Kölner Interdisziplinäre Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften "Fremdheit – Perspektiven auf das Andere"

Kölner Interdisziplinäre Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften "Fremdheit – Perspektiven auf das Andere"

Veranstalter
Prof. Dr. Tobias L. Kienlin, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln
Veranstaltungsort
Universität zu Köln, Hörsaalgebäude, Hörsaal G
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.04.2013 - 18.07.2013
Von
Prof. Dr. Tobias L. Kienlin, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln, Weyertal 125, 50923 Köln

Konzept der Kölner Interdisziplinären Vorlesung:

Folgt man dem weiten Verständnis, dass Kultur alles sei, „was im Zusammenleben der Menschen der Fall ist“ (A. Assmann 2008), so ist eine Bestimmung der Archäologie als Kulturwissenschaft unabweisbar. Dies umso mehr, als sich die verschiedenen Archäologien schon traditionell auch mit solchen Aspekten menschlicher Kultur befassen – etwa Raum, Materialität oder Medialität –, die erst kürzlich in den Blick anderer Disziplinen der Geschichts-, Sprach- oder Sozialwissenschaften gerieten, als diese sich im Rahmen als sogenannter turns ausgewiesener Paradigmenwechsel in Teilen neu als Kulturwissenschaften bestimmten.

Dabei ist oft die problematische Tendenz zu beobachten, ein Selbstverständnis als Kulturwissenschaft gegen ein traditionelleres Fachverständnis in Stellung zu bringen. Und turns, die eigentlich nur die berechtigte Ausweitung des forschenden Interesses auf neue Aspekte dessen markieren sollten, was Menschen in den verschiedensten historischen Kontexten an kulturellen Ausprägungen hervorbringen, werden zum forschungsstrategischen Kampfbegriff auf dem Markt der immer rascher sich ablösenden Theoriemoden (Bachmann-Medick 2006).

Die Archäologien hingegen, deren Zugehörigkeit zum weiten Feld der Kulturwissenschaften eigentlich außer Frage stehen sollte, entziehen sich einer solchen Selbstbestimmung oft schlicht durch Mangel an Reflexion. Hier ist ein immer noch vorherrschender Positivismus zu nennen, heute meist gewendet in die Auffassung, wissenschaftlicher Fortschritt sei, wenn nicht schlicht durch mehr Daten, so doch durch die Anwendung immer neuer, meist aus den Naturwissenschaften entlehnter Methoden zu erzielen (Gramsch 2011).

Dieses Theoriedefizit vor allem der zentraleuropäischen Archäologie wurde oft beklagt, wobei nicht vergessen werden darf, auch auf gegenläufige Tendenzen hinzuweisen. Seitens der Klassischen Archäologie sind diese etwa im Umfeld der in Hamburg beheimateten Zeitschrift Hephaistos zu verorten. Seitens der Prähistorischen Archäologie verbinden sie sich etwa mit der Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft Theorie (heute in Verbindung mit der Ethnographisch-Archäologischen Zeitschrift, Leipzig) und früher mit dem Tübinger Institut unter der Leitung des damaligen Lehrstuhlinhabers M.K.H. Eggert (diverse Bände der Reihe Tübinger Archäologische Taschenbücher).

Gleichwohl kann man nicht sagen, dass in den Archäologien inhaltliche Konzepte für eine dauerhafte fruchtbare Aufstellung als Kulturwissenschaft ausreichend bestimmt wären. Vielmehr ist oft ein taktisches Verhältnis zu ‚Theorie‘ festzustellen. So etwa wenn es darum geht, Teil zu haben an den heute so wichtigen inter- oder transdisziplinären Forschungsverbünden, ohne dass die ‚Antragsrhetorik‘ durchschlüge auf das tatsächliche Anliegen und die Forschungspraxis.

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel, mit der „Kölner Interdisziplinären Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften“ ein unversitär verankertes Forum zu schaffen, um einschlägige Themen und Theorien vertiefend zu erörtern, die die unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Disziplinen verbinden. Ohne den Druck unmittelbaren Anwendungsbezugs, auch ohne den Drang, fortwährend neue turns ausrufen zu müssen, bevor noch die Implikationen der jeweils vorhergehenden bedacht sind, soll Erkenntnisgewinn gerade durch das Nebeneinander und die Zusammenschau verschiedener Fachtraditionen, Ansätze und Meinungen ermöglicht werden. Weder wird der Gestus des drohend erhobenen theoretischen Zeigefingers angestrebt noch sollen kontroverse Debatten unbedingt auf einen gemeinsamen Nenner gebracht oder als verbindlich erachtete Forschungsstrategien reformuliert werden.

Als gewinnbringend wird vielmehr angesehen, Differenz in Perspektiven und Herangehensweisen zuzulassen und sichtbar zu machen, um eine Reflexion auf den je eigenen Standpunkt zu erlauben. Ein Beitrag der Archäologien kann dabei in der großen zeitlichen Tiefe ihres Forschungsgegenstands liegen. Ebenso relevant ist ihr spezifisches Interesse an der Bedeutung materieller Kultur für die Konstruktion kultureller und sozialer ‚Realität‘ – vermitteln die Dinge doch kulturelle Klassifikationsschemata oder habituelle Prägungen und sind gerade deshalb ‚wirkmächtig‘, da ihr kommunikatives Potential anders als sprachliche Aussagen selten bewusst reflektiert wird.

Indem das kommunikative Potential materieller Kultur herausgestellt wird, die Anordnungen der Dinge und ihre sozialen Handlungsbezüge thematisiert werden, bestehen vielfache Anknüpfungspunkte an andere kulturwissenschaftliche Disziplinen, die sich ebenfalls mit der Rekonstruktion materieller und immaterieller Kommunikationsräume und Diskursfelder befassen. Entsprechendes gilt selbstverständlich auch für alle anderen Bereiche kulturwissenschaftlicher Theoriebildung, die weiterführend verglichen und auf ihre Reichweite in verschiedenen historischen Kontexten ebenso wie die je unterschiedliche Struktur der verfügbaren Quellen hin befragt werden können.

Dabei kann es weder um eine Vereinnahmung der jeweiligen Nachbardisziplinen gehen noch um die Aufforderung, dort entwickelte Ansätze ‚anzuwenden‘. Vielmehr sollen ähnliche Problemlagen ermittelt und zudem aufgezeigt werden, welche Zugangsweisen in unterschiedlichen disziplinären Traditionen beim Umgang mit diversen Quellen bzw. Medien (Text, Sprache, Bild, materielle Kultur ...) denkbar sind.

Getragen wird dies von der Überzeugung, dass allen Unterschieden der Fachtraditionen zum Trotz mit dem gemeinsamen Interesse an einem Verständnis der Vielfalt menschlicher Kulturäußerungen eine hinreichende Begründung des Gegenstands kulturwissenschaftlicher Forschung vorliegt. Und dass ferner wir alle als Vertreter europäischer universitärer Disziplinen des 20./21. Jahrhunderts in unseren Konzeptualisierungen menschlicher Kultur an ähnliche Traditionen und geistesgeschichtliche Prädispositionen anknüpfen, deren Auswirkungen auf unser Tun es zu reflektieren gilt.

Gegenstand der ersten Kölner Interdisziplinären Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften im Sommersemester 2013 ist aus diesem Grund das Thema „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“.

Mit Blick auf zukünftige Themen ist unter anderem an „Emotionen“, „Natur und Naturwahrnehmung“ sowie „Verwandtschaft“ gedacht. Anregungen an die Veranstalter oder auch Kooperationsvorschläge für zukünftige Ausgestaltungen sind herzlich willkommen.

Thema Fremdheit:

Unser Wissen über das kulturell Fremde, das gegenwärtige wie das vergangene, stellt eine Konstruktion dar, die als solche in unserer akademischen Sozialisation ebenso verwurzelt ist wie in weiteren zeitgenössischen Denkströmungen und Traditionen. Diese bestimmen unser Bild von den ‚Anderen‘ bzw. allgemein unsere Dispositionen, das ‚Andere‘ zu bestimmen, beispielsweise als faszinierend und exotisch oder aber als unbekannt und bedrohlich.

Die Frage, wie unser Wissen über das Fremde zu Stande kommt bzw. was und auf welche Weise wir überhaupt wissen können, hat eine lange Tradition in den Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften, etwa im Bereich hermeneutischer Ansätze. Gleiches gilt für den Versuch, unser einschlägiges Wissen historisch zu kontextualisieren, also für die Frage, durch welche Denktraditionen des frühneuzeitlichen und modernen Westens unsere Fremdbilder jeweils bedingt sind, sei es der ‚edle Wilde‘ oder – im 20. Jh. durchaus häufiger, jedenfalls bedrohlicher – negative Fremdzuschreibungen an Kollektive, die dann auch unmittelbar handlungsleitend wurden.

Erstaunlicherweise ist demgegenüber zu konstatieren, dass bestimmte, auch problematische Bilder des Anderen erstaunlich langlebig sind. Im alltäglichen Vollzug, in Forschung und Lehre, tritt das Gemachtsein unseres Wissens um das kulturell und sozial Andere immer wieder in den Hintergrund. Dies reicht von der Ebene individueller Identitäten, der sich beispielsweise auch die Gender Studies widmen, über die unreflektierte Rede über uns fremde Kollektive, als wären Ethnien oder Völker eine ontologische Gegebenheit, bis hin zu problematischen Epochencharakterisierungen, die Differenz und Varianz im Rahmen eines evolutionistischen Paradigmas nur als Fortschritt zu denken erlauben.

So scheint es, als müsse das Problembewusstsein immer aufs Neue geschärft werden, in der Forschung wie im öffentlichen Diskurs. Die Ringvorlesung 2013 „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“ soll hierzu einen Beitrag leisten, indem exemplarisch und aus der Perspektive verschiedener kulturwissenschaftlicher Disziplinen nach den Mechanismen der Genese und den Wurzeln unserer Vorstellungen des sozial und kulturell Fremden gefragt wird. Dabei kann deutlich werden, wie mit diesem Problem auf unterschiedliche Weise umgegangen wurde und wird, auch hinsichtlich dessen, was überhaupt als problematisch wahrgenommen wird.

Besonderes Augenmerk verdient zweifellos auch die Frage, wie solche Fremdbilder instrumentalisiert werden, welche Strategien ihres Gebrauchs vorliegen, um in öffentlichen Diskursen Geltungsansprüche durchzusetzen, Ordnungen und Werte zu stabilisieren oder gegebenen falls zu delegitimieren und zu untergraben. Zu thematisieren ist hier, wie sich solche Inanspruchnahmen in affirmativem oder kritischem Sinn auf die betroffenen Wissenschaftler/Innen sowie auf die universitäre Forschung und Lehre, sei es in der Archäologie, der Ethnologie, Soziologie etc. auswirken.

Dass dabei seitens der Archäologie gerade vergangene und rezente, so genannte primitive oder traditionelle Gesellschaften und das Bild, das sich der Westen von ihnen in den verschiedenen Medien macht, ins Blickfeld gerückt werden, liegt auf der Hand. Dabei bestehen jedoch vielfältige Berührungspunkte mit anderen Disziplinen, genannt seien neben der Ethnologie nur die Kunstwissenschaft, die Germanistik oder die Geschichtswissenschaft(en).

Schließlich begegnen hier jeweils ähnliche Diskurse, die auf dieselben Wurzeln zurückzuführen sind: letztlich den frühneuzeitlichen kolonialen Kontakt mit außereuropäischen Völkern und die darauf aufbauenden eurozentrischen Konzeptualisierungen des Fremden. Inhaltlich reicht dies von der positiven Verklärung durch Primitivismus oder Exotismus, über die tendenzielle Abwertung im Rahmen fortschrittsgläubiger evolutionistischer Diskurse mit ihrer Fokussierung auf die Entstehung von Hochkultur bzw. Zivilisation bis hin zur Legitimation europäischer Vorherrschaft.

Unabhängig von den jeweiligen disziplinären Besonderheiten besteht eine gemeinsame Verantwortung, die wahrzunehmen – und dabei unsere Konstruktionen des Fremden zu relativieren und zu kontextualisieren – in keiner Weise eine Abwertung unserer Aussagen über kulturelle Phänomene darstellt. Im Gegenteil: Wissenschaftlichkeit äußert sich gerade in dem Bewusstsein der Bedingtheit solcher Aussagen über das kulturell Fremde – und nicht in dem Anspruch auf zeitlos gültige ‚Wahrheiten‘.

Programm

Do. 11.4.: Patricia B. Linnertz (Bonn): Die Fremden im eigenen Land – Nordamerikanische Archäologie im 19. Jahrhundert

Do. 18.4.: Thomas Widlok (Köln): Kulturtechniken und ihr Gegenteil. Beispiele aus Afrika

Do. 25.4.: Sebastian Brather (Freiburg), Alteritäten und Identitäten. Perspektiven der Frühmittelalterarchäologie

Do. 2.5.: Sabine Rieckhoff (Regensburg/Leipzig): „Die Welt der Kelten 2012“ – Geschichte eines Konstruktes

Mitt. 8.5. (Hörsaal D): Constance v. Rüden (Heidelberg): Minoische Thalassokratie vs. orientalische Despoten – die Archäologie des östlichen Mittelmeerraums zwischen Orientalismus und Globalisierung

Do. 16.5.: Manfred K. H. Eggert (Tübingen): Über ‚Kult’ in der Archäologie oder Die Fremdheit des Rituellen

Mitt. 29.5. (Hörsaal D): Andrea Geier / Dietmar Till (Trier / Tübingen): Edward Saids „Orientalism“ und der „deutsche Orientalismus“

Do. 6.6.: Herbert Uerlings (Trier): Verkehrte Welten. Primitivismus in Literatur und Kunst der frühen Moderne

Do. 13.6.: Erich Kistler (Innsbruck): Zwischen Eigenem und Fremden – Versuch einer ‚Dichten Beschreibung‘ der Archäologie eines spätarchaischen Kultbezirkes auf dem Monte Iato (Sizilien)

Do. 20.6.: Beat Schweizer (Tübingen): Griechische Archäologie. Eine Archäologie des Fremden?

Do. 27.6.: Brigitte Röder (Basel): Jäger sind anders – Sammlerinnen auch. Zur Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechter- und Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie.

Do. 4.7.: Alexandra Karentzos (Darmstadt): Postkoloniale und transkulturelle Ansätze in der Kunstwissenschaft

Do. 11.7.: Christoph Ulf (Innsbruck): Korrelationen des Wandels. Die Formierung von Identität und Fremdheit bei Thukydides

Do. 18.7.: Paul Roscoe (Maine): The Western Ego and the Melanesian Alter: Confusing State Categories with Melanesian Realities

Kontakt

Tobias L. Kienlin, Prof. Dr.

Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln, Weyertal 125, 50923 Köln

0221 470-2886

tkienlin@uni-koeln.de

http://ufg.phil-fak.uni-koeln.de/6037.html