Gründung des Arbeiskreises "Damnatio Memoriae. Deformation und Gegenkonstruktion von Erinnerung in Geschichte, Kunst und Literatur"

Gründung des Arbeiskreises "Damnatio Memoriae. Deformation und Gegenkonstruktion von Erinnerung in Geschichte, Kunst und Literatur"

Veranstalter
Internationaler interdisziplinärer Arbeitskreis „Damnatio memoriae – Deformation und Gegenkonstruktion von Erinnerung in Geschichte, Kunst und Literatur“
Veranstaltungsort
Hauptgebäude Zentrum KOL F 109
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
18.03.2011 -
Von
Gerald Schwedler

Eröffnung des internationalen interdisziplinären Arbeitskreis
„Damnatio memoriae – Deformation und Gegenkonstruktion von Erinnerung in Geschichte, Kunst und Literatur“

’damnatio memoriae’ ist ein von der Forschung zur Antike geprägter terminus technicus, der eine Rechtsfigur bezeichnet, nach der als Strafe die (öffentliche) Erinnerung an eine Person (in der Regel eines römischen Kaisers oder Hochverräters) post mortem ausgelöscht wurde. Verfiel eine hochrangige Person der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens der damnatio memoriae, so durfte nichts mehr an sie erinnern und ihr Name und ihre Bildnisse wurden systematisch aus öffentlichen Inschriften und Bauwerken entfernt.

Der Begriff der damnatio memoriae verweist aber nicht nur auf die materiellen Aspekte der Erinnerungstilgung in der Antike, sondern subsumiert darüber hinaus sehr unterschiedliche spezifische Gesichtspunkte eines wesentlich weiter reichenden und komplexeren Phänomens. Ähnliche, vergleichbare Ausformungen in unterschiedlichsten Epochen und Kontexten zeigen, dass dies nicht auf die Antike und Kaiser/Hochverräter begrenzt gelten kann. Bereits ein oberflächlicher Blick auf die politischen Begebenheiten in der Zeit des Mittelalters, der Neuzeit bis hin zu unserer Gegenwart fördert Vorkommnisse zu Tage, die von Zeitgenossen wie Forschern mit dem Begriff bezeichnet werden. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass sich deren Umstände und Auswirkungen in wesentlichen Elementen von den antiken Vorfällen unterscheiden.

Das Phänomen der gezielten Erinnerungsvernichtung, wie sie vor allem im Kontext markanter historischer Zäsuren oder Machtwechsel immer wieder begegnet, betrifft dabei nicht nur die rein physischen Zerstörungs- und Tilgungsaktionen, sondern vor allem die Versuche, das Wirken und Nachwirken bestimmter Personen oder Gruppen in Geschichtsschreibung, Kunst und Literatur zu deformieren, schlecht zu reden bzw. gänzlich durch Übergehen zu leugnen. Damit wird gleichsam ein mögliches Gegenmodell zur Geschichte des Siegers vernichtet. Dies beschrieb der Schriftsteller George Orwell in seinem futuristischen Roman „1984“ als beklemmende Vision. Ein „Ministery of Truth“ löscht alle Hinweise, Schrift- und Bildzeugnisse auf in Ungnade gefallene Personen. Historische Fakten werden manipuliert und in bereinigter Form neu geschrieben als historische Dokumente archiviert, sodass diese alternativlos eine andere Geschichte entstehen lassen. Doch die Orwellsche Vision hat in der Geschichte der Menschheit nicht wenige Parallelen. Vernichtung und Manipulation von Erinnerung ist keineswegs nur eine literarische Erfindung. Sie zieht sich historisch belegbar wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte und lässt sich in allen Zeitepochen nachweisen. Derartige bewusste Tilgungen lassen sich in den unterschiedlichsten politischen, kulturellen, künstlerischen, literarischen und historiographischen Kontexten feststellen. Dabei kommt eine Bandbreite an Techniken zum Einsatz, die vom konkreten Aushauen und Verstümmeln von Inschriften und Statuen bis hin zur textkritisch schwer nachzuweisenden Überformung überlieferter Texte reicht. Vereinzelt lassen sich regelrechte Kampagnen nachweisen, mit denen Herrscher oder auch befreite Untertanen unliebsame Vorgänger(-dynastien) mit allen Mitteln strategisch auszuradieren suchten. Mit hohem Aufwand wurden Hinweise vernichtet und die künstlichen Leerstellen geschlossen, um selbst die Fragen nach dem Grund für die Leerstellen zu erübrigen. Mittels der re-ecriture, dem selektiven Neu-Schreiben von Texten, bei der sowohl Namen getilgt wie auch Akteure negativ dargestellt werden konnten. So sind auch noch Jahrzehnte, Jahrhunderte nach dem eigentlichen Auftreten in der Geschichte Akte einer „damnatio memoriae“ im kulturell erweiterten Sinne nachweisbar.

Auf der Grundlage der jüngeren Forschungen zum sozialen und kulturellen Gedächtnis zeigt sich eine ungebrochen starke Aufgeschlossenheit der Kultur- und Geisteswissenschaften gegenüber der Erinnerung. Die noch weiter gefassten memory studies behandeln Themen, die von den kognitiven Fähigkeiten des Erinnerns bis hin zum Holocaust-Gedenken gehen. Doch haben hier die Phänomene des Vergessens, Vergessenmachens und insbesondere einer damnatio memoriae gleichsam als Gegenfolie oder Schattenseite der Erinnerungskultur außerhalb der Alten Geschichte bislang nur wenig systematische wissenschaftliche Beachtung gefunden. Angesichts der starken Präsenz der Forschungen zu Erinnerung im gegenwärtigen geisteswissenschaftlichen Forschungsspektrum erscheint es geraten, auch die Gegenfolie der Erinnerung, kurz: die verschiedenen Formen des systematischen Verdrängens, Vergessens und intentionalen Deformierens bestimmter Überlieferungen und Erinnerungen in einem interdisziplinären Kontext zu thematisieren.

In der bisherigen Debatte zeigte sich, dass es hier es noch grundsätzliche Fragen zu klären gilt und ein methodisches-thematisches Koordinatensystem zu entwickeln, in welches sich diese Phänomene eventuell einordnen lassen, die mit dem Begriff der damnatio memoriae noch sehr allgemein und wohl auch nicht immer adäquat umrissen sind.

Der internationale und interdisziplinäre Arbeitskreis „Damnatio memoriae – Deformation und Gegenkonstruktion von Erinnerung in Geschichte, Kunst und Literatur“ widmet sich den aufgeworfenen Fragen. Er ist am Historischen Seminar der Universität Zürich angesiedelt. Hauptziel ist die Vereinigung von Forscherinnen und Forscher unterschiedlichster Disziplinen und Länder und bildet das erste Forum seiner Art zum Austausch über diese Fragestellungen in einem interdisziplinären, epocheübergreifenden und internationalen Diskurs. Zur Vernetzung der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sowohl regelmässige Newsletter wie auch regelmässige Arbeitstreffen geplant. Im Zentrum des Arbeitskreises steht das wissenschaftliche Bemühen, neue Zugänge zum Phänomen der damnatio memoriae in seinen unterschiedlichen kulturellen, politischen, künstlerischen und historischen Ausprägungen zu finden und zu überprüfen. Im Bewusstsein der absichtlichen Überlieferungsdeformation und den bisherigen methodischen Überlegungen ergeben sich für die Arbeiten der Arbeitskreisteilnehmerinnen und -teilnehmer Impulse für die eigene Arbeit und den (vorsichtigen) Zugriff auf das eigene Material. Darüber hinaus sollen die unterschiedlichen Begrifflichkeiten der einzelnen Disziplinen geklärt, verschiedene Zugangsweisen verknüpft, bekannte Methoden weiterentwickelt und an geeignetem Material erprobt werden. Die sich daraus ergebenden Konzepte verstehen sich als Beitrag zur Theoriedebatte der Erinnerungsforschung als „Leitwissenschaft der Kulturwissenschaften“.

Eine Mitgliedschaft ist offen für alle Interessierten der unterschiedlichen historisch orientierten Disziplinen wie beispielsweise der Geschichte, Theologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft u.a.m. Sie erfolgt durch formlosen Antrag beim Vorstand und Aufnahme in das Mitgliedsverzeichnis: info@damnatio-memoriae.net.

Programm

16.15 Uhr
Begrüssung durch den Dekan der Philosophischen Fakultät Prof. Dr. Bernd Roeck

Begrüssung durch Prof. Dr. Sebastian Scholz

16.30 Uhr
Damnatio memoriae - Tilgung, Deformation und Gegenkonstruktion in der Geschichte. Eröffnung des internationalen und interdisziplinären Arbeitskreises (Ltg. Dr. Gerald Schwedler, Zürich)

17.00 Uhr
Der Tiber als Strom des Vergessens – Paradoxien eines römischen Erinnerungsortes
Festvortrag von Kai M. Sprenger (DHI Rom)

Anschl. Apero

Kontakt

Dr. Gerald Schwedler
Universität Zürich
Karl-Schmid Str. 4
8006 Zürich

http://www.hist.uzh.ch/lehre/mittelalter/scholz.html