Displaced persons im Nachkriegsdeutschland : eine Herausforderung im Kalten Krieg

Displaced persons im Nachkriegsdeutschland : eine Herausforderung im Kalten Krieg

Veranstalter
UMR IRICE (CNRS, Universität Paris 1 und Paris IV); Goethe Institut Paris; mit Unterstützung durch das CIERA
Veranstaltungsort
Goethe Institut Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
23.05.2013 - 25.05.2013
Deadline
30.06.2012
Website
Von
Corine Defrance

Das Kolloquium „Displaced Persons (DPs) im Nachkriegsdeutschland: eine Herausforderung im Kalten Krieg“ will den aktuellen Forschungsstand spiegeln und neue Perspektiven für die Forschung im Bereich Bevölkerungsbewegungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufzeichnen. Seit ca. 20 Jahren haben die Forschungsansätze zu den Kriegsausgängen („Sortie de guerre“) und den Voraussetzungen für den Ausbruch des Kalten Krieges sowie der Zugang zu neuen Quellen – vor allem in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern – dieses Themenfeld maßgeblich erneuert und bereichert. Neue Studien und laufende Forschungsprojekte zeugen sowohl auf internationaler Ebene wie auch für Deutschland und die dort befindlichen DP-Lager davon. Die DPs bildeten in der Tat eine besondere Migrantengruppe: einige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Mehrheit der 11 Millionen vor 1945 nach Deutschland verschleppten Menschen – Zwangsarbeiter, Überlebende der Lager, Vertriebene – in ihre Heimat zurückgekehrt, eine Million von ihnen befanden sich jedoch noch in Deutschland, vor allem in den Westzonen. Zu ihnen gesellten sich jene, die vor der Roten Armee bzw. den kommunistischen Zwangsregimen im Osten flüchteten, aber auch jüdische Überlebende des Holocaust und der Nachkriegspogrome. Diese Bevölkerungsgruppen stellten nun eine neue juristische, humanitäre, geopolitische und ideologische Herausforderung dar. Deutschland, das sich selbst in einer Wandlungszone befand, und hier besonders die Westzonen, entwickelten sich zur geographischen Bühne dieser sich zuspitzenden Situation, hatte die Sowjetunion doch erklärt, die Probleme in ihrer Besatzungszone im Herbst 1945 gelöst zu haben. Die hier skizzierte Thematik soll bei unserer Tagung unter drei Blickwinkeln behandelt werden:

1.) Erstens soll die Gruppe der DPs als Verhandlungsmasse im Rahmen der internationalen Beziehungen analysiert werden, die immer wieder zu neuen Spannungen in der Übergangsphase vom Zweiten Weltkrieg zum Ost-West-Konflikt führten. Der progressive Verzicht auf die Zwangsrückführung sowie die Einführung neuer Strukturen für die DPs werden schnell zum Anlass für Kontroversen zwischen den entstehenden Blöcken. Wie wurden also die in der ersten Jahreshälfte 1945 abgeschlossenen Vereinbarungen angewandt bzw. umgangen? Wie stellten sich die Westalliierten, die Sowjets und die übrigen Ostblockstaaten zu den kollektiven Rückführungen und im Anschluss zur Rückkehr spezifischer Kategorien von Personen (z.B. Kriegsverbrecher)? Wie positionieren sie sich gengenüber der Institutionalisierung des Asylrechts und des Flüchtlingsstatuts? Was waren die wirtschaftlichen, demographischen, politischen, ideologischen und polizeilichen Herausforderungen? In welchem Maße reproduzieren die Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren, auch den Vertretern der DPs selber, die internationalen Spannungen in den verschiedenen Besatzungszonen? Außerdem sollen die einzelnen Akteure, ihre Strategien und ihre Positionierung (die Besatzungsmächte, die sowjetischen und osteuropäischen Delegierten, die internationalen Organisationen [UNRRA, bzw. OIR], die Vertreter der DPs, das Internationale Rote Kreuz, die konfessionellen Verbände etc.) beleuchtet werden. Wie antworteten diese auf die vielfältigen und bisweilen konkurrierenden Herausforderungen, die sich aus der DP-Frage entwickelten? Zugleich soll vergleichend vorgegangen werden, um Antworten auf die Frage zu geben, inwieweit die Politik der Westalliierten in ihren jeweiligen Zonen konvergierten. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob sich die Regierungen der osteuropäischen Staaten auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, um die Rückkehr zu befördern bzw. die Einstellung dieser Praxis zu verurteilen. Ein Blick auf andere Länder (Österreich, Benelux, Skandinavien) soll den Vergleich noch weiter spannen und die europäische Dimension der Gesamtfragestellung betonen.

2.) In einem zweiten Ansatz sollen die Auswirkungen der internationalen Lage auf die DPs selber unter die Lupe genommen werden. In welcher Weise veränderten sich die Kriterien der (Auto)-Identifikation bzw. die Differenzierung der DPs angesichts der Positionierung der internationalen Akteure? Während der Forschungsstand zum nationalen Faktor, der eng mit den von der UNRRA veranlassten Zusammenlegungen verbunden ist, als gut bezeichnet werden kann, gibt es Forschungslücken für die sozialen, politischen und konfessionellen Faktoren. Die sehr unterschiedlichen Kriegserfahrungen der DPs (polnische Zwangsarbeiter, baltische und ukrainische Bevölkerung, die vor dem Stalinismus und der neuerlichen Annektierung ihres Landes floh, Juden, die Opfer des fortbestehenden Antisemitismus in den osteuropäischen Ländern blieben…) sollen gleichfalls vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen und der zunehmenden internationalen Spannungen hinterfragt werden. Wie spielten diese verschiedenen Faktoren zusammen und erlaubten die Herausbildung von Allianzen, Konkurrenzsituationen und Hierarchien innerhalb der DPs? Inwieweit bildeten die Lager und die Gemeinschaften der DPs Mikrokosmen des „Kalten Krieges“? Eingang in unsere Überlegungen sollen auch die Ausdrucksformen der DPs und ihrer Vertreter sowie die eventuelle Herausbildung einer Exilkultur finden. Willkommen sind gleichfalls Vorschläge zu den individuellen und kollektiven Werdegängen im Zusammenhang mit Fragen zum Emigrations- und Rückkehrphänomen.

3.) Drittens sollen bei dieser Tagung die Rückwirkungen der DP-Frage auf die geopolitischen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen thematisiert werden, die aus dem Wiederaufbau Deutschlands erwuchsen. Welche Beziehungen, Interaktionen und Spannungen gab es zwischen den DPS und den verschiedenen Kategorien der deutschen Bevölkerung (die Bevölkerung vor Ort sah sich bereits mit 12 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen konfrontiert)? So sollen persönliche, berufliche, intellektuelle und politischen Kontakte analysiert werden sowie wirtschaftliche Austauschprozesse und neue familiäre Muster, die zwischen Deutschen und DPs entstanden und Aufschlüsse über den Integrationsgrad der DPs in der deutschen Gesellschaft geben können. Zu beleuchten werden auch die Konsequenzen sein, die sich aus der radikalen Umwälzung nach der Niederlage des Dritten Reiches ergaben: welche Auswirkungen hatte die Präsenz der neuen „Herren“, der Alliierten, im Nachkriegsdeutschland auf die interethnischen Beziehungen? Gab es einen Zusammenhang zwischen der „Durchleuchtung“ der Kriegsverbrecher und dem Entnazifizierungsverfahren? Wie nahmen die Sowjets die Bestrafung der Kollaborateure wahr, die in die Westzonen geflüchtet waren und wie reagierten sie darauf? Diente die DP-Frage den osteuropäischen Ländern als Alibi, um ihre Vertreter in Westdeutschland zu lassen?

Internationaler wissenschaftlicher Beirat: Daniel Cohen, Corine Defrance, Juliette Denis, Catherine Gousseff, Wolfgang Jacobmeyer, Julia Maspero, Pavel Polian, Joachim Umlauf.

Organisationskomitee: Corine Defrance, Juliette Denis, Julia Maspero, Joachim Umlauf

Die Vorschläge sollen bis zum 30. Juni 2012 an folgende Adresse geschickt werden: conference.dp@gmail.com

Das Kolloquiumsprogramm wird den Redner bis Ende September 2012 bekannt gegeben. Die Antworten sollen ein Exposé von max. 5000 Zeichen umfassen, das die Quellengrundlage näher beschreibt, einen einseitigen Lebenslauf und eine Publikationsliste. Diese Veranstaltung richtet sich besonders an Doktoranden und junge Wissenschaftler.

Die Vorträge (20 Minuten), 15000 bis 20000 Zeichen mit Fußnoten und Bibliographie, sollen den Kommentatoren drei Wochen vor dem Kolloquium zugeschickt werden. Im Rahmen der eingeworbenen Drittmittel werden die Reise- und Hotelkosten übernommen. Tagungssprachen werden Französisch, Englisch und Deutsch sein. Eine Veröffentlichung ist vorgesehen (Artikel von 40000 Zeichen).

Programm

Kontakt

Corine Defrance

UMR IRICE, Université de Paris 1, 1, rue Victor Cousin, F-75005 Paris

conference.dp@gmail.com


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