Archäologie und Nation: Kontexte der Erforschung „vaterländischen Alterthums“. Zur Geschichte der Archäologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 1800–1860

Archäologie und Nation: Kontexte der Erforschung „vaterländischen Alterthums“. Zur Geschichte der Archäologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 1800–1860

Veranstalter
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Ingo Wiwjorra, Dietrich Hakelberg
Veranstaltungsort
Germanisches Nationalmuseum, Aufseßsaal
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.03.2012 - 09.03.2012
Deadline
24.02.2012
Website
Von
Dr. Ingo Wiwjorra

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm das Interesse an einheimischen archäologischen Funden sprunghaft zu. Hunderte, zum Teil reich illustrierte Monographien und Zeitschriftenbeiträge zeugen von einer mit großem Engagement betriebenen archäologischen Forschung. Neu entdeckte heidnische Urnen, römische Mauerreste oder fossile Knochen wurden beschrieben, gezeichnet, datiert und mit Leidenschaft interpretiert. Mittelalterliche Ruinen und vorgeschichtliche Geländedenkmäler in der Landschaft galten jetzt als bewahrenswert und wurden erstmals unter staatlichen Schutz gestellt. Neu gegründete Geschichts- und Altertumsvereine boten einen organisatorischen und gesellschaftlichen Rahmen, um das ‚vaterländische Alterthum‘ zu erkunden und publik zu machen.

Ausgrabung, Sammlung und Publikation archäologischer Funde stehen in einer frühneuzeitlichen Gelehrtentradition und haben einen überschaubaren Literaturkanon hinterlassen. Wie aber ist der regelrechte ‚Altertümer-Boom‘ zu erklären, der sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts beobachten läßt? Schon die Zeitgenossen haben die ‚vaterländische Altertumskunde‘ mit einem nach den Befreiungskriegen „neu erwachten Nationalbewußtsein“ legitimiert. Diesen bis in die jüngste Zeit verwendeten Topos gilt es kritisch zu hinterfragen: Wie hängen die seinerzeit aufkommenden Nationsvorstellungen mit dem rapide anwachsenden Interesse am einheimischen Altertum zusammen? In welcher Weise konkurrierten oder ergänzten sich hier altständisches oder partikularstaatliches Landesbewußtsein mit dem modernen Nationsgedanken? Inwieweit war die Beschäftigung mit den Schrift- und Sachaltertümern eine Reaktion auf Traditionsverluste nach dem Untergang des Alten Reiches?

Ziel der geplanten Tagung ist es, die politischen und sozialen Kontexte der archäologischen Altertumskunde zwischen ca. 1800 und 1860 differenzierter herauszuarbeiten.

Programm

Programm:

Mittwoch, 7.3.2012

9.00 Uhr: Begrüßung

‚Vaterländische Altertumskunde’: Historische Rahmenbedingungen und Programmatik:

9.30 Uhr: Wolfgang Burgdorf (München): Kulturelle Kompensationen des Reichsunterganges 1806 in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

10.45 Uhr: Dietrich Hakelberg (Freiburg/Br.): „Ein vollständiges Gemälde teutscher Sitten, Kunst und Sprache“ – Vaterländische Altertumskunde als Programm

11.30 Uhr: Jens Schulze-Forster (Dresden): „Über Mittel und Zweck der vaterländischen Altertumsforschung“ – Karl Benjamin Preusker (1786–1871) als Sammler, Altertumsforscher und Pädagoge

Organisations- und Institutionalisierungsansätze:

13.30 Uhr: Gabriele B. Clemens (Saarbrücken): Grabungsfieber und Sammeleifer. Die archäologischen Aktivitäten der deutschen Altertumsvereine

14.15 Uhr: Bärbel Metzinger (Saarbrücken): Frühe Gründungen von Altertumsvereinen im nachnapoleonischen Saarland bis 1860

15.00 Uhr: Timo Saalmann (Bamberg): Der Historische Verein zu Bamberg und die Archäologie Oberfrankens

16.15 Uhr: Marianne Pollak (Wien): Frühe Denkmalpflege in der Habsburgermonarchie. Im Spannungsfeld von Aufklärung und politischem Katholizismus

17.00 Uhr: Brigitta Mader (Triest): Hofreise mit Folgen. Die denkmalschützerischen Bestrebungen des österreichischen Kaisers Franz I. am Beispiel der antiken Reste von Pola/Pula (1816)

Donnerstag, 8.3.2012

9.00 Uhr: Vladimír Salač (Prag): Die tschechische Nationalbewegung, das Revolutionsjahr 1848 und die erste mitteleuropäische Professur für prähistorische Archäologie in Prag

9.45 Uhr: Jasper v. Richthofen (Görlitz): Von der Aufklärung zur vaterländischen Altertumskunde – das Wirken der Görlitzer Wissenschaftsgesellschaften und der Beginn archäologischer Forschung in der Oberlausitz

Erkenntnisinteressen im Wettstreit: Um Völker und Vorfahren:

11.00 Uhr: Stefan Lehmann (Halle/S.): Die klassische Antike und die ‚vaterländische’ Altertumsforschung

11.45 Uhr: Verena Schwartz (Wünsdorf): „Kelten“ bei dem Geologen und Ethnographen Christian Keferstein

13.30 Uhr: Tobias Springer (Nürnberg): Führung durch die vorgeschichtliche Sammlung des Germanischen Nationalmuseums

14.30 Uhr: Hubert Fehr (Freiburg/Br.): Die Germanisierung der Frühgeschichte: Frühmittelalterliche Grabfunde in den Arbeiten von Wilhelm und Ludwig Lindenschmit

16.00 Uhr: Sebastian Brather (Freiburg/Br.): „Sind die Urnen-Begräbnisse […] slavischen oder deutschen Ursprungs?“ ‚Slawische Archäologie‘ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Entdeckungen und Innovationen der ‚vaterländischen Altertumskunde’:

16.45 Uhr: Hartmut Gräf (Öhningen): Kaspar Löhle – Entdecker der Pfahlbauten in Deutschland

Freitag, 9.3.2012

9.00 Uhr: Urs B. Leu (Zürich): Die archäobotanischen Argumente Oswald Heers (1809–1883) gegen Darwin

9.45 Uhr: Dirk Backenköhler (Tübingen): Knochenlesen und Schädeldeuten – menschliche Fossilreste bis zur Entdeckung des Neandertalers

Profis und Dilettanten:

11.00 Uhr: Fred Mahler (Uelzen): G. O. C. v. Estorff: Von den „Heidnischen Alterthümern“ zum „Gesamtwillen der Nation“

11.45 Uhr: Achim Leube (Berlin): Die Insel Rügen und die Erforschung ihrer vorgeschichtlichen Denkmäler 1800–1860

14.00 Uhr: Ingo Wiwjorra (Nürnberg): Archäologische Reisen und Spaziergänge in der Heimat – Zwischen vaterländischer Erbauung, touristischem Freizeitvergnügen und wissenschaftlichem Interesse

14.45 Uhr: Abschlußdiskussion

Kontakt

Ingo Wiwjorra

Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg
0911-1331-153

i.wiwjorra@gnm.de


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