5. Internationaler Workshop "Historische Netzwerkforschung"

5. Internationaler Workshop "Historische Netzwerkforschung"

Veranstalter
Wilko Schröter, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien
Veranstaltungsort
Universität Zürich, Nordcampus, Affolternstrasse 56, 8050 Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
13.09.2011 -
Deadline
07.08.2011
Website
Von
Wilko Schröter

Nach Faust und Wasserman gilt die Soziale Netzwerkanalyse als quantitatives Verfahren zur Auswertung relationaler Daten aus Einheiten und Beziehungen. Leider ist dieses Verfahren in der Geschichtswissenschaft im Gegensatz zu anderen Geistes- und Sozialwissenschaften bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden. So existieren im deutschsprachigen Raum nur wenige geschichtswissenschaftliche Arbeiten zur Analyse von egozentrierten oder Gesamtnetzwerken.

Dieser Workshop soll dabei helfen, den Austausch zwischen ForscherInnen auf diesem Gebiet zu intensivieren, Problemstellungen zu diskutieren und dabei helfen, das Themengebiet stärker in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Er wendet sich insbesondere an NachwuchsforscherInnen der Geschichtswissenschaft, aber alle interessierten ForscherInnen sind zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch aufgerufen.

Nach vier vorangegangen Workshops in Köln, Essen, Wien und Saarbrücken, die sich mit Fragestellungen der Visualisierung, der Datengewinnung sowie der Faktoren Zeit und geographischer Raum beschäftigten, liegt der Schwerpunkt dieser Veranstaltung bei folgendem Thema:

- Möglichkeiten des konkreten Erkenntnisgewinns der Netzwerkanalyse aus historischem Quellenmaterial

Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Die Registrierung ist bis zum 07.08.2011 auf der Webseite http://www.idbd.evento.ethz.ch/dispatch.asp?fct=AnmeldungEdit&IdAnlass=12471247 möglich. Der Unkostenbeitrag für Raumbereitstellung, Organisation und Kaffee beträgt 20 CHF.

Programm

13:30 – 14:10
PD Dr. Robert Gramsch, Universität Jena: Quellen zu personalen Netzwerken im Hoch- und Spätmittelalter – Möglichkeiten und Grenzen ihrer Erforschung

Die Quellenlage zum Mittelalter stellt sich nach landläufiger Einsicht sehr viel ungünstiger dar als in jüngeren Epochen. Dennoch gibt es für die Erforschung von personalen Netzwerkstrukturen eine Vielzahl von verwertbaren Informationen, die in günstigen Fällen eine Anwendung der netzwerkanalytischen Methodik zulassen. Diese verspricht neue Einsichten in die Funktionsweise der wesentlich auf personalen Beziehungen (weniger auf Institutionen) aufbauenden mittelalterlichen Gesellschaft. Aus der Begrenztheit des Quellenmaterials ergeben sich gegenüber der Neuzeithistorie zum Teil sogar Vorteile, da die Gefahr geringer ist, in einem Datenwust zu ersticken oder mit allzu entlegenen, oft nur in aufwändiger Archivarbeit erschließbaren Quellen arbeiten zu müssen. Bestimmte Quellenkorpora zur mittelalterlichen Geschichte, etwa die gut erschlossene vatikanische Überlieferung oder das breit erschlossene Material zur Genealogie des mittelalterlichen Adels, laden zu systematischer netzwerkanalytischer Forschung geradezu ein.

Der Vortrag will die Möglichkeiten und Grenzen personaler Netzwerkforschung im Bereich des Mittelalters aufzeigen. Als illustrierende Beispiele werden sowohl Heiratsnetzwerke des hochmittelalterlichen deutschen Adels als auch Netzwerkstrukturen innerhalb des spätmittelalterlichen deutschen Klerus etwas näher vorgestellt.

14:10 – 14:50
Dr. Stephan Karl Sander, Universität Zürich: „… publicus sacra Imperiali auctoritate Jadreque Juratus Nortarius …“ – Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns der Netzwerkanalyse aus Notariatsquellen

Der vorgeschlagene Beitrag soll die Bedeutung notarieller Quellen für die historische Netzwerkanalyse hervorheben und anhand konkreter Beispiele aus dem Bereich der venezianischen Besitzungen veranschaulichen. Obwohl diese Quellengattung aus einer Vielzahl heterogener Vertragstypen besteht, so ermöglicht deren (relativ) stark uniforme Inhalte und juristische Sprache ein Heranziehen für die soziale Netzwerkanalyse; zudem sind gerade diese Quellen in großer Fülle ab dem 13. Jahrhundert in den Archiven des Mittelmeerraumes vorhanden. Konkret handelt es sich dabei unter anderem um Eheverträge, Mitgiftzahlungen, Quittungen, Testamente und Kodizille, Dienstverträge, Bestellungen von Sachwaltern. Diese ermöglichen es nicht nur, Lebenswege einzelner Individuen, sondern eben auch deren soziale Netzwerke durch quantitative Auswertungen zu rekonstruieren.

Die Wahl der Markusrepublik als Rahmen der Untersuchung fußt auf zwei Überlegungen: Zum einen auf der Existenz komplexer und heterogener städtischer Gemeinwesen in ihrem Machtbereich, die eine Vielzahl kultureller, religiöser, sozialer und sprachlicher Schnittmengen aufwiesen. Zum anderen auf dem Übergangscharakter des Raumes zwischen dem italienisch-katholisch geprägten Kulturraum und der Welt des östlichen Mittelmeerraumes. Die an der Peripherie des lateinischen Europas situierte städtische Gesellschaft Zadars (Zara), der Hauptstadt der venezianischen Doppelprovinz Albanien-Dalmatien, dient als Ausgangspunkt für konkrete Fallbeispiele.

Auf der Basis dieser Grundlagen sollen konkrete Fragen nach den Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns aus der Analyse historischer Quellen beispielhaft aufgezeigt werden. Diese verschiedenen Notarsquellen sind procurae (Sachwalterbestellungen), emptiones beziehungsweise locationes (Kauf- und Pachtverträge) sowie contracti nuptiarium und quietationes dotii (Eheverträge und ,Emfangsbestätigungen‘ für Mitgiftzahlungen). Quantitative Auswertungsmöglichkeiten ermöglichen allerdings nicht nur Aussagen über Netzwerkstrukturen und -Verbindungen, sondern lassen auch Rückschlüsse über die juridischen, sozialen und/oder wirtschaftlichen Motivationen der Vertragspartner zu.

14:10 – 15:30
Dr. Alexander von Lünen, University of Portsmouth: Ich weiß was du letzten Sommer geschrieben hast! – Historische Ko-Autoren-Netzwerkanalyse

Ko-Autoren-Netzwerkanalyse (KANA) erfreut sich in der Wissenschaftsoziologie schon seit einigen Jahren grosser Beliebtheit. In aller Regel werden hierbei Autoreninformationen aus bibliographischen Datenbanken (wie z.B. Medline) abgefragt und die Ko-Autoren als Verknüpfung in einem sozialen Netzwerk abgebildet. Zielsetzung ist hierbei oftmals eine Hypothesengenerierung, wie z.B. das Aufzeigen von „small world“ Phänomenen in wissenschaftlichen Teilgebieten.

In der Wissenschaftsgeschichte ist dieser Ansatz – KANA – bislang kaum zu finden. Netzwerkanalysen beschränken sich hier i.d.R. auf prosopographische Ansätze. Lässt man grundsätzliche Probleme von KANA ausser Acht, wie Quellenproblematik und Identifikationsschwierigkeiten bei einzelnen Autoren, die sich auch in anderen Bereichen der digitalen Geschichtsforschung stellen, bleibt immer noch der Sinn und Nutzen eines KANA-Ansatzes in der Geschichtswissenschaft zu beantworten. Vielfach sind die Fragestellungen (small world, Zentralität, usw.) die in der Wissenschaftssoziologie interessant sind, für historische Fragestellungen eher irrelevant (weil bereits aus anderer Forschung bekannt, oder weil aufgrund Datenmangels eine „volle“ Analyse nicht vorgenommen werden kann). Es stellt sich also die Frage, wie KANA gewinnbringend für die historische Forschung eingesetzt werden kann.

Der Vortrag stellt eine KANA des Autors im Bereich der Netzwerke in der luft-fahrtmedizinischen Forschung im Dritten Reich vor. Hierbei wird im ersten Schritt eine KANA zur Hypothesenverifikation benutzt (also KANA zur Überprüfung bereits aus existierender Literatur bekannten Thesen); um dann in einem zweiten Schritt mittels einer aus dem „Data Mining“ entliehenen Technik, dem „Link Mining“, Strukturen herauszuarbeiten die neue Forschungsimpulse und -desiderate generieren.

15:30 – 15:40
Kaffeepause

15:40 – 16:20
Wilko Schröter, Universität Wien: Die Wiener Juden, 1881-1918 – Demographische Analyse des Sozialen Netzwerkes der Verwandtschaften und Bekanntschaften

Zuerst wird eine familien-demographische Analyse der Jüdischen Gemeinde in Wien mittels der Matriken der Israelischen Kultusgemeinde (IKG) der Stadt Wien als Hauptdatenquelle durchgeführt. Die Segregationsindices nach Geschlecht, Familienstand, Beruf und Wohnort lassen bereits Aussagen zu Segregationsmustern der Wiener Juden zu. Es werden die Änderungen der Familienstrukturen im Zeitablauf und die Abweichungen zum Westlichen Familienmuster untersucht, um Faktoren für den frühzeitigen demographischen Übergang der Jüdischen Gemeinde zu erklären. Anschließend wird eine Soziale Netzwerkanalyse des Verwandtschafts- und Bekanntschafts-Netzwerkes (über Trauzeugen) unternommen.

Die Juden waren meist über große Entfernungen durch geschäftliche und Heiratsnetzwerke verbunden. Auf diese Weise kamen die Mitglieder der jüdischen Gemeinde eher zu neuen Ideen (von den Juden der Peripherie) als die dichter vernetzten und abgegrenzten Christen. Diese Netzwerke waren sowohl sozial als auch kulturell heterogener und können durch „schwache Bindungen“ charakterisiert werden.

16:20 – 17:00
Marten Düring, Kulturwissenschaftliches Institut Essen: Fragmentarische Netzwerkanalyse: Codierung, Visualisierung und Quantifizierung von relationalen Daten unter erschwerten Bedingungen

Der Beitrag ist ein Rückblick auf meine Arbeit mit Theorien und Methoden der Sozialen Netzwerkanalyse im Rahmen meiner Dissertation über Hilfsnetzwerke für verfolgte Juden im Nationalsozialismus.

Mein Vortrag thematisiert die Rückwirkung von Methodendesign, der Technik der Codierung, Visualisierung und Quantifizierung der Daten auf die Interpretation und Kommunikation der rekonstruierten Netzwerkstrukturen. Im Zentrum steht dabei die Frage, welchen Einfluss der Netzwerkansatz auf die Analyse der Hilfeleistungen hatte. Im direkten Vergleich zu traditionellen historischen Rekonstruktionen werden die tatsächlich erkenntnisfördernden Aspekte der Methode herausgearbeitet.

Das Thema zeichnet sich durch eine zum Teil sehr schwierige Quellenlage aus: die meisten Netzwerke können nur als Fragmente rekonstruiert werden, Schilderungen von Zeitgenossen weichen voneinander ab und unterliegen bewussten oder unbewussten Änderungen, zeitgenössische Quellen sind aus naheliegenden Gründen sehr spärlich vorhanden. Zahlreiche Akteure können nicht identifiziert werden obwohl deren wichtige Rolle innerhalb der Strukturen evident ist. Grundsätzlich wurden fast alle Quellen vor dem Hintergrund eines prosozialen bias produziert, der den Verfassern keine Alternative zu einer moralisch integeren Selbstdarstellung ließ.

Meine Dissertation untersucht die Frage, wie Menschen innerhalb eines totalitären Systems unerkannt helfen konnten, trotzdem weitreichende Verbindungen zu anderen aufbauen konnten und welche sozialen Strukturen sich aus diesen Hilfsbemühungen bildeten. Im Zentrum stehen die Interaktion der beteiligten Akteure untereinander und deren Auseinandersetzung mit den Strukturen die sie schufen. So zeigt sich beispielsweise, dass bestimmte Formen der Hilfe bestimmte Strukturmuster hervorbrachten und dass diese auf die beteiligten Helfer rückwirkten und deren Hilfen verstetigten.

Kontakt

Wilko Schröter

Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien, Dr. Karl Lueger Ring 1, A-1010 Wie
+43 1 4277 41332

wilko.schroeter@univie.ac.at


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Deutsch
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