Soziale Medien - Neue Massen. 2. Medienwissenschaftliches Symposion der DFG

Soziale Medien - Neue Massen. 2. Medienwissenschaftliches Symposion der DFG

Veranstalter
Leuphana Universität Lüneburg; Deutsche Forschungsgemeinschaft
Veranstaltungsort
Leuphana Universität
Ort
Lüneburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.02.2012 - 04.02.2012
Deadline
31.08.2011
Website
Von
Claus Pias

2012 wird zum zweiten Mal das »Medienwissenschaftliche Symposium« der DFG statt finden. Seine Aufgabe ist es, die Entwicklung der Medienwissenschaft in Deutschland durch die Diskussion zentraler, gemeinsam interessierender Themen voranzubringen. Unter dem Titel »Soziale Medien — Neue Massen« widmet sich das Symposion daher dem Zusammenhang von Medien und Öffentlichkeiten.

Mit dem Motiv einer brüchig werdenden Beschreibungsmacht hergebrachter Konzeptualisierungen von Massen und Massenmedien, mit den schon länger kursierenden Diagnosen zerstreuter Öffentlichkeiten, den kaum mehr vorhersagbaren Dynamiken und Effekten digitaler Technologien, dem Entstehen neuer Massenvorstellungen (Schwärme, flashmobs, Netzwerke, etc.) und ihren gesellschaftlichen und politischen Implikationen ist ein Forschungsfeld aufgerufen, auf dem die Medienwissenschaft zwar prominent angesprochen ist, aber nicht alleine steht. Sie ist vielmehr umgeben von anderen Beobachtern wie Soziologie, Geschichte, Informatik, Philosophie oder Publizistik, die sich ebenfalls mit solchen Phänomenen beschäftigen und ebenso von ihnen heraus gefordert sind. Umso mehr gilt es daher, im Dialog mit anderen Disziplinen die originäre Leistung einer medienwissenschaftlichen Episteme hervorzutreiben und ihren spezifischen Beitrag zur Deutung einer medialisierten Lebenswelt zu konturieren.

Programm

Die Vielfalt dieses Themas soll durch vier Schwerpunkte gebündelt werden:

Welche Massen? (Inge Baxmann, Stefan Rieger)

Massen sind offensichtlich nicht mehr das, was sie einmal waren. Massen als reale Massierungen von Körpern auf öffentlichen Plätzen wurden bereits ebenso emphatisch verabschiedet wie die Konsumenten der gleichnamigen Medien und deren Theoretisierungen als unmündig und aufklärungsresistent, als gelenkt, manipulierbar und im Uneigentlichen verfangen. Bereits seit Autoren wie Riesman, Bell, Toffler oder Tourraine wird das Verschwinden der Massen zelebriert. Doch die Lage scheint komplizierter: Einerseits erleben ganz materielle Massen mit all ihren Dynamiken (von Paraden, Staus und Public Viewings bis hin zu Massenpaniken im religiös-rituellen Raum) allerorts ein comeback, andereseits ist nicht ausgemacht, ob sich die durch das Netz formierenden »Neuen Massen« angesichts der Vielfalt ihrer Ausprägungen überhaupt noch sinnvoll als Massen beschreiben lassen. Denn von Jeti-Fans über World of Warcraft-Spieler bis zu Bildungsreformgegnern zeigt sich, dass prinzipiell kein Gegenstand und keine Wissensform dieser Welt nicht dazu taugte, neue Sozialformen im Virtuellen zu stiften – digitale Biotope, deren Artenschutz schon allein deswegen einen schweren Stand aufweist, weil man sie ob ihrer schieren Masse nicht kennen kann. Inwiefern ist dabei die Wahrnehmung von Massen selbst immer schon ein Effekt von (Massen-)Medientechnologien gewesen? Und wo fängt eine Masse an, sich von einer Gruppe oder Menge zu unterscheiden? Zu diskutieren wäre daher, von welchen Massen wir über haupt als je »alten« und »neuen« Massen sprechen, welche (Dis)Kontinuitäten von Massen- und Massenmedien-Konzepten (LeBon, Canetti, y Gasset, Freud, Broch, »New Masses«; kritische Theorie, Birmingham School etc.) dabei vorausgesetzt werden, und welche historischen und systematischen Differenzierungen zu machen wären.

Welche Medien? (Ute Holl, Claus Pias)

Medien bringen ihre geschichtlich je eigentümlichen Massen und Massen(medien)theorien hervor. Während beispielsweise die öffentliche Rede ein physisch-akustisches Hier und Jetzt evozierte, brachten Radio und Fernsehen ein räumlich verstreutes, aber zeitlich vereintes Massenpublikum hervor. Dem Internet mit seiner Möglichkeit, sich zu unter schiedlichen Zeiten einzuklinken und auf Inhalte zuzugreifen, eignet eine zeitliche »Verstreutheit«, die dem (Massenmedium?) Buch zwar näher ist, dabei jedoch von einer Speicher- zu einer Produktionslogik übergeht, die vielfach als »participatory turn« oder »user generated content« diskutiert wurde. Spekulieren mag man, ob Massen möglicherweise dort auftreten, wo ein angemessener Speicher fehlt und wo entsprechende Speicherdispositive Massenauftritte und -auftriebe ersetzen. Offensichtlich scheint dagegen, daß historisch jeweils neue Massen den Plan immer zugleich mit neuen medientechnischen Gegebenheiten betreten haben, weil auch die Forschung ihrer Mediengeschichte nicht entkommt, sobald sie Massen erforscht und konzeptualisiert. Eine vordringliche Aufgabe ist daher die Diskussion der Rolle, die Apparate, Formate, Protokolle und Standards für das einnehmen, was durch Massen und was von Massen gedacht, gewusst, gesagt und getan werden kann.

Welche Forschung? (Wolfgang Hagen, Timon Beyes)

Massenmedienforschung will etwas über massenmediale Nutzungen erfahren. Solange diese Nutzung noch auf Geräteexklusivität basierte, konnte dabei einfach Gerätenutzung mit Inhaltsnutzung gleichgesetzt werden. Dies hat sich grundlegend verändert, denn gleichwohl z.B. das angeblich ausgediente Massenmedium Fernsehen so viel genutzt wird wie noch nie, sind Faktoren wie Plattformindifferenz (austauschbare Screens wie TV, PC, Laptop, Smartphone etc.), Contentorientierung (Inhalte werden auf verschiedensten Wegen geliefert), Nichtlinearität (zeitsouveräne Nutzung durch Recording, On Demand, Time-Shift, Download etc.) oder Crossmedialität (gleichzeitige Nutzung anderer Medien wie Internet, Handy etc.) wirksam geworden. Medienforschung als empirische Sozialforschung, die eine Zufallswahl aus einer gleichverteilten Erreichbarkeit voraussetzen und treffen muß, um daraus »repräsentative« Aussagen abzuleiten, ist unter solchen Umständen an ihre Grenzen gestoßen. Wo Massenmedienforschung hauptsächlich Werbeforschung im Markt der elektronisch linearen Medien war, wurde sie durch die algorithmische Auswertung von Massendaten aus Social Networks, Suchmaschinen oder Onlinekäufen ersetzt. Diese Algorithmik erzeugt jedoch ihre ganz eigenen Artefakte von Hits und Stars, Ballungs räumen und Unsichtbarkeiten, Feedbacks und Inszenierungs strategien (z.B. astro turfing). Mit solchen Stichworten ist die grundlegende Frage aufgerufen, mit welchen Methoden das historisch wechselnde Verhältnis von Massen und Medien beobachtet wurde und beobachtet werden kann. Damit sind zugleich notorische Differenzen verschiedener Medien-Wissenschaften adressiert (quantitativ, qualitativ, kulturwissenschaftlich), die es – in ihrer historischen Genese und systematischen Differenz – zu diskutieren gilt.

Welche Öffentlichkeiten? (Wolfgang Coy, Geert Lovink)

Es ist offensichtlich, daß Revolutionen nicht mehr (wie einst noch in Rumänien) mit der Video kamera gemacht werden, und daß Ministerämter nicht mehr durch Untersuchungskommissionen ins Wanken gebracht werden. Klassische Interessenvertretungen wie Vereine, Verbände oder auch akademische Fächer mit ihren tradierten Formen der Jahres treffen, ihren Haupt- und Mitgliederversammlungen, ihren Kassenwarten und Rechenschaftsberichten weichen zunehmend anderen Organisationsweisen. Ob »Weisheit der Massen«, crowdsourcing oder crowd funding, ob »Blogospähre« oder WikiLeaks: Das Netz generiert nicht nur seine eigenen technischen Standards, sondern mit diesen auch solche der Gesellschaft. Wenn »die« Öffentlichkeit bislang in der selbstreflexiven Diskussion der sogenannten Leitmedien entstanden ist, stellt sich die Frage, wie und welche neuen Öffentlichkeiten aus den disparaten Strängen der Internetmedien entstehen. Wie formieren sie diese Öffentlichkeiten, welche Formen der Kritik sind in und an ihnen möglich und wo liegen ihre Grenzen (»net delusion«)? Zugleich haben jene »Neuen Massen«, die mit dem Selbstverständnis einer egalitären und selbst bestimmten Unverbindlichkeit auftreten (»organizing without organi zations«), durchaus auch einen historischen Index: Phantasmen von kollektiver oder distribuierter Intelligenz und nichthierarchischer Selbstorganisation haben (zum Guten oder Schlechten) ihren Vorlauf über das gesamte 20. Jahr hundert hinweg. Vorrangig zu diskutieren gilt es jedoch ein gegenwärtiges »technological unconscious« (Nigel Thrift) das nicht auf technische Neuerungen reduzierbar ist, sondern einen Knoten aus technischen, ästhetischen und sozialen Entwicklungen bezeichnet, die in den Überbegriff der Sozialen Medien eingehen und dabei neue politische Subjekte und neue Regulierungsformen menschlichen Erlebens und Handelns hervorbringen.

Teilnahmebedingungen:

Die Teilnahme am Symposium setzt voraus: 


– die Zusendung eines ausführlichen Abstracts (1-2 Seiten)
– die vorherige schriftliche Einreichung des Beitrags (nicht mehr als 12 Seiten)
– die Bereitschaft, ein kurzes Korreferat zu einem der anderen vorgelegten Beiträge zu übernehmen
– die Bereitschaft, während der gesamten Zeit des Symposiums an den Diskussionen teilzunehmen

Termine:

– Einsendeschluß für Titelvorschläge: 1. August 2011 (bitte mit Angabe der bevorzugten Sektion)
– Einsendeschluß für Abstracts (1-2 Seiten): 31. August 2011
– Benachrichtigung über die Annahme: September 2011
– Einsendeschluß für ausformulierte Papers: 1. Dezember 2011

Programmkomitee:

Inge Baxmann (Universität Leipzig)
Timon Beyes (Leuphana Universität Lüneburg)
Wolfgang Coy (HU Berlin)
Wolfgang Hagen (Deutschlandradio Kultur / HU Berlin)
Ute Holl (Universität Basel)
Geert Lovink (Amsterdam)
Claus Pias (Leuphana Universität Lüneburg)
Stefan Rieger (Ruhr-Universität Bochum)

Kontakt

Claus Pias

Leuphana Universität

neuemassen@googlemail.com