Angesichts der gegenwärtigen Eurokrise und ihrer (populär-)wissenschaftlichen Verarbeitung stellt sich die Frage, welche Antworten sozialwissenschaftliche Analysen auf diese Krise liefern können.
Kennzeichen der europäischen Integration ist eine Zunahme politischer, ökonomischer, und zunehmend auch gesellschaftlicher Verflechtungen und wachsender gegenseitiger Abhängigkeiten. In Zeiten ökonomischer Prosperität sind es diese enger werdenden Verflechtungen, die durch Arbeitsteilung ökonomischen Fortschritt und nachhaltiges Wachstum garantieren; in Krisenzeiten hingegen droht aufgrund der gewachsenen Interdependenzen eine ungebremste Ausweitung der Krise in der gesamten EU. Als Verursacher der Krise gilt in der Öffentlichkeit die EU, Lösungsangebote hingegen gehen vornehmlich von den Nationalstaaten aus, weil der EU hierzu Kompetenzen fehlen. Damit aber erhält der ohnehin verbreitete Euroskeptizismus, das Misstrauen in die europäischen Institutionen und das europäische Projekt insgesamt weiter Nahrung.
In diesen Entwicklungen deutet sich ein Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Handlungs- und Wahrnehmungsräumen des Mehrebenengebildes EU an. Entsprechend gilt es, nach den Voraussetzungen gesellschaftlichen Zusammenhalts zu fragen.
Folgt man etwa Robert Putnam, so entwickelt sich aus sozialem Vertrauen auch politisches Vertrauen. Sozialkapital in Form von bridging capital ist geeignet, auch heterogene Gesellschaften zusammenzuhalten. Überträgt man diesen Ansatz auf die EU-Gesellschaft so wäre gegenseitiges Vertrauen in die Lösungskapazität der Krise gefragt. Aber kann oder muss man Putnam auch „rückwärts“ denken? Sorgt Skepsis und Misstrauen in politische Institutionen und Akteure v.a. der EU dafür, dass sich auch die Menschen untereinander weniger vertrauen? Gilt dies nur für die Angehörigen der Krisennationen (bridging capital) oder auch für die eigenen Mitbürger (bonding capital)? Oder richtet sich das Misstrauen „nur“ auf die EU-Institutionen und politischen Akteure? Sind dabei Unterschiede bei der Ausbildung und der Persistenz von Sozialkapital auf nationaler und auf europäischer Ebene festzustellen?
Willkommen sind Beiträge, die sich mit theoretischen Ansätzen auseinandersetzten, ebenso wie konzeptionelle Beiträge, Vorschläge zur Konzeption von empirischen Analysen oder quantitative und qualitative empirische Untersuchungen der Krise in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten.