Die Ökonomie des Privilegs

Die Ökonomie des Privilegs

Veranstalter
Institut français d’histoire en Allemagne; Verein der Freunde und Förderer der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt; Fachbereich 08 Philosophie und Geschichtswissenschaften, Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt; Forschungszentrum Institutions et dynamiques historiques de l’économie, CNRS/ Universität Paris-I; Forschungszentrum ACP, Universität Paris-Est Marne-la-Vallée
Veranstaltungsort
Goethe Universität, Campus Westend Eisenhower-Saal
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2011 - 02.07.2011
Deadline
31.05.2011
Von
Guillaume Garner

Diese Tagung zielt darauf ab, den Stellenwert, den Status und die wirtschaftliche Rolle des Privilegs in den Strategien der ökonomischen Akteure im Europa des Ancien Régime zu untersuchen. Das Privileg wird hier definiert als ein wirtschaftlicher Handlungsspielraum, der zugunsten eines (individuellen bzw. kollektiven) Akteurs durch die Obrigkeiten vorläufig erteilt wird. Dabei befindet sich die ausgewählte Perspektive im Schnittpunkt der Wirtschafts- und der Rechtsgeschichte, und fokussiert also auf die Erwartungen und die Praxis der ökonomischen Akteure. Mit anderen Worten gilt es, von diesen Akteuren auszugehen, um die Gründe zu verstehen, die sie motivieren, die Erteilung von Privilegien zu beantragen, sowie die Einwirkung dieser Privilegien auf ihre wirtschaftliche Praxis.

Vom Standpunkt dieser Akteure wird so das Privileg in manchen Fällen als eine Ressource wahrgenommen, die die Überwindung verschiedener für die alteuropäische Ökonomie konstitutiven Zwänge – Volatilität der Arbeitskraft, Knappheit und hohe Kosten der Rohstoffe, u.s.w. – ermöglicht, erstens weil die Privilegien sehr oft die Konfiguration des Angebots modifizieren – z. B. wenn sie Monopole oder Oligopole schaffen – und zweitens weil sie auch auf die Nachfrage einwirken, z. B. wenn einer Fabrik oder einer Manufaktur erhebliche Befugnisse in der Anschaffung von Rohstoffen zuteil werden. Im Allgemeinen geht es also darum, die Hypothese zu überprüfen, wonach das Privileg den betroffenen Akteuren ermöglicht, die für ihre Tätigkeitsfelder konstitutive Unsicherheit zu minimieren, z. B. indem ihr Antizipationsvermögen vermehrt wird. Darüber hinaus haben die Obrigkeiten nicht selten das Privileg gehandhabt, um bestimmte wirtschaftspolitische Probleme zu lösen, die unter anderem mit der Mobilisierung der Kapitalien zusammenhingen. Es gilt also, nicht nur die Ebene der Vorstellungen, der mentalen Kategorien dieser Akteure in den Blick zu nehmen, sondern auch ihre konkrete ökonomische Praxis zu untersuchen, um die dem Privileg von ihnen zugemessene Bedeutung zu verstehen.

Weil das Privileg ökonomische Akteure involviert, erscheint es als ein geeignetes Prisma, das die Analyse der Ausbildungsdynamik der Marktwirtschaft und des Kapitalismus ermöglicht. In Anschluss an Fernand Braudel hat die Wirtschaftsgeschichte häufig die Marktwirtschaft (die von der Transparenz und einer intensiven Konkurrenz gekennzeichnet sei) und den Kapitalismus, der durch das Streben nach hegemonialen oder monopolartigen Positionen – unter anderen mit Hilfe von Privilegien – geprägt sei. Nun bedürfen die wirtschaftlichen Handlungsbereiche im Ancien Régime sehr oft einer mit Präzision definierten Rechtsposition, die eben dem Privileg entspringt. Dass das Privileg die rechtliche Grundlage einer gewissen Form von wirtschaftlicher Freiheit (z. B. um die zünftigen Befugnisse zu unterlaufen) darstellt, ist also nur scheinbar ein Widerspruch.

Ein anderer Grund legt nahe, den Gegensatz zwischen Marktwirtschaft und Privileg in Frage zu stellen: Die vormoderne Ökonomie ist durch eine starke Segmentierung gekennzeichnet, die sowohl die Produkte, die Räume als auch die Akteure betrifft (z. B. wenn letzteren der Zugang zu einigen Wirtschaftsbereichen verboten ist). Wegen des Ausbleibens eines einheitlichen Wirtschaftsrechts gilt diese Segmentierung auch für den rechtlichen und institutionellen Unterbau der wirtschaftlichen Tätigkeit: Unsere Hypothese lautet, dass das Privileg dieser Segmentierung Vorschub leistet, aber dass es auch deren Effekte abmildern kann, wenn z.B. Akteure die Erteilung eines Privilegs beantragen, um mit anderen schon privilegierten Akteuren konkurrieren zu können und zu dürfen. Je nach den Einzelfällen (die es aufzulisten gilt) kann also das Privileg das Auftreten der Marktwirtschaft begünstigen oder bremsen.

Diese Hypothesen begründen den ausgewählten chronologischen Rahmen, der sich von der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert – dem Moment der Durchsetzung der staatlichen Obrigkeit im größten Teil Europas – zur 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts – dem Zeitalter der Auflösung des Privilegs zugunsten anderer Rechtspositionen (Konzessionen, Monopole) – erstreckt.

Der geographische Rahmen – Westeuropa und seine koloniale Peripherien – entspricht unserem Anliegen, die räumlichen Konfigurationen der untersuchten ökonomischen Dynamiken (Marktwirtschaft, Kapitalismus) zu erfassen und auf verschiedenen Maßstäben zu differenzieren. Die Einbeziehung einerseits vom Alten Reich oder von der italienischen Halbinsel, andererseits von Frankreich und England ermöglicht die Untersuchung von sehr unterschiedlich zersplitterten Territorialeinheiten.

Programm

30.06.

14:00-18:00
Introduction/ Einführung: Guillaume Garner (Francfort)

Sektion 1: Privilèges et autorités / Privilegien und Obrigkeiten/ Privileges and authorities – Moderation: Barbara Dölemeyer (Frankfurt)

Heinz Mohnhaupt (Frankfurt): Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Privilegienvielfalt im Bereich des Handwerks im Churfürstentum Brandenburg (1734-1736) / Les tentatives d’unification de la diversité des privilèges dans la principauté du Brandebourg (1734-1736) / Attempts to unification of the diversity of privileges in Brandenburg (1734-1736)

Koji Yamamoto (St. Andrews): Without imposition: Seeking privileges in England during the early financial revolution, c. 1690-1710 / Sans imposition: la demande de privilèges en Angleterre aux premier temps de la révolution financière, vers 1690-1710 / Ohne Belastung : Das Erstreben von Privilegien am Anfang der Finanzrevolution in England (ca. 1689-1710)

Patrice Baubeau (Paris) : Une corporation, une loi ou une faculté ? Caisse d’Escompte, Banque de France et privilège d’émission fiduciaire de part et d’autre de la Révolution française/ Eine Korporation, ein Gesetz oder eine Befugnis? « Caisse d’Escompte », « Banque de France » und Monopol der Banknotenausgabe beiderseits der französischen Revolution / A corporation, a law or a faculty ? « Caisse d’Escompte », « Banque de France » and the monopoly of fiduciary issue before and after the French Revolution

Peter Collin (Frankfurt): Privilegien im ökonomischen und rechtlichen Diskurs in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts/ Les privileges dans le discours économique et juridique durant la première moitié du XIXe siècle/ Privileges in the economic and juridical discourse in the first half of the 19th century

Mathieu Marraud (Paris): Bien public et bien particulier : le privilège et les corps marchands à Paris, XVIIe-XVIIIe siècles/ Gemeinnutz und Eigennutz: das Privileg und die kaufmännischen Innungen in Paris, 17.-18. Jahrhundert/ Commun public interest and personal interest: the privilege and the merchant guilds in Paris in the 17th and 18th centuries

01.07.

09:00-13:00
Sektion 2: Les finalités poursuivies par les acteurs/ Das Privileg im Spiegel der von den Akteuren verfolgten Absichten/ The goals followed by the economic actors

Christof Jeggle (Bamberg): Privilegierte Rechtssprechung: Die Gründung des Merkantilmagistrats in Bozen im 17. Jahrhundert/Une jurisprudence privilegiée: la création du “Merkantilmagistrat” à Bolzano au XVIIe siècle/ Privileged jurisprudence : the foundation of the « Merkantilmagistrat » in Bolzano in the 17th century

Aurélien Ruellet (Tours): Privilège d’invention et capitalisme entrepreneurial dans la première moitié du XVIIe siècle en France/ Erfindungsprivileg und unternehmerische Kapitalismus in Frankreich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts/ Patent of invention and entrepreneurial capitalism in the first half of the 17th century in France
Frédéric Moret (Marne-la-Vallée): Les privilèges urbains à la veille de la réforme des corporations municipales anglaises et galloises de 1835 : effets économiques et sociaux des structures juridiques et discours de la réforme/ Städteprivilegien im Vorfeld der Reform der Gemeindekörperschaften 1835 in England und Wales/ City privileges before the reform of the municipal corporations of 1835 in England and Wales : economic and social effects of juridical structures and reform discourse

Anne Conchon (Paris): Les transports en France au XVIIIe siècle : le prix des privilèges/ Verkehrswesen in Frankreich im 18. Jahrhundert : Der Preis der Privilegien/ Transport in France during the 18th century : the price of privileges

Stefan Gorißen (Bielefeld) : Ökonomische Funktionen und Wirkungen merkantilistischer Privilegienpolitik. Eine kostentheoretische Interpretation anhand rheinischer Beispiele (17./18. Jahrhundert)/ Fonctions et effets économiques de la politique mercantiliste d’octroi de privilèges: ue interprétation par la théorie des coûts à partir d’exemples rhénans (XVIIe-XVIIIe siècles)/ Economic functions and effects of the mercantilist politics of privileges: a coast-theoretical interpretation on the basis of case studies about the Rhineland (17th-18th centuries)

14:30-18:30
Sektion 3: Privilèges et concurrence/marché : deux notions antagonistes? / Privileg und Wettbewerb : zwei Gegenbegriffe ? / Privilege and market/competition : two opposite notions ? – Moderation : Moritz Isenmann (Köln)

Jochen Hoock (Paris): Libertés et privilèges dans le discours économique et commercial du 18e siècle/ Freiheiten und Privilegien im ökonomischen und handelwissenschaftlichen Diskurs im 18. Jahrhundert/ Liberties and privileges in the economic and commercial discourse in the 18th century

Andrea Caracausi, Giovanni Favero, Paola Lanaro (Venezia): A Political Economy: Privileges in Early Modern Venice/ Eine politische Ökonomie: Privilegien im frühneuzeitlichen Venedig/ Une économie politique: les privilèges à Venise à l’époque moderne

Robert Brandt (Frankfurt): Handwerkliche Marktwirtschaft und Privileg in Frankfurt am Main im 17./18. Jahrhundert)/ Market economy of craft guilds and privileges in Frankfurt during the 17th and 18th centuries/ Économie de marché artisanale et privilege à Francfort aux XVIIe et XVIIIe siècles

David Plouviez (Nantes) : Privilèges et économie de la guerre : la construction du complexe militaro-industriel français, fin XVIIe-début du XIXe siècle/ Privilegien und Kriegswirtschaft : Der Aufbau des französischen militärisch-industriellen Komplexes vom späten 17. Jahrhundert bis zum frühen 19. Jahrhundert/ Privileges and war economy : the building of the French military industrial complex (late 17th century-early 19th centuy)

02.07.

09:00-13:00
Sektion 4: La dimension transfrontalière de l’économie du privilège/ die Ökonomie des Privilegs grenzenübergreifend betrachtet/ the economy of privilege in a cross-border approach

Vincent Demont (Paris): Territoires juridiques et réseaux économiques : l’espace impérial au prisme de la joaillerie Briers-Heusch-von Cassel (première moitié du XVIIe siècle)/ Rechtliche Territorien und ökonomische Netzwerke : der Reichsraum im Spiegel der Juwelhandlung Briers-Heusch-von Cassel (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts)/ Juridical territories and economic networks : the space of the Empire in the prism of the jewelry of ‘Briers-Heusch-von Cassel’ (1st half of the 17th century)

Thomas Scholz (Greifswald): Vom Handelsprivileg zum Handelsvertrag am Beispiel des europäischen Dreiecks Hanse – Nordeuropa - Niederlande beim Eintritt in die Neuzeit/ Du privilège commercial au traité de commerce: l’exemple du triangle Hanse-Europe du Nord-Provinces-Unies au début de l’ère moderne/ From trade privilege to the trade agreement: the example of the triangle Hansa – northern Europe – Netherlands in the early modern times

Tijl Vanneste (Florence): The Brazilian diamond monopoly in the eighteenth century: an international privilege/ Le monopole du diamant brésilien au XVIIIe siècle: un privilège international/ Das Monopol über den brasilianischen Diamant: ein internationales Privileg

Gérard Le Bouedec (Lorient): Les compagnies françaises des Indes et l'économie du privilège : le monopole, l'Etat, une ville-port-entreprise/ Die französische Indienkompanie und die Ökonomie des Privilegs : das Monopol, der Staat, eine Unternehmenshafenstadt/ The French India companies and the economy of privilege : monopoly, the state, and enterprise-seaport

Julien Villain (Paris): Privilèges douaniers et profits marchands. Le cas de la Lorraine et des Trois-Evêchés, provinces de « l’étranger effectif » (1718-1791)/ Zollprivileg und kaufmännischer Gewinn. Das Fallbeispiel von Lothringen und den Drei Bistümern (1718-1791)/ Custom privileges and merchant profits : the case of Lorraine and the Three Bishoprics (1718-1791)

Kontakt

Guillaume Garner

Institut français d’histoire en Allemagne Senckenberganlage 31 PF 141 60325 Frankfurt am Main
+49 (0)69-798-31-900
+49 (0)69-798-31-910

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