„Krumme Touren“ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen

„Krumme Touren“ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen

Veranstalter
Goethe-Universität Frankfurt; Technische Universität Darmstadt; Institut français d’histoire en Allemagne
Veranstaltungsort
Gebäude "Normative Ordnungen", Campus Westend, Universität Frankfurt
Ort
Frankfurt/Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.11.2013 - 30.11.2013
Deadline
11.11.2013
Von
Köhler, Volker

Organisatoren: Olivier Dard (Metz), Jens Ivo Engels (Darmstadt), Andreas Fahrmeir (Frankfurt a.M.), Frédéric Monier (Avignon)

Die Tagung wird ausgerichtet von einer Gruppe von Historikern, die sich seit einigen Jahren mit der Geschichte der politischen Korruption seit dem 19. Jahrhundert beschäftigen. Die bisherigen Studien haben ergeben, dass in den Debatten über politische Korruption regelmäßig das Verhalten von Unternehmern und Unternehmen kritisiert, wie auch der moderne Industriekapitalismus häufig einer Fundamentalkritik unterzogen wurde. Unter dem Stichwort „Korruption“ firmierten hier keineswegs nur Bestechungen im engeren Sinne, sondern tendenziell ein breiter Fächer von angenommenem Fehlverhalten in der Beziehung zwischen Privatwirtschaft einerseits und staatlichen Institutionen bzw. Politikern andererseits. Deren Zusammenwirken und die moderne Wirtschaftsordnung insgesamt wurden mit dem moralischen Verdikt der „Korruption“ als unethisches Verhalten gekennzeichnet. Das gilt in besonderem Maß für die Phase der Hochindustrialisierung zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts, ist aber auch davor und danach zu beobachten. Beim jetzigen Stand der Forschung handelt es sich allerdings noch um Einzelbeobachtungen, die auf der Tagung in einen systematischen Zusammenhang gestellt werden sollen.
Wirtschafts- und Unternehmensethik gehören zu den in den letzten Jahren intensiv debattierten Problemen unter Wirtschaftswissenschaftlern wie auch Praktikern im Management. In diesen Debatten geht es um die Frage, wie ethisch gebundenes Handeln unter Marktbedingungen erreicht werden kann, an welchen Normen es sich orientieren muss, ob und wie codes of conduct wirken. Im Selbstverständnis vieler Unternehmen, insbesondere weltweit tätiger Konzerne, gewinnt diese Dimension rasant an Bedeutung. Diesem aktuellen Interesse steht eine erstaunliche Leerstelle in der Geschichtswissenschaft gegenüber. Es ist unstrittig, dass auch in der Vergangenheit darüber nachgedacht wurde, welchen ethischen Regeln sich Unternehmen verpflichten sollten. Zwar wissen alle Beteiligten, dass Normensysteme sowohl über längere Zeiträume entstehen als auch epochengebunden sind. Eine Geschichte der Unternehmens- und Wirtschaftsethik avant la lettre fehlt bislang aber vollständig. Das gilt auch für einschlägige Fachorgane wie die Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik.

Ausgehend von diesem Doppelbefund soll die Tagung Beiträge zur Geschichte von Normen in der Wirtschaft leisten:
- Die Exploration eines neu zu konstituierenden Forschungsfeldes „Geschichte der Wirtschafts- und Unternehmensethik“.
- Eine Vermessung der bis heute vorliegenden Kenntnisse über die Thematisierung von unternehmerischem ‚Fehlverhalten‘, sowie, umgekehrt, Modelle, Verhaltensweisen oder Unternehmensziele, die aus Akteurssicht ethisch begründet waren.

Ausgangspunkt ist zunächst das Verhältnis Unternehmen-Staat bzw. Verhaltensweisen im ‚Nahverhältnis‘ zu staatlichen Institutionen (insbesondere Korruptionsvorwürfe). Darüber hinaus sollen weitere Geltungsbereiche unternehmensethischen Engagements in den Blick kommen.
Wirtschaftsethik wird hier nicht im Sinn eines universal gültigen normativen Konzepts verstanden. Vielmehr interessiert uns die normengeleitete Reflexion in historischen Gesellschaften über das Agieren von Unternehmern und Unternehmen bzw. das Selbstverständnis dieser Wirtschaftsakteure hinsichtlich der ethischen Gebundenheit ihres Handelns, also „deskriptive Wirtschaftsethik“ (vgl. Homann/Lütke: Einführung in die Wirtschaftsethik 2005, S. 12).
Behandelt werden sollen Diskussionen über ethisches / unethisches Verhalten von Unternehmen und Akteuren der Privatwirtschaft sowie Maßnahmen, die zum Erreichen ethischen Verhaltens getroffen wurden.
Der zeitliche Fokus liegt auf der Epoche seit der Industrialisierung. Im Zentrum stehen Deutschland und Frankreich.

Programm

DONNERSTAG
15:30h Begrüßung / Bienvenue
Pierre Monnet (Institut Français d’Histoire)
Andreas Fahrmeir

16:00h Panel I
"Konzeptionelles zu Wirtschaftsethik und Geschichte" /
"Éthique économique dans l'histoire: Réflexions conceptuelles"

Moderation: Werner Plumpe

Jens Ivo Engels / Julian Ostendorf
Geschichte von Unternehmensethik schreiben. Konzeptionelle Überlegungen.

Louis Pahlow
Ordnungsgemäß-redlich-vertragstreu? Kaufmannsethik und Handelsrecht in Kaiserreich und Republik.

Stefan Hielscher
Unternehmen als Governance-Entrepreneure: Ein wirtschaftsethischer Beitrag zur gesellschaftlichen Rolle von Unternehmen im historischen Kontext.

Diskussion

17:30h Kaffeepause/ Pause Café


18:00h Panel II
"Verflechtung von Staat und Wirtschaft" /
"Pratiques de l'imbrication de l'État et de l'économie"

Moderation : Pierre Monnet

Hervé Joly
Le pantouflage des hauts fonctionnaires dans les entreprises privées (XIXe-XXIe).

Diskussion

18:30h Ende/ Fin de la Journée


FREITAG

09:30h Panel II - Fortsetzung / Suite
"Verflechtung von Staat und Wirtschaft" /
"Pratiques de l'imbrication de l'État et de l'économie"

Moderation: Pierre Monnet

Beate Giehler
Der Zitrus- und Südfrüchtehandel der späten Sowjetunion.

Rainer Liedtke
Klientelismus als Determinante unternehmerischer Ethik in Südeuropa im 20. Jahrhundert.

Diskussion

10:30h Kaffeepause/ Pause Café

11:00h Panel III
"Ethik und Unternehmensentscheidungen nach 1945" /
"L'éthique et les décisions des entreprises après 1945"

Moderation: Alfred Reckendrees

Steffen Dörre
Korruption als Entscheidungskriterium. Die Auswirkung von Korruptionsdebatten auf das Auslandsengagement deutscher Unternehmer 1945-1985.

Thilo Jungkind
„Krumme Tour“ auf hoher See. Die Dünnsäureverklappung der Bayer AG und ihre Entwicklung von einer umjubelten Technologie zum Teufelswerk.

Matthias Kuhnert
David gegen Goliath. Die Kritik britischer Entwicklungsaktivisten am 'unethischen' Verhalten internationaler Großkonzerne in den 1970er und 1980er Jahren.

Diskussion

12:30h Mittagspause / Déjeuner


14:00h Panel IV
"Ethische Standards als Fassade" /
"Les normes éthiques comme façade"

Moderation: Janine Oelkers

Anna Rothfuss / Volker Köhler
Der Verein gegen das Bestechungsunwesen (1911-1933).

Fabrice Grenard
Le régime de Vichy et l’échec d’une « économie morale » dans un contexte de pénurie et d’occupation.

Fabrizio Maccaglia
A l'ombre du droit. Transactions informelles et politiques d'équipement en Sicile. La mise en marché de l'incinération des déchets domestiques.

Diskussion

15:30h Kaffeepause / Pause Café

16:00h Panel V
"Presseunternehmen und das Problem journalistischer Unabhängigkeit" / "Les entreprises de presse et le problème de l'indépendance du journalisme"

Moderation: Andreas Fahrmeir

Robert Radu
„Es gilt jetzt als unehrenhaft, von Banken [...] Vergütungen anzunehmen“. Normenwandel im Interaktionsfeld von Journalismus und Hochfinanz vor 1914.

Dominique Pinsolle
Une entreprise de presse face à la 'loi du mur': contenu rédactionnel et publicité dans Le Matin, du scandale des emprunts russes à l'affaire Stavisky.

Jean-Pierre Maillot
Jean Luchaire, réussir dans le journalisme et œuvrer pour la paix en Europe. Une illustration du pacifisme dévoyé par la corruption dans l'entre-deux-guerres.

Diskussion

17:30h Ende / Fin de la journée

19:00h Gemeinsames Abendessen / Dîner

SAMSTAG

9:30h Panel VI
"Öffentliche Aushandlung von Normen durch Skandale" /
"La négociation des normes par les scandales"

Moderation: Jens Ivo Engels

Alexander Nützenadel
Der Banca Romana-Skandal.

Stephan Ruderer
Privatisierung und Korruption. Der Skandal zwischen Argentinien und England um die Privatisierung der sanitären Anlagen in Buenos Aires 1888-1891.

Annika Klein
Stresemann und die Deutsche Evaporator AG.

Diskussion

11:00h Kaffeepause/ Pause Café

11:30h Schlusskommentar und Diskussion / Commentaires et discussion finale
Jens Ivo Engels, Andreas Fahrmeir, Frédéric Monier

12:30h Konferenzende / Fin de la conférence

Kontakt

Volker Köhler

TU Darmstadt Institut für Geschichte Residenzschloss 64283 Darmstadt

korruptionsforschung@pg.tu-darmstadt.de

http://www.korruptionsforschung.tu-darmstadt.de/konferenz
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Englisch, Französisch, Deutsch
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