Arbeitnehmerinteressen in Krisenzeiten 1929 – 1973/74 – 2008ff.

Arbeitnehmerinteressen in Krisenzeiten 1929 – 1973/74 – 2008ff.

Veranstalter
Friedrich-Ebert-Stiftung; International Conference of Labour and Social History (ITH)
Veranstaltungsort
Friedrich-Ebert-Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.06.2012 - 16.06.2012
Deadline
15.03.2012
Von
Johannes Platz

- see English version below -

Internationale Konferenz

Krisen erschüttern den Kapitalismus in regelmäßigen Abständen. Es liegt also nahe, sie miteinander in Beziehung zu setzen und ihnen eine historische Dimension zu geben. Auch in der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise sind zahlreiche Bezüge auf zurückliegende Krisen des 20. Jahrhunderts hergestellt worden. Die Vergangenheit liefert einen wichtigen Deutungsrahmen, weil sich Krisenerfahrungen und Erwartungshorizonte der Menschen in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben. Die Bewertung von Entwicklungen der Gegenwart im Lichte von historischen Erfahrungen kann gemeinsame Strukturmerkmale herausarbeiten, aber auch leicht dazu führen, die Gegenwartsdeutung auf Irrwege zu lenken. Es besteht die Gefahr, Pfadabhängigkeiten zu konstruieren, die nicht bestehen, Kontinuitäten herzustellen, wo Diskontinuierliches vorliegt, und so falsche, aber vordergründig bewährte Schlüsse zur Bewältigung aktueller Krisen zu ziehen.

Die geplante Tagung möchte Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte historisieren, die sich aus der Deutung vergangener Krisen ergeben und auf die zur Interpretation gegenwärtiger Phänomene zurückgegriffen wurde. Besondere Aufmerksamkeit sollen die politische Relevanz und schwindende Durchsetzungskraft von Arbeitnehmerinteressen in Europa und den USA finden. Als Bezugspunkte dienen jene Krisenperioden, für die stichwortartig die Weltwirtschaftskrise 1929, der Ölpreisschock und „Strukturbruch“ von 1973/74 und die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzmarktkrise der Jahre 2008ff. stehen.

Wirtschaftskrisen waren im globalen Zusammenhang mitverursachend für strukturelle Umbrüche in der europäisch-nordatlantischen Geschichten und wirkten stets auf Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen zurück. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 bereitete den Boden für autoritäre Krisenbewältigungsstrategien, an deren Ende etwa in Deutschland die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten stand. Die Zerschlagung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften ordnete die Wahrnehmung von Arbeiternehmerinteressen dem Primat der Ökonomie und der Rüstungswirtschaft unter. In den 1970er Jahren vollzog sich im Untersuchungsgebiet krisenbedingt ein langsamer Übergang zu einem postfordistischen Produktionsregime, das sich in einer fortschreitenden Tertiarisierung der Gesellschaft niederschlug, ebenso wie in einem Wandel gesellschaftlicher Leitbilder, mit dem sich neoliberale Deutungsmuster durchsetzten. Der Stellenwert und die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise von 2008ff. sind zeitdiagnostisch nicht abschließend zu bewerten, jedoch ist abzusehen, dass diese die europäischen und nordatlantischen Arbeitsgesellschaften tiefgreifend verändern und auch die Arbeitnehmerinteressenvertretung berühren werden.

Vor allem diachron vergleichende Untersuchungen von Arbeitnehmerinteressen in Krisenzeiten sind noch ein Desiderat. Neben Tagungsbeiträgen, die sich nur auf einen Zeitabschnitt konzentrieren, sind daher Vorschläge, die zumindest zwei Krisenperioden in den Blick nehmen, besonders erwünscht. Auf diese Weise kann ausgelotet werden, welche Erfahrungen und Interpretationen einer Krise bei der Wahrnehmung von anderen Krisen wirksam geworden sind.

Folgende Themenbereiche bieten sich für genauere Analysen an:
- Krisenwahrnehmung, Krisendiskurse und Krisengefühl: Wer definiert, wann eine Krise herrscht? Wie ändern sich Semantiken und welche Deutungsmacht üben verschiedene Akteure aus?
- Krise und Gesellschaft: Wie verhalten sich Fortschrittsoptimismus und permanente Krisenstimmung zueinander? Inwieweit lassen sich insbesondere die 1970er Jahre als Zäsur begreifen? Inwiefern wurden Krisenszenarien mit entsprechenden „Reform“-Diskursen zur Regelerscheinung? Wie wirken Krisen auf verschiedene gesellschaftliche Schichten? Lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Krisenfolgen ausmachen?
- Gestaltungsspielräume, Handlungsstrategien und Krisenmanagement: Wie reagieren verschiedene Gruppen von Akteuren (Gewerkschaften, Parteien, Unternehmer, aber auch Regierungen, Medien, soziale Bewegungen, Expertengremien, Ratingagenturen) auf Krisen? Welche Beobachtungen lassen sich auf transnationaler, nationaler und regionaler Ebene machen?
- Konflikt und Konsens – der Sozialstaat in der Krise: Welchen Stellenwert haben konfliktorische versus korporatistische beziehungsweise sozialpartnerschaftliche Bewältigungsstrategien von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in den Krisen?
- Mobilisierung in der Krise: Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen direkten Krisenwirkungen wie Arbeitslosigkeit, politischen Reaktionen wie dem sogenannten Rückbau der Sozialversicherungssysteme und der Mitgliederentwicklung in Arbeitnehmerorganisationen? Wie wirken sich diese Entwicklungen auf Organisations-, Verhandlungs- und Deutungsmacht der Gewerkschaften aus?
- Systemimmanenter Charakter oder ideologische Funktion: Sind Krisen ein immanenter und notwendiger Bestandteil der Systemdynamik des Kapitalismus oder dienen sie primär als Bedrohungsszenario zur Durchsetzung autoritärer beziehungsweise neoliberaler Politiken zum Abbau von Errungenschaften des Sozialstaats?
- Produktionsregime und Krise: In welcher Weise stoßen Krisen einen Wandel der Produktionsregime an (Aufstieg und Transformation des Fordismus, Informatisierung und Entstehung der Netzwerkgesellschaft, Rationalisierung und Automatisierung)?
- Veränderungen von Arbeitsregimes in Krisenzeiten: Inwiefern ist die Ökonomie durch die Politik während Krisen zu steuern?

Konzeptionell und methodisch sollten die Beiträge ebenso sozial- und wirtschaftsgeschichtlich fundiert wie den Ansätzen der neueren Kulturgeschichte gegenüber aufgeschlossen sein. In dieser Perspektive sind quellengestützte Arbeiten gefragt, die sich auch mit interdisziplinären Ansätzen und Forschungsfragen den Krisen von 1929, 1973/74 und 2008ff. zuwenden.

Die Tagung wird bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin stattfinden. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Vorschläge für einen Vortrag sind bis zum 15. März 2012 bei Johannes Platz einzureichen. Die Exposés sollten 3.000 Zeichen nicht überschreiten.

Tagungsleitung:

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Referat „Public History“
Projekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“
Dr. des. Johannes Platz
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
Tel. +49 228 883-8072
Fax +49 228 883-9204
E-Mail: Johannes.Platz@fes.de

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Referat „Public History“
Dr. Meik Woyke
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
Tel. +49 228 883-8068
Fax +49 228 883-9209
E-Mail: Meik.Woyke@fes.de

International Conference of Labour and Social History (ITH)
Univ. Doz. Dr. Berthold Unfried
Altes Rathaus
Wipplingerstraße 8
A-1010 Wien
Tel. +43 1 22 89 469-316
Fax +43 1 22 89 469-391
E-Mail: berthold.unfried@univie.ac.at

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Workers’ Interests in Times of Crisis
1929 – 1973/74 – 2008sqq.

International Conference

Friedrich-Ebert-Stiftung
International Conference of Labour and Social History (ITH)
15 /16 June 2012

Berlin

At regular intervals, capitalism is shaken by crises. Consequently, it seems natural to relate them to each other and to provide them with a historical dimension. Also the present economic and financial crisis has been related to past crises of the 20th century in numerous respects. The past can provide us with a valuable interpretative framework because our experience of crises and our expectation horizons have become embedded in our collective memory. Assessment of present-day developments in the light of past experience may produce common structural characteristics, while at the same time entailing a risk of leading us astray in our interpretation of contemporary phenomena. There is a real danger of constructing path determinants which do not really exist, and of establishing continuities where discontinuity is the reality, all of which may lead to plausible but invalid conclusions about ways in which present-day crises could or should be handled.

The purpose of the conference planned is to historicize those spaces of experience and expectation horizons which result from the interpretation of past crises and which are used to interpret present-day phenomena. Special attention should be paid to the political relevance and declining effectiveness and clout of workers’ organizations in Europe and the USA. The crisis periods which are often denominated by catchwords like The ‘Great Crash’ of 1929, the Oil Crisis and the ‘Structural Break’ of 1973/74 and the present economic and financial market crisis of 2008 and the following years should serve as points of reference.

Economic crises in a global context have contributed to radical structural change, and have always had an impact on workers’ living conditions. The Depression after 1929 prepared the ground for authoritarian crisis management strategies at the end of which one outcome was the Nazi seizure of power in Germany. As a result of the crisis in the 1970s, there was a slow-down in post-Fordist transition of industry which was reflected in progressing ‘tertiarization’ of society as well as in a shift of societal models allowing neo-liberal patterns of interpretation to assert themselves. It is not yet possible to make a final assessment of the status and impacts of the economic and financial crisis of 2008sqq., however we may expect it to change working and production regimes in Europe and North America profoundly. Similarly, those bodies which represent workers’ interests will be severely affected.

More than anything, diachronic comparative studies of workers’ interests in times of crisis constitute a desideratum. Therefore, in addition to conference papers concentrating on a single period, contributions discussing at least two crisis periods are of special interest. In this way it will be possible to fathom which types of experience and interpretations relating to one crisis have also become active in perceptions of other crises.

The following topics present themselves for further analysis:
- Crisis perception, crisis discourse, crisis atmosphere: Who defines when a crisis is on? How does semantics change and what control over interpretation is exercised by different players?
- Crisis and society: What is the relationship between developmental optimism and a crisis atmosphere? To what extent is it possible to see, in particular, the 1970s as a caesura? To what extent did crisis scenarios with corresponding ‘reform’ discourse become a regularly occurring phenomenon? How do crises impact on different social strata? Is it possible to discern gender specific differences concerning the effects of any crisis?
- Structural options, strategies and crisis management: How do various groups of players (trade unions, political parties, employers, but also governments, media, social movements, expert bodies, rating agencies) react to crises? What observations can be made at transnational, national, and regional levels?
- Conflict and consensus – the welfare state in crisis: What status can be attributed to adversarial versus corporatist behaviour in social partnership strategies for overcoming a crisis on the part of trade unions and employers’ associations?
- Mobilization during a crisis: What types of interaction exist between the direct effects of a crisis such as unemployment, political responses, for instance the so-called roll-back of social insurance, and the development in trade union enrolment? How does such a development impact on trade union organizational power, negotiation strength and interpretative control?
- Crises as systemically inherent or as an ideological instrument: Are crises an inherent and necessary component in the systemic dynamics of capitalism or do they chiefly serve as intimidation scenarios for the implementation of authoritarian or neo-liberal policies to cut back the welfare-state achievements?
- Production regime and crisis: In which ways do crises spark a change in production regimes (the rise and transformation of Fordism, computerization and the emergence of the network society, rationalization and automation)?
- Transformation of work regimes in times of crisis: To what extent is it possible for political forces to guide and manoeuvre the economy in times of crisis?

In terms of concepts and methods, contributions should be firmly founded in social and economic history while being open to the approaches of modern cultural history. Seen from this perspective, papers should be source-based and should use an interdisciplinary and scholarly approach to the crises of 1929, 1973/74, and 2008sqq.

The conference will be held at the Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. The languages of the conference are German and English. Proposals for papers must be submitted not later than 15 March 2012 at Johannes Platz. Papers should not exceed 3,000 characters.

Conference chair and organizers:

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Referat „Public History“
Projekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“
Dr. des. Johannes Platz
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
Tel. +49 228 883-8072
Fax +49 228 883-9204
E-Mail: Johannes.Platz@fes.de

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Referat „Public History“
Dr. Meik Woyke
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
Tel. +49 228 883-8068
Fax +49 228 883-9209
E-Mail: Meik.Woyke@fes.de

International Conference of Labour and Social History (ITH)
Univ. Doz. Dr. Berthold Unfried
Altes Rathaus
Wipplingerstraße 8
A-1010 Wien
Tel. +43 1 22 89 469-316
Fax +43 1 22 89 469-391
E-Mail: berthold.unfried@univie.ac.at

Programm

Kontakt

Johannes Platz

Friedrich-Ebert-Stiftung, AdsD, Godesberger Allee 149, 53175 Bonn
0221/883-8072
0221/883-9204

Johannes.Platz@fes.de

http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/index.htm
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