Der Augenzeuge: Geschichte und Wahrheit im epochenübergreifenden Vergleich

Der Augenzeuge: Geschichte und Wahrheit im epochenübergreifenden Vergleich

Veranstalter
Prof. Dr. Gabriela Signori, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Konstanz
Veranstaltungsort
Universität Konstanz
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.10.2011 - 28.10.2011
Website
Von
Amelie Rösinger

In einer seiner letzten Vorlesungen, die er am Collège de France hielt, setzte sich Michel Foucault (1926-1984) aus der Perspektive des Philosophen, der nach Universalien strebt, eingehend mit der Praxis des Wahrsprechens auseinander, eine Praxis, die in der antiken Ideenwelt beheimatet war und als Ideal aber über die Jahrhunderte hinausstrahlte. Foucaults Interesse galt der heroischen Figur des Parrhesiasten, der – wie der in Lumpen gehüllte Diogenes – furchtlos vor die Mächtigen dieser Welt tritt, um ihnen die Wahrheit zu sagen. Um dem Parrhesiasten schärferes Profil zu verleihen, kontrastiert Foucault seinen Helden mit einer Reihe wesensverwandter Figuren, die jede auf ihre je eigene Art und Weise den Anspruch verkörpert, Wahres zu verkünden: der Fachmann, der Lehrende, der Weise, der Prediger, der Prophet, letztlich auch der Märtyrer. So unterschiedlich Foucaults ‚Wahrsprecher’ im Einzelnen auch sein mögen, ihnen gemein ist, dass ihre Wahrheit mit einer Mission verbunden ist. Dieser missionarische Zug fehlt dem Augenzeugen, der im Mittelpunkt der Tagung stehen soll.

Der Augenzeuge soll berichten, was er gesehen hat. Seine Wahrheit liegt im Bereich des Evidenten, im körperlichen Dabeigewesensein und im sinnlichen Gesehenhaben. Seine disziplinäre ‚Heimat’ ist nicht die Philosophie, auch nicht das Recht, sondern von Anfang an die Geschichtsschreibung und der Reisebericht, eine Gattung, die der Geschichtsschreibung über die Jahrhunderte hindurch sehr nahe steht. In Antike und Mittelalter schwebte die Aussage desjenigen, „der dabei gewesen ist und es mit eigenen Augen gesehen hat“ (Isidor von Sevilla) theoretisch noch über allen anderen Formen und Figuren der historiographischen Authentifizierung. Reinhart Kosselleck (1923-2006) zufolge hätten erst die Geschichtstheoretiker der Aufklärung mit dieser säkularen Tradition gebrochen, als sie den Augenzeugen und mithin den Historiker seiner Zeit- und Standortgebundenheit ‚überführten’.

Zäsuren zu ziehen fällt allerdings schwer, denn die Praxis sah meist ganz anders aus als die Theorie. Die Praktiker waren meist kritischer als die Theoretiker. In der Praxis nämlich reichte es selten aus, einfach nur dabei gewesen zu sein. Weitere Kriterien waren zu erfüllen, um dieser Wahrheit „so nahe wir nur möglich zu kommen“.

Die Diskussionen, die Zeitgenossen über den Augenzeugen führten, aber auch die Augenzeugenberichte selbst, zeigen, obschon auf unterschiedliche Weise, dass die Figur des Augenzeugen um einiges vieldeutiger ist als auf Anhieb zu vermuten.

Die Diskussionen, die die Zeitgenossen über den Augenzeugen führten, aber auch die Bericht selbst, die auf Augenzeugen zurückgehen zeigen, dass die Figur des Augenzeugen um einiges vieldeutiger ist als auf Anhieb zu vermuten. Genau um diese beiden Dimensionen wird es in der epochenüberspannenden und interdisziplinären Tagung gehen.

Programm

Mittwoch, 26.10.11 K 07

18.00 Uhr Begrüßung

18.30-19.15 Uhr
Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Bernd Stiegler
Belichtete Augen. Optogramme und ihre Geschichten

20.00 Uhr Abendessen

Donnerstag, 27.10.11 V 1001

09.00 - 09.40 Uhr
Dr. Heike Schlie (Berlin)
Das Zeugnis des Bildes in der Nachfolge apostolischer Augenzeugenschaft 1000-1550

09.40-10.20 Uhr
Prof. Dr. Michael Schwarze (Konstanz)
Ce que je vi et oy: Augen- und Ohrenzeugenschaft in Joinilles Vie de saint Louis

10.20-10.40 Uhr
Kaffeepause

10.40-11.20 Uhr
Nils Bock M.A. (Münster)
Augenzeugen und Zeugen höfischen Verhaltens. Die Herolde im späten Mittelalter

11.20-12.00 Uhr
PD Dr. Volker Scior (Osnabrück)
Der Bote(nbericht) als Augenzeuge(nbericht) im frühen und hohen Mittelalter

12.00-12.40 Uhr
Bastian Walter M.A. (Münster)
Vom okkasionellen Hörensagen und vom professionellen Augenzeugen: Spione und Kundschafter und ihre Bedeutung für die spätmittelalterliche Politik

12.40-13.40 Uhr
Mittagessen

13.40- 14.20 Uhr
Ramon Voges M.A. (Paderborn)
Vom Augenzeugen zum Ereignis? Die Hogenbergschen Bildberichte im Kontext der Nachrichtenpublizistik

14.20-15.00 Uhr
Tobias Daniels M.A. (Bochum)
Deutsche Augenzeugen im Italien der Renaissance

15.00-15.40 Uhr
Kaffeepause

15.40-16.20 Uhr
Dr. rer. pol. Maximilian Schochow (Leipzig)
Können Kinder – Augen – Zeugen? Medizinische und juridische Prozeduren des Wahrsprechens

19.00 Uhr
Abendessen

Freitag, 28.10.11 V 1001

09.00-09.40 Uhr
Prof. Dr. Rainer Wirtz (Konstanz)
Der mediale Augenzeuge

09.40-10.20 Uhr
Prof. Dr. Gerhard Paul (Flensburg)
Fotografen und Kameraleute. Die Professionalisierung in militärischen Auseinandersetzungen

10.20-10.40 Uhr
Kaffeepause

10.40-11.20 Uhr
Dr. Anette Schaffer (Bern)
Zur Augenzeugenschaft des Künstlers. Die Kriegsdokumentation von Francisco Goya und ihre Rezeption in Frankreich

11.20-12.00 Uhr
Dr. habil. Birgit Schwelling (Konstanz)
Im Spannungsfeld zwischen Augenzeugenschaft und Geschichtsschreibung – Das Forschungsprojekt „Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs“ (1957-1975)

12.00-12.40 Uhr
Prof. Dr. Michael Jeismann (Berlin)
Die Stockholmer Holocaust-Konferenz – Ein Selbstversuch

12.40-13.40 Uhr
Mittagessen

13.40-14.20 Uhr
Dr. Evelyn Runge (Berlin)
Der Fotograf als Augenzeuge. Zeitgenössische Dokumentarfotografie „Glamour des Elends“

14.20-15.00 Uhr
Maja Bächler M.A (Potsdam)
Natural Born Witnesses: Die zweite Kamera als Augenzeugin

15.00-15.40 Uhr
Kaffeepause

15.40-16.40 Uhr
Abschlussdiskussion

Kontakt

Amelie Rösinger

Universität Konstanz, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte

Amelie.Roesinger@uni-konstanz.de


Redaktion
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