Konzentration des Kapitals und Perspektiven kapitalistischer Entwicklung

Konzentration des Kapitals und Perspektiven kapitalistischer Entwicklung

Veranstalter
PROKLA - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
Veranstaltungsort
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.05.2012 -
Deadline
25.05.2012
Von
Dorothea Schmidt

Im ersten Band des Kapital konstatierte Marx die Tendenz einer "Konzentration bereits gebildeter Kapitale, Aufhebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger größere Kapitale". Lapidar hielt er fest: "Je ein Kapitalist schlägt viele tot." Doch hatte Marx nicht nur solche Zusammenballungen im Blick, sondern auch „die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale" (MEW 23: 654, 790). Unschwer lässt sich in dieser rund 150 Jahre alten Beschreibung ein plastisches Bild der Gegenwart erkennen, auch wenn sich die Terminologie heutzutage etwas anders anhört.

Als die PROKLA vor 14 Jahren ein Heft zu Konzentration herausbrachte (Nr. 113/1998), stand die Fusion von Daimler und Chrysler an, vom damaligen Daimler-Chef Schrempp euphorisch als “Hochzeit, die im Himmel geschlossen wird” angekündigt. Neun Jahre später resümierte die Süddeutsche Zeitung, es habe sich wohl eher um eine “Hochzeit des Grauens” gehandelt, die Daimler ca. 40 Mrd. Euro gekostet hat. Manager- und Beraterkreise zogen aus diesem Debakel den Schluss, dass insbesondere die Unternehmenskulturen zusammen passen müssten: für Unternehmensberater entwickelte sich in der Folge ein stetig wachsendes und höchst lukratives Betätigungsfeld. Für viele Arbeitskräfte stellen sich Fragen der Unternehmenskulturen aber gar nicht mehr, liegt doch der immer wieder verkündete tiefere Sinn derartiger Fusionen in “Synergieeffekten”, was für viele Beschäftigte den Verlust des Arbeitsplatzes (für die anderen mehr und intensivere Arbeit) bedeutet. Auch für die Unternehmen selbst enden sie oftmals, wie im Fall DaimlerChrysler, als Desaster. Dennoch ist weder in der politischen Diskussion noch im akademischen Mainstream grundsätzliche Kritik an dieser Entwicklung zu vernehmen, sie gelten als alternativlos. Auch viele marxistische Beiträge sehen eine ungebrochene Tendenz zur „Monopolisierung“ kapitalistischer Wirtschaft.

Allerdings hat die Konzentration nicht in allen Branchen gleichermaßen zugenommen, in einigen dafür besonders deutlich, so etwa im Einzelhandel, bei Finanzdienstleistungen oder im IT-Bereich. Die Finanzkrise hat die Machtposition einer stark konzentrierten Branche deutlich gemacht, für die gilt: “Too big to fail” – geändert wurde daran gleichwohl nichts. Zwar gehört die “Deutschland AG” der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik der Vergangenheit an, u.a. wegen eines Gesetzes der rot-grünen Regierung von 2000, das den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen steuerfrei stellte. Doch sind mittlerweile andere Unternehmen wie Private Equity Firms oder Hedge Fonds auf den Plan getreten, deren Geschäftsmodell aus dem Kaufen und Verkaufen von Unternehmen besteht, so dass die Verflechtungen neue Formen annehmen.

Parallel zu diesen Entwicklungen hat sich der politische Diskurs in der Bundesrepublik bei den großen Parteien, insbesondere bei den Konservativen, deutlich verändert. Während Ordo-Liberale früher vor den Folgen zu großer wirtschaftlicher Macht warnten und strenge staatliche Kontrollen forderten, haben Wirtschaftsfreunde aller Couleur inzwischen ihren Frieden mit den großen Konzernen geschlossen. “Macht” wird als Problem nur noch bei staatlichen Monopolen diagnostiziert, die es – wie bei Post und Bahn – zu zerschlagen und zu privatisieren gilt.

Gleichzeitig sind in Schwellenländern Newcomer entstanden, die dort innerhalb weniger Jahre Größenordnungen erreichten, wie man sie in Europa und selbst in den USA bisher kaum kannte. Der 1974 gegründete taiwanesische Elektronikkonzern Foxconn etwa beschäftigt 1,2 Mill. Menschen (im Vergleich dazu: Siemens weltweit 400.000). Noch vor einem Jahrzehnt wäre es auch kaum vorstellbar gewesen, dass Konzerne aus einem früheren Kolonialland Unternehmen des früheren Kolonialherren aufkaufen, so die indische Tata Motors 2008 die britischen Traditionsmarken Jaguar und Land Rover.

Die hier nur skizzierten Entwicklungen sollen in dem geplanten Heft eingehender untersucht werden, um zu fragen:

- Welche Formen nehmen die von Marx beschriebenen Tendenzen der Konzentration und Zentralisation des Kapitals einerseits und der Aufspaltung und Neubildung von Kapitalen andererseits heute an? Welche neuen Formen der industriellen Organisation gehen damit einher? Welche Rolle spielen Diversifikation, vertikale Integration und Desintegration, Outsourcing und die Bildung von Produktionsnetzwerken im Vergleich zu früheren fordistischen, vertikal integrierten und diversifizierten Konzernen?

- Wie haben sich die Beziehungen zwischen Industrieunternehmen und Finanzsektor verändert? Sind die Sektoren überhaupt noch so deutlich wie früher voneinander zu unterscheiden? Welche Rolle spielen Banken, Investmentfonds, Hedge Fonds und Private Equity-Fonds bei der Restrukturierung der Produktion? Aber auch Pensionsfonds und Versicherungen, die die Ersparnisse der Lohnabhängigen verwalten, sind zu bedeutenden Eigentümergruppen geworden. Welche Perspektiven ergeben sich daraus für die langfristige Entwicklung und die Überwindung des Kapitalismus? Wie tragfähig ist der Begriff des Finanzkapitals von Hilferding und Lenin da noch?

- Wie verbinden sich die Konzentration und Zentralisation mit der Internationalisierung des Kapitals? Inwieweit haben wir es heute mit nationalem oder bereits mit transnationalem Kapital zu tun? Welche Veränderungen ergeben sich durch den Aufstieg neuer nationaler Akteure wie China oder Indien und der in ihnen beheimateten privaten oder staatlichen Konzerne?

- Welche gesellschaftlichen Gruppen sind im einzelnen die Nutznießer, welche die Geschädigten der neuen Fusionstendenzen? Welche Chancen haben die Beschäftigten und die Gewerkschaften, den Zusammenschlüssen oder der Aufspaltung von Unternehmen etwas entgegen zu setzen? Welche Möglichkeiten liegen im Zusammenspiel von NGOs und kritischer Öffentlichkeit, wenn es um den rücksichtslosen Umgang mit Beschäftigten, Lieferanten, Umwelt oder Konsumenten geht?

- Wie verhält sich die staatliche Politik auf nationaler und übernationaler Ebene angesichts der globalen Konkurrenz? Ist sie darauf reduziert die „eigenen“ Unternehmen “international wettbewerbsfähig” zu machen? Gibt es Ansatzpunkte für alternative, auf stärkere Kontrolle der Unternehmen zielende Konzepte?

- Wie sind ältere Monopol- und Imperialismustheorien im Lichte der jüngeren empirischen Entwicklungen zu beurteilen? Gibt es neuere theoretische Ansätze, mit denen die beschriebenen Veränderungen erfasst werden können?

- Welche Bedeutung haben diese Entwicklungen für die Periodisierung des Kapitalismus? Inwieweit ist es sinnvoll, Stadien und Phasen kapitalistischer Entwicklung auf der Basis von Veränderungen der Eigentumsverhältnisse und der Formen der Konkurrenz zu unterscheiden? Gibt es andere Möglichkeiten der Periodisierung kapitalistischer Entwicklung?

Die Redaktion lädt zur Einsendung von Exposés von 1-2 Seiten bis zum 25. Mai 2012 ein. Die fertigen Beiträge für das Heft müssen bis zum 25. September vorliegen. Sie sollten einen Umfang von 50.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen, Fußnoten, Literaturverzeichnis) nicht überschreiten. Zusendungen bitte als doc- oder rtf-Datei an:

Dorothea Schmidt, schmidt@prokla.de, und an redaktion@prokla.de

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Dorothea Schmidt

HWR Berlin, Badensche Str. 50-51, 10825 Berlin

dorothea.schmidt@hwr-berlin.de

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