Manuscripts Changing Hands - Handschriften wechseln von Hand zu Hand

Manuscripts Changing Hands - Handschriften wechseln von Hand zu Hand

Veranstalter
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Leitung: Dr. Volker Schier (Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies) und Professor Dr. Corine Schleif (Arizona State University)
Veranstaltungsort
Bibelsaal in der Bibliotheca Augusta
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.06.2012 - 22.06.2012
Website
Von
Volker Bauer

Das Arbeitsgespräch basiert auf der Prämisse, dass Bücher konzipiert wurden, um von einer Hand in eine andere zu wechseln. Bibliotheken wie die Herzog August Bibliothek sehen eine Hauptaufgabe darin, die Weitergabe von Codices für einen möglichst langen Zeitraum zu gewährleisten. Das Buch fungiert als Bindeglied zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen Donatoren und Rezipienten, und es kettet und kittet mehrere Generationen aneinander. Das Buch verbindet Schreiber mit Lesern, Schreiber mit Schreibern und Leser mit Lesern. Die Tagung knüpft an Forschungen über Darstellungen von Gegenständen (unter ihnen Büchern) an, die während des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Gaben genutzt wurden, um das Seelenheil zu erlangen und die Memoria zu sichern.

Bücher sind dazu da, um von Hand zu Hand weitergereicht zu werden. Leser und Schreiber agieren dabei in einer buchstäblich handelnden Gemeinschaft. Viele Hände hinterlassen Spuren, und diese wurden und werden von späteren Lesern entdeckt und von den nachfolgenden Forschern als Quelle genutzt – z.B. Selbstkarikaturen von Korrektoren, Selbstdarstellungen von Figuren ohne Namens- oder Funktionsangabe, in Wortspiele eingebundene Selbstportraits von Illuminatoren, Schlussbemerkungen der Schreiber, die Gebete fordern oder mit Flüchen drohen, Darstellungen von Stiftern als kniende Donatoren, aber auch Listen mit den Namen von Benutzern, die in die Handschriften eingelegt sind. Diese Spuren deuten auf die Wechselbeziehungen im Produktions- und Rezeptionsprozess und zeigen, dass die Weitergabe von Büchern selbstreflexiv erfolgte: Die Schriften binden Menschen aneinander, bilden Gemeinschaften und schaffen dadurch Identitäten. Autoren oder sonstige Personen, die sich in die Handschriften einschrieben, sprechen eine lebendige Leserschaft an, indem sie durch Stimmen und Bilder direkt an die Benutzer (auch an die heutigen Wissenschaftler) appellieren und so eine Kontinuität zwischen den Produzenten und den Rezipienten andererseits konstruieren. Insofern besteht ein Charakteristikum der mittelalterlichen Handschrift in der Unmittelbarkeit der Kommunikation von Mensch zu Mensch.

Vor mehr als 500 Jahren tauschte das handgeschriebene Buch seine Einmaligkeit gegen den vervielfältigten Druck ein, und jetzt schüttelt das gedruckte Buch seine begrenzte physische Handhabung zugunsten eines unendlichen virtuellen Daseins ab. Gerade der Verlust des gebundenen Buches als sozusagen bindendes Objekt lädt zum Nachdenken über die Weitergabe von Büchern “von Hand zu Hand” und die dabei beobachtbaren komplexen Strategien ein. In der bisherigen Forschung wurde dieser Aspekt nur unzureichend berücksichtigt, und so wird das kommende Arbeitsgespräch wichtige Anstöße für weitere Untersuchungen und Diskussionen geben.

Programm

Mittwoch, 20. Juni 2012

1. Die fortlaufende Gabe: Ein Buch wird überreicht

14.00 Uhr: Begrüßung und Einführung

14.30 Uhr: Corine Schleif (Arizona State University, Tempe):
Handing Books on: Hierarchies, History, and Historiography of Visualized En-counters around the Book

15.15 Uhr: Kaffeepause

15.45 Uhr: William Diebold (Reed College, Oregon):
Who May Touch? The Presentation and Reception of Books with Bare and Draped Hands in Early Medieval Art

16.30 Uhr: Bruno Reudenbach (Universität Hamburg):
Das Buch in der Hand Gottes - Ostentation oder Übergabe?

17.15 Uhr Kathryn Rudy (University of St. Andrews, Schottland)
Praktische Demonstration der Densitometer-Anwendung für Untersuchungen des Handschriftengebrauchs

Donnerstag, 21. Juni 2012

2. Bleibende Erinnerung: Selbstzeugnisse der Hände in Büchern

09.00 Uhr: Gabriela Signori (Universität Konstanz):
Die frühmittelalterliche Regula solitariorum und ihre spätmittelalterlichen Lese-rinnen (Cod. Sang. 930 und ihrer Schwesterhandschrift Cod. Sang. 931)

09.45 Uhr: Nancy van Deusen (Claremont Graduate University, Kalifornien):
What about Muri? A Great Library Disappears

10.30 Uhr: Kaffeepause

11.00 Uhr: Volker Schier (Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies):
A Producer Inserts Himself: The Case of an Impertinent Scribe in a Manuscript from Braunschweig

11.45 Uhr: Alison Stones (University of Pittsburgh, Pennsylvania):
Von Hand zu Hand: the commission and transmission of liturgical books in France c. 1300

12.30 Uhr: Mittagspause

14.00 Uhr: Matthias Eifler (Universitätsbibliothek Leipzig):
Bücher in den Händen von Klosterbibliothekaren. Befunde aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert am Beispiel der Kartause und des Benediktinerklosters in Erfurt

14.45 Uhr: Kathryn Rudy (University of St. Andrews, Schottland):
Pimp my Manuscript: How scribes and illuminators updated older prayer books in the Netherlands ca. 1500 to give books and their owners a new lease on life

15.30 Uhr: Kaffeepause

3. Besitzwechsel: Ein Buch in der Hand

16.00 Uhr: N.N.

16.45 Uhr: Barbara Haggh Huglo (University of Maryland):
Marginalia in Medieval Liturgical Books and Issues of Ownership

17.30 Uhr: Judith Oliver (Colgate University, New York):
Too Many Cooks: The Multiple Hands In Two German Convent Homilaries

Freitag, 22. Juni 2012

4. Händen hinterlassen Spuren in Büchern

09.00 Uhr: Madeline Caviness (Tufts University, Massachusetts):
Christian Ulrich Grupen (1692-1767) and his Copies of the Sachsenspiegel Manuscripts in Wolfenbüttel and Oldenburg

09.45 Uhr: Patrizia Carmassi (Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel):
Von Ovid zu Gude. Überlieferungsprozesse und Besitzwechsel in der Sammlung Marquard Gude

10.30 Uhr: Kaffeepause

11.00 Uhr: Schlussdiskussion

Kontakt

Dr. Volker Bauer

forschung@hab.de