Das Länderrating zur Abwägung der Kreditwürdigkeit, die ‚Pisa-Studie‘ und die Stiftung Warentest haben eines gemeinsam: Sie basieren auf systematischen Vergleichen. Und so unterschiedlich die Beispiele, so sehr scheint ihr Kernthema, der Vergleich, einmal eingeführt, eine Dynamik zu entwickeln, der man sich nicht entziehen kann und die kaum zu stoppen scheint.
Die Ranggesellschaft der Vormoderne ist auf Ungleichheit abonniert und führt damit auch den Vergleich inhärent mit sich. Jedoch unterscheiden sich Form und Wirkung stark von den in der Moderne beobachteten Phänomenen. Ziel der Tagung ist es, dem Stellenwert nachzuspüren, den die vormoderne Gesellschaft dem Vergleich als soziales Phänomen zuweist. Als Kontrastfolie dient dabei der Vergleich in der Moderne.
Vergleich und Gesellschaftsstruktur
Für die Gesellschaft der Gegenwart ist die Beobachtung zentral, dass Vergleiche und ihre Dynamiken primär im Rahmen bestimmter funktional ausdifferenzierter Bereiche Wirkung erzielen, kaum aber bereichsübergreifend Relevanz gewinnen (Universitätsrankings und die Bewertung von Unternehmen spielen jeweils nur für das Bildungs- bzw. Wirtschaftssystem eine Rolle). Lassen sich diesbezüglich für die Vormoderne etwa segmentäre oder stratifikatorische Bereiche identifizieren, die nicht funktional differenziert sind, dennoch aber nur für auf sie begrenzte Vergleiche produzierten (etwa: Vergleich von Adelsfamilien, von Städten oder religiösen Orden untereinander)? Aber kommt der Adel ohne Vergleich mit dem Bürger oder Bauern aus? Oder orientiert sich der vormoderne Vergleich über alle Bereiche hinweg primär an allgemeingültigen Kategorien wie Anciennität, Heiligkeit und Ehre?
Es scheint, dass die Einbettung des Vergleichs in funktional ausdifferenzierte Felder mit der beobachtbaren Eigendynamik des Vergleichs zusammenhängt. Werden Eigendynamiken des Vergleichs durch die Grundstrukturen der Gesellschaft oder die allgemeinen, normativen Semantiken (‚Ehre‘) ‚ausgebremst‘? Lassen sich in der Vormoderne überhaupt Eigendynamiken des Vergleichs identifizieren oder nehmen sie schlicht eine andere Richtung als in der Moderne?
Folgen des Phänomens ‚Vergleich‘
Rankings und andere Arten des Vergleichens haben nicht zuletzt zur Folge, dass sich Einzelne wie Institutionen gegenseitig wahrnehmen, z. T. ohne dass sie deshalb in direktem Kontakt miteinander treten müssten. Dies wechselseitige Beobachten auf der Basis bestimmter Vergleichskommunikationen scheint dann entweder dazu zu führen, dass man sich aneinander angleicht oder aber, meist gestützt auf ein Inkommensurabilitätspostulat, der Vergleich generell zurückgewiesen wird. Ähnliche Strukturbildung bei Bildungseinrichtungen und Unternehmen weltweit basieren nicht zuletzt auf dem Vergleich und sind Beispiele für den ersten Fall; eine gewisse globale Integration scheint die Folge. Dagegen nehmen bestimmte Staaten sowie religiöse und ethnische Gruppen nicht selten kulturelle Unvergleichbarkeit für sich in Anspruch, um sich dem Druck des Vergleichs zu entziehen.
Vergleich als Mechanismus der Angleichung und Integration und Vergleich als Mechanismus der Separierung und Desintegration – diese beiden Konfigurationen sind sicher auch für die Vormoderne von Relevanz, dürften aber auf anderen sozialen Formationen basieren und zielen. Um nur zwei Bereiche zu nennen: Der Vergleich der Religionen und Konfessionen etwa macht seit der Bekämpfung der Häresie durch das Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert einen erheblichen Wandel durch. Heeraufgebot und Mäzenatentum scheinen zwei Spielarten zu sein, durch welche sich Fürstenhöfe untereinander verglichen (und angeglichen) haben. Und nicht erst seit den Kreuzzügen des Hochmittelalters und den Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts werden Kulturen miteinander verglichen. Wo bzw. in welchen sozialen Bereichen der Vormoderne waren Vergleiche geradezu geboten, wo nicht erlaubt? Welche Effekte und Folgen hatten solche Ge- und Verbote für den Einzelnen, welche für die Gesellschaft? Kam dem Vergleich innerhalb bestimmter Gruppen, trotz der aufscheinenden Konkurrenz, eine integrative Funktion zu? Wie wichtig war der Vergleich für die Identitätsbildung von Gruppen wie Einzelpersonen? Wie greift der Einzelne auf den Vergleich zurück, um sich mit anderen in Relation zu setzen bzw. seine Individualität zu markieren?
Medien und Vergleichskommunikation
Wesentlich für die Prominenz des Vergleichs heute scheint nicht zuletzt seine mediale Aufbereitung zu sein. Dies in zweifacher Weise: Zum einen stehen seit der Telegraphie Techniken zur Verfügung, die es erlauben, Vergleiche in Echtzeit zu verbreiten. Zum zweiten nutzt die Vergleichskommunikation heute in starkem Maße in Tabellen eingetragene Zahlenwerte sowie graphische Darstellungen.
Ohne Zweifel ist die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit geringer gewesen als heute. Zudem dominierte dort, wo auf Schrift zurückgegriffen wird, die Erzählung, obwohl seit dem 16. Jahrhundert auch die tabellarische Darstellung an Raum gewann. Zugleich aber scheinen in der vormodernen Präsenz- oder Anwesenheitsgesellschaft andere Medien wie etwa Kleidung und die Positionierung von Personen im Raum prominent als Medien der Vergleichskommunikation genutzt worden zu sein. Welche Folgen hatte dies für die Verwendung und Wirkung von Vergleichen in dieser Gesellschaft? Führt die Situierung des Vergleichs in face-to-face-Situationen und die dort applizierten Medien dazu, dass Vergleiche weniger explizit herausgestellt wurden als heute?
Vergleich, Zeit und Entwicklung
Dieses Jahr Platz 5, nächstes Jahr Platz 2? Ob bei der Weltrangliste von Tennisspielern oder der Wirtschaftsleistung von Staaten – Vergleiche wollen auch Veränderungen abbilden und haben oft einen zeitlichen Index, der sich in der Moderne nicht zuletzt mit Fortschritt und Wachstum verbindet. Galt speziell das Mittelalter lange als wenig innovative Epoche, so hat sich inzwischen ein differenzierteres Bild eingestellt. Kirchen- und Klosterreformen waren seit dem 11. Jahrhundert auf der Agenda, um grundlegende Veränderungen der Gesellschaft bemühten sich auch Herrscher wie Publizisten insbesondere des 15. Jahrhunderts. Die Gattung der Utopien ist bekanntlich eine Erfindung der Frühen Neuzeit, und technischen Innovationen begegnete man vielleicht sogar mit weniger Skepsis als heute. Allerdings band man die Legitimität von Veränderungen meist an theologische Konzeptionen zurück, die nicht zuletzt andere Vorstellung von Zeitlichkeit hegten. Welchen Platz hat dann der Vergleich in diesem Kontext? Wie stark kann er ‚Zeit‘ als Index mitführen oder gar zum Thema machen? Welche Rückschlüsse auf den Vergleich als soziales Phänomen der Vormoderne ergeben sich daraus?
Themenfelder
Als abstraktes Konzept kann die Analyse des Funktionierens und der Bedeutung von Vergleich in der Vormoderne für unterschiedlichste Themen unternommen werden. Die im Folgenden genannten Themenfelder sollen als Hinweise dienen, nicht als Ausschluss anderer möglicher Bereiche betrachtet werden. Einige Themen wurden bereits oben angesprochen und seien hier kurz wiederholt: Vergleich von Adelsfamilien und Fürstenhöfen, von Städten oder religiösen Orden, Religionen und Konfessionen, Reformbestrebungen im kirchlichen wie weltlichen Bereich sowie zwischen Kulturen. Hinsichtlich der medialen Aufbereitung des Vergleichs wurden bereits Schrift und Tabelle, Kleidung und die Positionierung im Raum als Themen genannt. Untersuchungen zu den Prinzipien Anciennität, Heiligkeit und Ehre in Relation zum ‚Vergleich‘ sind ebenso vorstellbar wie zum Verhältnis von Vergleich und ‚Individualität‘.
Die Tagung fußt auf Ideen und Konzepte, wie sie in einer Arbeitsgruppe um Bettina Heintz und Willibald Steinmetz entwickelt wurden und weiter entwickelt werden. Sie steht im Kontext zweier weiterer Tagungen sowie einer Reihe von Workshops, die 2013 und 2014 in Bielefeld durchgeführt werden und ebenfalls auf diesem Konzept basieren, aber jeweils eine eigene zeitliche und thematische Ausrichtung haben werden.
Weitere Informationen finden Sie auch unter:
http://www.uni-bielefeld.de/VormoderneVergleich
Tagungsort:
Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (ZiF)
Wellenberg 1, 33615 Bielefeld, www.uni-bielefeld.de/ZIF/
Kontakt:
Iris Kukla (Sekretariat): VergleichVormoderne@uni-bielefeld.de
Tel. +49 521. 106-3259