Wissenschaft als Erzählung – Erzählungen der Wissenschaft

Wissenschaft als Erzählung – Erzählungen der Wissenschaft

Veranstalter
Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung e.V. (GWTF); Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte (GWG); in Kooperation mit dem Institut für Soziologie, TU Berlin
Veranstaltungsort
Technische Universität Berlin Hauptgebäude, Raum H 1035 (Senatssitzungssaal)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.11.2011 - 19.11.2011
Website
Von
Safia Azzouni, Phil.Fak. II Institut für deutsche Literatur, HU Berlin

Erzählungen führen in der Wissenschaft eine Art Doppelleben. Zum einen zeigen sie den Reichtum wissenschaftlicher Gegenstände, zum anderen wird ihre Bedeutung im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess gerne relativiert, um den selbst gesetzten Anspruch auf methodisch gesichertes Wissen zu untermauern. Seinen verdichteten Ausdruck fand dies in der Debatte um die „zwei Kulturen“ (Snow). Zwar mag die kontrastierende Gegenüberstellung von science und literature in den Hintergrund gerückt sein, jedoch ist das damit aufgeworfene Problem des Zusammenhangs erzählerischer und methodischer Verfahren in der Wissensproduktion noch alles andere als gelöst. Diese Verknüpfung ist heuristisch fruchtbar, wenn man die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Erzählungen in verschiedenen epistemischen Kulturen aufwirft.

Man erwartet bedeutsame Erzählungen eher in der Geschichtsschreibung als in der Naturwissenschaft. Dennoch kommt ihnen auch hier eine wichtige epistemologische Funktion zu. So spricht z.B. Roald Hoffman vom „barocken Erfindungsreichtum“ bei Hypothesen in der Chemie, den man nicht unterschätzen sondern wertschätzen solle. Erzählungen bündeln also wesentliche Begebenheiten eines Wissensfeldes, treiben es dadurch voran und stiften zugleich die Möglichkeit der Gedächtnisbildung. Erzählungen bilden ein wichtiges Movens der Entfaltung von Wissenschaft, weshalb sie in der Zwischenzeit zu einer bedeutenden analytischen Perspektive der Wissenschaftsforschung geworden sind. Wir wollen deshalb verschiedene Ansätze wissenschaftlicher Erzählpraxis und literaturwissenschaftlicher Erzähltheorie miteinander ins Gespräch bringen, um folgende Fragenbereiche auszuloten:

i) Mit Blick auf Wissenschaft und Technik: Welche Bedeutung kommt Geschichten bzw. narrativen Elementen bei der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion zu? Wie strukturieren solche Elemente die Genese von Wissen in den verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Technik? Inwieweit stellen Erzählungen „Geburtsstätten neuer Welten“ (Ricœur) in der Wissenschaft dar? Gibt es hierbei Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen – und wenn ja, wie lassen sich diese systematisieren?

ii) Mit Blick auf Wissenschaft und Gesellschaft: Inwieweit bilden Geschichten einen wichtigen „Transmissionsriemen“ der Wissenskommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft? So wird z.B. in der Klimaforschung deutlich, dass es sehr unterschiedliche Erzählmuster gibt (hier besonders: „Globales Treibhaus“ versus „Klimaskepsis“), die spezifischen Weltbildern gehorchen und sich wirksam im epistemischen Raum niederschlagen.

Das wesentliche Anliegen der Tagung besteht also darin, die Wissenschaftsforschung in einen Dialog mit der Erzählforschung und der soziologischen Diskursanalyse zu bringen. Welches analytische Potenzial eröffnet die Erzählforschung für die Wissenschaftsforschung? Welche bisher unerkannten Welten der Wissenschaft erschließt sie neu? Welche inhaltlichen und formalen Aspekte von Erzählungen (z.B. Metaphern, Bilder und Sprachelemente) sind für eine solche Analyse hilfreich und notwendig? Welche analytischen Ebenen müssen wir dabei im Blick haben und unter welchen Kategorien können wir diese bündeln? Lassen sich Paradigmata als Erzählung begreifen?

Eingeladen sind Beiträge aus den unterschiedlichen Feldern der Wissenschafts- und Technikforschung, Wissenssoziologie, Wissenschaftsgeschichte, der Literatur- und Kulturwissenschaft, welche die Bedeutung von Erzählungen bei der Formierung, Strukturierung und Überlieferung von Wissensräumen - sowie deren Analyse – herausarbeiten.

Programm

Freitag, 18.11.2011

09:00 - 09:20 Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema
Stefan Böschen (Augsburg), Carsten Reinhardt (Bielefeld)

Block I: Von den Gegenständen her

09:20 - 10:00 Arianna Borrelli (Wuppertal): Die Genesis des Gottesteilchens: Erzählung als konstitutives Element der theoretischen Hochenergiephysik

10:00 - 10:40 Christian Holtorf (Coburg): Der Nordpol – eine Erzählung

10.40 - 11.00 Kaffeepause

11:00 - 11:40 Oliver Hochadel (Barcelona): Ursprung und Überwindung. Heldengeschichten aus Atapuerca

11:40 - 12:20 Marie-Luise Wünsche (Koblenz): „Seelensucher“ der Moderne zwischen Mikroskop und Magie. Zur Bedeutung von analytischen Beobachtungssettings und phantastischen Erzählstrukturen für den psychoanalytischen Selbstbegründungsdiskurs

12:20 - 13:00 Jeannine Wintzer (Bern): Die ‚Wanderungsströme‘ der Binnenmigrationsforschung. Geographien wissenschaftlich erzählen

13:00 - 14:00 Mittagspause

Passage

14:00 - 14:40 Cornelius Borck (Lübeck): Blumenbergs Erzählungen

Block II: Grenzüberschreitungen

14:40 - 15:20 Jeannie Moser (Wien): „Ich bin daran den Eigenbericht zu verfassen“. Zur Narrativität des drogistischen Wissens vom Selbst

15:20 - 16:00 David Kaldewey (Bielefeld): Das ‚lineare Innovationsmodell’ als Erzählung über die Einheit der Wissenschaft

16:00 - 16:20 Kaffeepause

16:20 - 17:00 Petra Schaper-Rinkel (Wien):Szenarien als narrative Zukunftsmaschinen: Konjunkturen in der Konstruktion von Zukunft

17:00 - 17:40 Willy Viehöver (Augsburg): Keep on Nano truckin‘

17:40 - 18:00 Kaffeepause

Abendvortrag
18:00 - 18:45 Wolfgang Krohn (Bielefeld): Erzählung und Ästhetik in der Wissenschaft

18.45 - 19.15 Mitgliederversammlung der GWTF

Samstag, 19.11. 2011

Block III: Erzählungen in der Biologie

10:00 - 10:40 Veronika Lipphardt (Berlin): Hayden White’s Metahistorie in die Biowissenschaften!

10:40 - 11:20 Martin Döring (Hamburg): Gründungsmythen der Systembiologie: Entstehungsnarrative einer neuen Disziplin in den Biowissenschaften

11:20 - 11:40 Kaffeepause

11:40 - 12:20 Christian Schepsmeier (Bielefeld): „Let us suppose“.Die Rolle narrativ präsentierter Gedankenmodelle in Darwins "The Origin of Species"

12:20 - 13:00 Sebastian Zacharias (Berlin):Die Bedeutung des Darwinschen Narrativs für die Wirksamkeit der Evolutionstheorie in Öffentlichkeit und Wissenschaft

13:00 - 13:30 Abschlussdiskussion und Resümee

Anmeldung: formlos per email an Stefan Böschen (stefan.boeschen@phil.uni-augsburg.de)

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