Dichter und Lenker. Die Literatur der Staatsmänner, Päpste und Despoten vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Dichter und Lenker. Die Literatur der Staatsmänner, Päpste und Despoten vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Veranstalter
Patrick Ramponi / M.A., Dr. Saskia Wiedner, Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg; Masterstudiengang "Ethik der Textkulturen" des Elitenetzwerks Bayern; Brecht Festival Augsburg 2012
Veranstaltungsort
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2012 - 11.02.2012
Deadline
01.11.2011
Website
Von
Patrick Ramponi

Die modernen Geistes- und Kulturwissenschaften haben sich immer wieder fasziniert gezeigt von einem Künstlerbild, das weit in die Antike zurückreicht und nicht nur die abendländische Geschichte des intellektuellen Habitus heimgesucht hat: der Mythos vom Dichter an der Macht, das Phantasma vom Dichter als Souverän. Die Verwandtschaft von Politiker– der im Bereich der Literatur gemeinhin als Dilettant gilt – und Künstler sowie das Konzept des „ästhetischen Staates“ oder der „Staatskunst“ haben spätestens seit der Renaissance diverse historische Konjunkturen gezeitigt, die jeweils die Akzente zwischen Dichten und Herrschen unterschiedlich gesetzt haben: von Jacob Burckhardts berühmter Wendung des Staatengründers als ästhetischem Gewaltmenschen über die hofamtlichen poetae laureati bis hin zu jener von Goethe initiierten und bis in die klassische Moderne reichenden Variante des „Dichterfürsten“ und seines politischen Alter Ego, des „Staatskünstlers“. Allein schon etymologisch gestaltet sich eine intensive Nähe zwischen Dichtung und Diktat, bzw. auctoritas, und es war Thomas Mann, der bekanntlich in Bezug auf „Bruder Hitler“ die Beobachtung anstellte, dass nicht nur in jedem Künstler ein Despot stecke, sondern nicht minder eine ausgeprägte Neigung des (Gewalt-)Herrschers zum Ästhetischen auszumachen sei. Umso überraschender ist es, dass dieses umgekehrte Rollenmodell, der Anspruch also eines arrivierten Staatslenkers, sich auch in den schönen Künsten, insbesondere in der Literatur, zu versuchen, in der Forschung bisher erstaunlich wenig Resonanz gefunden hat.

So viel über die Staatsaktionen des ‚Geheimrats‘ Goethe, über das poetische Universalgenie als Politiker und Staatsdiener auch und gerade aus germanistischer Perspektive in Erfahrung gebracht werden konnte, so detailliert die Literaturwissenschaft die politische Ästhetik und den ästhetischen Totalitarismus in den künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts erforscht hat, so gering war bisher das Interesse an den im eigentlichen Sinne literarischen Schriften etwa des Dichter-Kaisers Maximilians I, Napoleons, Friedrichs des Großen, Ludwigs I von Bayern, an den Gedichten der österreichischen Kaiserin Elisabeth und des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, oder den Werken des französischen Premierministers Léon Blum, an den literarischen Ergüssen Churchills, Abraham Lincolns oder Katharina der Großen, ganz zu schweigen von den ‚Literaten‘ unter den römischen Päpsten, von den musischen Renaissance-Päpsten wie Papst Pius II. bis zu Johannes Paul II., der unter anderem ein beachtliches lyrisches Werk hinterlassen hat. Diese Liste lässt sich um viele Namen erweitern, und es ist ein Ziel der Tagung, eine erste umfassende Bestandaufnahme der Dichtungen von Staatsmännern (und -frauen) sowie kirchlichen Oberhäuptern von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart zu präsentieren.

Weder die Geschichtswissenschaft noch die einzelnen Philologien haben sich bislang für eine breitere und systematische Untersuchung dieses Grenzbereichs der konkreten literarischen Produktion von Welt- und Kirchenmächtigen zuständig gesehen. Trotz ihrer Ausrichtung auf große historische Persönlichkeiten und ihrer Staatszentriertheit befand die historistische Geschichtsschreibung die von Staatsmännern verfasste Literatur als Quellengattung für ihren Gegenstandsbereich zu profan und zu wenig aussagekräftig. Und wenn sie überhaupt in den Blickwinkel der Forschung geriet, dann lediglich als Zeugnis für die Genialität eines überragenden historischen Charakters. Auch die Sozialgeschichte ignorierte literarische Quellen weitestgehend, zu gering schien ihr deren Repräsentativität in Bezug auf die Totalkategorie der ‚Gesellschaft‘. In den Literaturwissenschaften wiederum geriet das literarische Schaffen von Politikern kaum in den Blickwinkel, zu sehr schien es sich hier um Literatur minderen Ranges zu handeln, die den Aufwand eingehender Interpretationsleistungen nicht verdiene.

So galten die Dichtungen von Politikern und Staatslenkern lange Zeit als Ausdruck ihrer Seele, als Signum ihrer eigentlichen Persönlichkeit, jenseits der Verstellung, die das öffentliche und politische Geschäft erfordert. Und doch überrascht es, dass die komplexere Frage nach den kultur- und funktionsgeschichtlichen Aspekten der im engeren Sinne literarischen Produktion von Staatsmännern (und -frauen) bisher kaum gestellt wurde. Denn ihre literarische Produktivität war niemals reine Privatsache, einsame Meditation, beschränkt auf wenige Stunden der Muße und Auszeit, - Begriffe, die selbst wiederum zu problematisieren und historisieren wären. Vielmehr war sie immer auch, sofern für die Öffentlichkeit bestimmt, konstituierend für das Herrschaftsgepräge, mithin für die mediale Vermittlung von Regierungsgeschäften, für die Inszenierung von Macht und die charismatische Konturierung persönlicher Herrschaft. Nicht zuletzt lässt sich an den Dichtungsleistungen von Staaten- und Kirchenlenkern, so die Ausgangshypothese der geplanten Tagung, der Grad an Ausdifferenzierung teilautonomer Systeme wie Kunst, Politik und Medien in der Kulturgeschichte der Moderne ermitteln. Dabei sollen dezidiert auch kulturvergleichende und transkulturelle Fragestellungen berücksichtigt werden.

Denn die öffentliche Inszenierung des Despoten als Literaten ist keineswegs ein rein europäisches Phänomen, das auf die antike Tyrannis und auf den Urtypus des römischen Kaiser Nero rückbezogen bleibt. Zu erforschen wäre insbesondere die Funktion, welche der Literaturproduktion von Machthabern in den arabischen, asiatischen und afrikanischen Kulturräumen zukommt. Eine zu überprüfende (und zu historisierende) These wäre etwa die von Burkhardt Müller („Dichter und Lenker. Schwache Staaten brauchen starke Worte“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. April 2003) geäußerte Vermutung, dass sich gerade in schwachen, sich im Aufbau befindlichen – oft postkolonialen Staatengebilden – die autoritär regiert werden, der einsame Machthaber nicht zuletzt auch über die eigene literarische Handhabung der Volkssprache eine Art ästhetische Totalinklusion seiner Staatsgemeinschaft versucht.

Methodisch schließt die Tagung an kultursoziologische, systemtheoretische sowie medien- und intellektuellengeschichtliche Problemhorizonte an, sieht aber vor allem in der produktiv eklektischen Kombination dieser Methoden die Herausforderung, den interdisziplinären Gegenstand einer „Literatur von Politikern“ in den Griff zu bekommen.

Die Hinwendung des Herrschers zur Literatur kann nicht nur zum temporären Aufschub des Staats- und Regierungsgeschäftes führen, sondern bietet nicht selten auch einen Rückzug aus dem öffentlichen Raum in die Privatheit und die Reflexion. Wie wird dieser Rückzug genutzt? Schult und entfaltet sich in der gestalterischen Auseinandersetzung mit dem (Propaganda-)Instrument Sprache etwa gar ein kritisches Herrscherbewusstsein oder dient der literarische Ausdruck lediglich der Legitimierung und Sakralisierung des eigenen Herrschaftsanspruchs, bzw. der Herausbildung hypertropher und hochnarzisstischer Persönlichkeitsstrukturen? Antizipiert oder transzendiert das literarisch-künstlerische Werk das Regierungsprogramm? Wie verhält sich staatsnahe Dichtung mit der idealistischen Vorstellung einer künstlerischen Organisation der Menschheit jenseits des Staates unter Führung von Künstlern oder Literaten? In welchem Verhältnis steht das literarische Schaffen des Herrschers zu seinen Regierungstaten und wie fügt es sich in die Strategiekämpfe und Auseinandersetzungen des zeitgenössischen literarischen Feldes ein? Was sagt die literarische Produktionsweise von Staatsmächtigen über den Funktionswandel der Literatur selbst aus? Lässt sich die Dichtung von Staatsmännern als Kehrseite der Gattungen und Schreibformen „Hagiographie“, „Panegyrik“, „Legende“ oder „Führerkult“ begreifen? Allein schon die Nähe, die Staatslenker immer wieder zu den Dichtern gesucht haben, lässt ihr eigenes literarisches Schaffen in einem diffusen Licht zwischen Auftragskunst und literarischem Anti-Diskurs erscheinen. Spiegelt die literarische Auseinandersetzung mit dem eigenen Dasein schließlich grundlegende ontologische Fragen, die einem zeitgenössischen historischen Hintergrund geschuldet sind?

Der historische Rahmen der Tagung soll den Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart umfassen. Dabei soll ein Fokus auf herausragende Herrscherfiguren in- und außerhalb Europas gerichtet werden, deren literarische Produktion vor der Folie ihrer politischen Handlungen und psychohistorischen Daseinsformen zu untersuchen sein wird.

Mögliche Vorschläge könnten sich an folgenden Themenfeldern und Leitfragen orientieren:

- Kultursoziologie und Systemtheorie: Funktionswandel der Dichtung im Rahmen der Moderne. Ausdifferenzierung von Politik und Kunst als teilautonome Sphären.
- Kulturgeschichte der Gesellschaft als medial generiertes Symbolsystem. Performative und symbolische Dimensionen von Souveränitätskonzepten. Frage nach den ästhetischen Integrationsfaktoren von Politik und Macht.
- Frage nach dem Anteil der Literatur an einem Konzept charismatischer Herrschaft und Politik.
- Reflexion der Literatur von Politikern vor dem Hintergrund eines historischen Wandels von Epochenbildern und Künstlertypologien. Sozialgeschichte typologischer Künstlerkonzepte, auch Inszenierungsstrategien des Künstlertums vom gottesähnlichen Genie bis zur Profession des Künstlers.
- Medien- und publizistikgeschichtliche Aspekte in der Repräsentation von Macht und Herrschaft
- Geschichte von Führerkulten und totalitären Heldenmythen, die besonders das 20. Jahrhundert auszeichneten. Zusammenhang von Totalitarismus und Literatur.
- Geistesgeschichtliche Paradigmen wie die Begriffsgeschichte des ‚fürstlichen Dilettantismus‘, von seinen italienischen Ursprüngen bis hin zur pejorativen Wendung des Dilettantismusbegriffs in der Goethezeit.

Wir laden Sie herzlich dazu ein, aussagekräftige Vorschläge für 20-minütige Vorträge zum skizzierten Thema, nebst einem kurzen CV, bis zum 1. November 2011 per E-Mail an die beiden Organisatoren zu senden. Sehr willkommen sind auch NachwuchswissenschaftlerInnen! Eine Entscheidung können Sie bis Anfang November erwarten. Tagungssprachen sind deutsch und englisch, eine zeitnahe Publikation der Beiträge ist geplant.

Patrick Ramponi, M.A. (patrick.ramponi@phil.uni-augsburg.de)
Dr. Saskia Wiedner (saskia.wiedner@phil.uni-augsburg.de)

Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte
Studiengang Ethik der Textkulturen des Elitenetzwerkes Bayern
Universität Augsburg, Philologisch-Historische Fakultät
Universitätsstraße 10
86159 Augsburg
Tel.: +49 821 598 – 5629

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