreidimensionaler Informationsträger / How to read three-dimensional sources

10.30–11.00 Kaffeepause/ Coffee Break

Materielle Praxis/ Material Praxis
11.00–12.00 Martina Wernli (Würzburg)
Griffel, Pinsel, Gänsekiel. Wirkungsmacht unsichtbarer Schreib-Dinge/ Pen, stylus, brush and goosequills. On the Influence of invisible writing tools

12.00–13.00 Gianenrico Bernasconi (Zürich)
Das materielle Dokument. Tragbare Objekte als Technik des Sozialen im 18.–19. Jahrhundert / The Material document: Portable objects as techniques of the social in the 18th and 19th century

13.00–13.30 Mittagspause/ Lunch Break (Catering)

13.30–14.30 Führung durch die Forschungsbibliothek Gotha/ Guided Tour reserach library

14.30–15.30 Christof Jeggle (Bamberg)
Die Qualitäten von Objekten und Akteuren: Perspektiven der materiellen Kulturforschung in der vorindustriellen Wirtschaftsgeschichte / The Qualities of Objects and Actors: Perspectives of Material Culture Studies in Pre-industrial Economic History

15.30–16.00 Kaffeepause/ Coffee Break

Material als Medium des Wissens/ Material as Medium of Knowledge
16.00–17.00 Esther Helena Arens (Köln)
Zwischen Reproduktion und Repräsentation: Pflanzen, Botanik und Geschichte / Between Reproduction and Representation: Plants, Botany, and History

17.00–18.00 Britta Rabe (Frankfurt a.M.)
»Eine höhere Präcision und Schönheit in Abformungen läßt sich nicht denken«/ Collecting Antiquity, shaping Numismatics
Martin Mulsow (Erfurt/Gotha), Kommentar/ Commentary

18.15–19.30 Öffentlicher Abendvortrag/ Key Lecture
Prof. Dr. Hans Peter Hahn (Frankfurt a.M.)
Zur transepochalen Globalgeschichte des Sachbesitzes. Güterexpansion und Kulturwandel / Some remarks on a transepochal history of material possessions. Personal property expansion, cultural change and global entanglements

Samstag/ Saturday, 7. December 2013

Objektsemantiken/ Semantics
8.30–9.30 Kim Siebenhüner (Bern)
Itinerare des Materiellen. Zur Konzeptionalisierung von Dinggeschichten und dem Fluss von Juwelen in der Frühen Neuzeit/ Itineraries of the Material. The history of objects and the flow of jewels in the early modern period

9.30–10.30 Christoph Schanze (Gießen)
Ding-Ensembles im Blick zurück nach vorn. Magelones Ringe und Fortunatus’ Glückssäckel/ Looking back forward at ‚things‘. Magelone’s rings and the inexhaustible magic moneybag of Fortunatus.

10.30–11.00 Kaffeepause/ Coffee break
Historische Objektdiskurse/ Historic object discourse

11.00–11.30 Lisa Regazzoni (Frankfurt a.M.)
Stoff für die Geschichte. Auf der Suche nach materiellen Überresten in Frankreich im 18. Jahrhundert / Substance for History. The (re)discovery of material sources in the historiography of the origins of France in the 18th century

11.30–12.30 Stefan Laube (Wolfenbüttel)
Befeuerte Aura. Das Idol von Sondershausen / Fired Aura. The Idol of Sondershausen

12.30–14.00 Mittagspause / Lunch Break

14.00–15.00 Paola von Wyss-Giacosa (Zürich)
Schatten und Licht. Bilder, Beschreibungen und Deutungen indonesischer Ethnographica in Reiseberichten und antiquarischen Abhandlungen des 17. Jahrhunderts/ Shadow and Light. Images, descriptions, and interpretations of Indonesian objects in travel accounts and antiquarian tracts of the 17th century
Martin Mulsow (Erfurt/Gotha), Kommentar/ Commentary

15.00–16.00 Abschlussdiskussion/ final discussion

16.00 Ende der Tagung/ End of Workshop

Kontakt

Annette Cremer

International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen

Annette.Cremer@ggk.uni-giessen.de


Redaktion
Veröffentlicht am
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung