'Der deutsche Mann ermattet nicht, wenn Gefahren ihn umtoben!' Interdependenzen von Geschlecht, Ethnizität und Klasse in der Geschichte der Deutschen in Polen im 19. und 20. Jahrhundert

'Der deutsche Mann ermattet nicht, wenn Gefahren ihn umtoben!' Interdependenzen von Geschlecht, Ethnizität und Klasse in der Geschichte der Deutschen in Polen im 19. und 20. Jahrhundert

Veranstalter
Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen; Professur für Europäische Zeitgeschichte seit 1945 (Prof. Dr. Claudia Kraft) an der Universität Siegen
Veranstaltungsort
Artur-Woll-Haus, Am Eichenhang 50, 57076 Siegen
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2013 - 05.10.2013
Deadline
15.01.2013
Von
Claudia Kraft

„Der deutsche Mann ermattet nicht, wenn Gefahren ihn umtoben!“ Interdependenzen von Geschlecht, Ethnizität und Klasse in der Geschichte der Deutschen in Polen im 19. und 20. Jahrhundert

Call for Papers

[For English version see below.]

In den letzten Jahren ist eine Reihe von Studien erschienen, die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Polen im 19. und 20. Jahrhundert werfen. Gemeinsam ist diesen Darstellungen, dass sie sich deutlich von der Beschreibung oder (Re-)Konstruktion national konnotierter Gegensätze abheben und mit neuen alltags- oder institutionengeschichtlichen Ansätzen die Vielfalt der Konflikt-, aber auch Koexistenzsituationen beschreiben und zu einem sehr viel ausgewogeneren Bild der Selbst- und Fremdbeschreibung sowie der Handlungsmöglichkeiten von historischen Akteuren und Kollektiven in einem sprachlich und konfessionell heterogenen Umfeld kommen. Zugleich sind für die unbestreitbar konfliktreichen Phasen des deutsch-polnisch-jüdischen Zusammenlebens, die seit dem späten 19. Jahrhundert zu einer Verschärfung der national konnotierten Antagonismen führten und im 20. Jahrhundert in der brutalen deutschen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik im besetzten Polen gipfelten, neue Analyseperspektiven entwickelt worden, die die preußische bzw. deutsche Geschichte in eine gesamteuropäische, zum Teil auch globale Perspektive imperialer und kolonialer Herrschaftspraktiken rücken. Auch hat sich eine lebhafte Debatte entwickelt, inwieweit eine solche Perspektivierung von Wahrnehmungsmustern und Herrschaftspraktiken der deutschen Politik gegenüber dem östlichen Europa im Generellen und Polen im Besonderen gerecht werden kann. Neben dem Fehlen von empirisch gesättigten Studien, die die Validität imperial- und kolonialgeschichtlicher Ansätze sowie Herangehensweisen der postcolonialstudies überprüfen, fällt auf, dass in sehr vielen Studien eine Perspektive wenn überhaupt dann nur äußerst marginal vertreten ist, nämlich die geschlechtergeschichtliche. Dabei haben gerade in den beiden letzten Jahrzehnten zahlreiche Forscherinnen und Forscher zeigen können, dass sowohl für die Beschreibung national imprägnierter beziehungsgeschichtlicher Konstellationen als auch für die differenziertere Betrachtung kolonialer Herrschaftsbeziehungen gender als eine Kategorie, mittels derer Hierarchisierung hergestellt, performativ eingeschliffen und Identitäten konstruiert werden, von großem analytischen Wert ist. Die Tagung setzt sich daher zum Ziel, Ansätze der postcolonialstudies und der genderstudies für einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Polen in den letzten beiden Jahrhunderten fruchtbar zu machen. Geschlecht wird dabei nicht als die einzige bzw. dominante Kategorie verstanden, mittels derer Machtbeziehungen hergestellt bzw. affirmiert werden. Vielmehr bietet es sich an, gender als interdependente Kategorie zu verstehen, die im Zusammenspiel mit anderen Kategorien wie race oder class (und eventuell weiteren herauszuarbeitenden Kategorien) Handlungsfelder konstituiert und Identitäten herstellt.

Folgende thematischen Blöcke sind vorstellbar:

- Inwieweit betrafen Prozesse der Demokratisierung, Nationalisierung, Modernisierung Frauen und Männer in unterschiedlichem Maße und wie positionierten sich Männer und Frauen in einer Matrix, die durch geschlechtliche, ethnische, soziale und weitere Hierarchisierungen gegliedert war?
- Wie wird über geschlechtliche Codierungen Fortschrittlichkeit oder zivilisatorische Inferiorität markiert? (Interessant sind hier gerade die diskursiven Strategien des Kolonialismus: unterdrückte Gruppe bzw. deren „Zivilisationsgrad“ werden danach beurteilt, wie jene Gruppe „ihre“ Frauen behandelten.)
- Wie wird mit Zuschreibungen von Geschlecht Wirklichkeit konstruiert und geordnet? Die Analyse von Presseerzeugnisse (etwa der „Gartenlaube“) oder der sogenannten Kolonialromane hat hier bereits interessante Ergebnisse geliefert; weniger untersucht ist hingegen die soziale Praxis: interessant ist vor allem, die Wechselwirkungen in den Modernisierungsprozessen zu betrachten. Man könnte etwa in Anlehnung an die These von Nancy Reagin – dass das Bürgertum (auch vermittels geschlechtlicher Codierungen) seine Normen und seinen Habitus als gesamtnational darstellen konnte – fragen, wie dies in Gesellschaften mit einem nicht so dominanten Bürgertum aussah und welche verflechtungsgeschichtlichen Aspekte dabei zu berücksichtigen sind.
- Wie veränderten sich Geschlechterverhältnisse vor dem Hintergrund ethnischer und sozialer Konfliktsituationen: boten sich hier besondere Partizipationschancen für Frauen, die Hierarchisierungen entlang der Kategorien race und class für die Erlangung von Geschlechtergleichheit instrumentalisierten?
- Welche Erscheinungsformen und Folgen hatten (militärisch geprägte) Männlichkeitsvorstellungen und –rituale auf das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen?
- Welche Rolle spielte insbesondere in Konfliktsituationen ausgelebte und unterdrückte bzw. gesellschaftlich nicht tolerierte Sexualität in der Wahrnehmung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen?

Vorschläge für einen Beitrag sind in Form eines Exposés (1-2 Seiten) inklusive eines kurzen wissenschaftlichen cv bis 15. Januar 2013 einzureichen: per email an claudia.kraft@uni-siegen.de und Markus.Krzoska@geschichte.uni-giessen.de.

Reise- und Aufenthaltskosten der ReferentInnen werden übernommen.

Call for Papers

“German men do not tire when surrounded by dangers!” Interdependencies of gender, ethnicity and class in the history of the Germans in Poland in the 19th and 20th centuries.

International Conference by the Commission for the History of the Germans in Poland and the Professorship for European Contemporary History since 1945 at the University of Siegen

3–5 October 2013 (University of Siegen, Artur-Woll-Haus, Am Eichenhang 50, 57076 Siegen)

In recent years, a series of studies that re-examine the history of the Germans in Poland during the 19th and 20th centuries has been published. What these accounts have in common is that they significantly deviate from descriptions or (re)constructions of dichotomies based on national connotations. Instead, they describe the wide range of situations involving conflict, but also coexistence, using new approaches that focus on the history of everyday life or institutions. Thus they provide a far more balanced view of the scope for action held by historical actors and collectives in a linguistically and religiously heterogeneous environment and of how these actors and collectives described themselves and were described by others. Simultaneously, new analytical perspectives have been developed for the undeniably conflict-ridden phases of German, Polish and Jewish coexistence, which led to an intensification in the antagonisms based on national connotations from the late 19th century onwards, culminating in the brutal German expulsion and annihilation policies in occupied Poland during the Second World War. These new perspectives shift Prussian and German history to a European, and partially also to a global, perspective of imperial and colonial hegemonic practices. A lively debate has also emerged on the question of to what extent such new perspectives of patterns of perception and hegemonic practices in German policies towards Eastern Europe in general and towards Poland in particular can be just. Apart from the lack of thorough empirical studies, which examine the validity of imperial and colonial historical approaches and the methodology used in postcolonial studies, it is noticeable that many studies only mention a particular perspective as something of minor importance – if they mention it at all: this is the gender perspective. And yet in the last twenty years in particular, many researchers have been able to show that as a category through which identities are constructed and a hierarchisation is created and performed, gender is of great analytical value both in terms of describing nationally impregnated configurations in the history of relationships and in viewing colonial hegemonic relations in a nuanced way. Hence, the aim of the symposium is to make approaches used in postcolonial and gender studies productive in re-examining the history of the Germans in Poland during the last two centuries. Gender is not understood here as the only or dominant category by which power relations are produced or affirmed. Instead, it is useful to understand gender as an interdependent category that constitutes fields of action and creates identities in interplay with other categories such as race or class (and possibly also with other categories that have yet to be identified).

Proposals are invited on the following topics:

- To what extent did processes of democratisation, nationalisation and modernisation affect women and men differently? How did men and women position themselves in a matrix based on gender, ethnic, social and other hierarchies?
- How is gender coding used to mark progressiveness or inferiority in terms of “civilisation”? (The discursive strategies of colonialism are of particular interest here: repressed groups and their “degree of civilisation” are judged on how they treated “their” women.)
- How is reality constructed and structured using gender ascriptions? The analysis of press articles (such as those published in the weekly magazine, Die Gartenlaube) or of the colonial novel has already produced interesting findings in this area. But so far there has been less research on social practices. Interactions in modernisation processes are here of particular interest: following on from Nancy Reagin’s hypothesis that the middle classes were able to present their norms and habitus as national norms and habitus (also through the use of gender coding), one could ask how this applied in societies with a less dominant middle class and which intertwining historical aspects should be taken into account here.
- How did gender relations change against the backdrop of ethnic and social conflict situations? Did such situations provide women with particular opportunities to participate and to exploit the hierarchisations of the categories of race and class in order to achieve gender equality?
- What were the manifestations and effects of (military) concepts and rituals of masculinity on the coexistence of various ethnic groups?
- Which role did sexuality, whether practised, repressed or not tolerated by society, play in the perception of different segments in the population, particularly in conflict situations?

Please submit your suggestions for a paper in the form of an abstract (1 – 2 pages long) and a short academic CV by 15 January 2013 by e-mail to claudia.kraft@uni-siegen.de and Markus.Krzoska@geschichte.uni-giessen.de.

The speakers’ travel and accommodation expenses will be covered.

Programm

Kontakt

Prof. Dr. Claudia Kraft
Professur für Europäische Zeitgeschichte seit 1945
Philosophische Fakultät der Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Straße 2 (AR-B 2115)
57068 Siegen
Tel.: 0049/271/740 3263
email: claudia.kraft@uni-siegen.de

http://www.uni-siegen.de/phil/geschichte/lehrstuehle/zeitgeschichte/index.html?lang=de
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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