Normenkonkurrenz in historischer Perspektive

Normenkonkurrenz in historischer Perspektive

Veranstalter
Historisches Institut, Universität zu Köln; Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltungsort
Ort
Köln, Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.06.2012 - 09.06.2012
Von
Karsten, Arne / von Thiessen, Hillard

Selbstvergewisserung durch den Appell an universell gültige Werte hat derzeit Konjunktur. Sei dies im Bestreben, im Zeichen des Wandels eine jenseits der Veränderbarkeit stehende moralische Basis der Gesellschaft zu sichern, sei es im Versuch, eine mehr oder weniger verbindliche „Leitkultur“ zu definieren, sei es im Wunsch nach Abgrenzung gegenüber anderen kulturellen Vorstellungen und Räumen – das Verständnis von und der Umgang mit Werten und Normen ist in der Gegenwart wie in der Vergangenheit ein Schlüssel zum Verständnis gesellschaftlicher Selbstbilder und Befindlichkeiten.

Charakteristisch für die europäischen Gesellschaften ist die Pluralität bzw. Koexistenz von Werten unterschiedlicher Provenienz. Werte sind, kurz gesagt, relativ stabile, kollektiv geteilte Vorstellungen von dem, was wünschenswert ist. Aus ihnen werden Normen abgeleitet, die sich als Sollens-Sätze bezeichnen lassen, welche sich auf Handlungen und Personen beziehen. Derartige Handlungsanweisungen können unterschiedlichen Wertesystemen entstammen, die ihnen jeweils Legitimität verleihen. Normen strukturieren Handlungserwartungen und damit das Handeln selbst; sie entlasten das Individuum, immer wieder neue Handlungsweisen zu entwerfen, indem sie definierte Rollen vorgeben. Die Soziologie spricht Rollen eine allgemeine soziale Orientierungsfunktion zu, da sie planbare Interaktionen ermöglichen.

Die Tagung befasst sich mit Normenkonkurrenz als Ausdruck und Symptom gesellschaftlicher Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in der Moderne die verschiedenen Normensysteme jeweils spezifischen gesellschaftlichen Feldern zugeordnet sind. Soziale Normen sind demnach dem privaten Raum und der informellen Kommunikation zugewiesen. Gemeinwohlorientierte Normen beanspruchen demgegenüber für die öffentliche Sphäre Gültigkeit und formulieren beispielsweise im Sinne eines bürokratischen Amtsethos eindeutige Erwartungen an das Handeln staatlicher Verwaltungsapparate. Religiosität schließlich und die mit ihr verbundenen Normen werden als eine von Ernst durchdrungene, der Alltäglichkeit enthobene Sphäre betrachtet.

Diese zumindest in der Theorie klare Zuordnung von Normensystemen zu Handlungsfeldern fehlte jedoch in der Vormoderne. Gleichwohl ist für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit die verschärfte Ausformulierung und Einforderung von Normen unterschiedlicher Werteprovenienz zu beobachten, etwa im Zuge der Staatsbildung, von religiösen Reformbewegungen und der Konfessionalisierung. Im alltäglichen Handeln kam es somit zu einer ständigen Überlappung der Normensysteme und damit zu widersprüchlichen Handlungserwartungen. Die Gleichzeitigkeit der energischen Einforderung bestimmter Normen und des Fehlens entsprechender, abgrenzbarer Handlungsfelder verschärfte Normenkonkurrenz und barg ein beträchtliches Konfliktpotenzial. Derartige Konflikte und Spannungen konnten sowohl dynamisierend wirken als auch retardierend. Korruptionsdebatten konnten zum Beispiel die Legitimation politischer Akteure oder ganzer Systeme untergraben und somit Wandel beschleunigen. Die anhaltende Stärke sozialer Normen hingegen vermochte normative Anforderungen höherer Instanzen – Staat und Kirche – regelrecht auszubremsen.

Auf der Tagung sollen Normenkonflikte im diachronen Vergleich vom späten Mittelalter bis zur Sattelzeit im Übergang zur Moderne analysiert werden. Dabei werden sowohl Fallstudien zu einzelnen exemplarischen Normenkonflikten untersucht als auch die längerfristige Entwicklungen und die Ausdifferenzierung von Normensystemen in den Blick genommen. Ziel der Tagung ist es mithin, Forschungen zur Entwicklung von Normen und Werten zusammenzuführen und die historische Wirkung von Normenkonflikten nachzuvollziehen.

Programm

Normenkonkurrenz in historischer Perspektive
Tagungsplan

7. Juni, Universität zu Köln,
Anna von Schürmann-Raum (Philosophikum, 3. Stock)

15.00 Einführung: PD Dr. Hillard von Thiessen
1. Soziale Normen und das Gemeinwohl
Moderation: Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (Dresden)

15.30 Jun.-Prof. Dr. André Krischer (Münster):
Im Spannungsfeld von individueller Handlungsrationalität
und Eigeninteresse – Britische Staatssekretäre in
akteurszentrierter Perspektive

16.15 Kaffeepause

16.45 Dr. Niels Grüne (Bielefeld):
Konkurrierende oder komplementäre Normen? Soziales
Kapital, ‚öffentliches‘ Amt und Gemeinwohlrhetorik in der
Frühen Neuzeit

17:30 Florian Schmitz M. A. (Bern):
Normverstärkung und Sanktion. Der Fall Diesbach und
Graffenried in Bern als exemplarische Inszenierung

8. Juni, Bergische Universität Wuppertal,
Tagungsstätte der BUW, Campus Freudenberg

2. Konfessionalisierung und „Welt“
Moderation: Prof. Dr. Ronald G. Asch (Freiburg i. Br.)

09.30 PD Dr. Gregor Rohmann (Frankfurt/M.):
„Das heyst, meyn ich, den rechten santt Veyts tantz haben.“
Die Tanzwut als Chiffre und Praxis in den Debatten der
Konfessionalisierung

10.15 Prof. Dr. Volker Reinhardt (Freiburg/Schweiz):
Pius II. und die Reform der Kurie – Normensetzung und
Normenkonflikte am Beginn des modernen Papsttums
11.00Kaffeepause

11.30 PD Dr. Jörg Trempler (HU Berlin):
Familiäre Selbstdarstellung vs. konfessionelle Normen: das
Grabmal für den Regensburger Bischof Philipp Wilhelm von
Bayern (1576-1598)

12.15 Prof. Dr. Christian Windler (Bern):
Regelobservanz und Mission. Katholische Ordensgeistliche im
Safavidenreich (17. und frühes 18. Jahrhundert)
13.00 Mittagspause in der Tagungsstätte

3. Normenkonkurrenz in Politik und Wirtschaft
Moderation: Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Münster)

14.45 Prof. Dr. Birgit Emich (Erlangen):
Sola gratia? Gnadenrecht und Herrscherpflicht
zwischen Reformation und Staatsbildung

15.30 Dr. Michael Kaiser (Köln / Bonn):
Langsam und schnell. Eine Normendichotomie im
frühneuzeitlichen Verfahrensprozess

16.15 Kaffeepause

16.45 Dr. Moritz Isenmann (Köln / Paris):
Normenkonkurrenz in Antoine de Montchrestiens ‚Traicté de
l’oeconomie politique’

17.30 Dr. Julia Zunckel (Genua):
Der Streit um die Genueser Wechselmessen im Pontifikat
Gregors XV. Ludovisi (1621-1623)

9. Juni, Universität zu Köln,
Anna von Schürmann-Raum (Philosophikum, 3. Stock)

4. Normenwandel in der Sattelzeit
Moderation: Prof. Dr. Gerrit Walther (Wuppertal)

09.00 Prof. Dr. Caspar Hirschi (St. Gallen):
Bürgergemeinde oder Armee? Debatten über den Aufbau
der Académie Royale de Sciences in Paris von der Régence
bis zur Revolution

09.45 Dr. Georg Eckert (Wuppertal):
Novus ordo seclorum: Normenkonkurrenz und
Konkurrenznormen in der Amerikanischen Revolution

10.30 Kaffeepause

11.00 PD Dr. Milos Več (Frankfurt/M):
Rechtspluralismus und Multinormativität: Völkerrecht
zwischen Früher Neuzeit und Moderne

11.45 Prof. Dr. Jens Ivo Engels (Darmstadt):
Politische Moral und Politik der Moral. Korruptionskritik und
Normenkonkurrenz im 19. Jahrhundert

12.30 Jun.-Prof. Dr. Arne Karsten (Wuppertal):
Resümee

Kontakt

http://www.geschichte.uni-wuppertal.de
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