Lager und Öffentlichkeit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Lager und Öffentlichkeit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Veranstalter
ZMI Gießen, Sektion Medien und Zeitgeschichte, und Netzwerk "Lager nach dem Zweiten Weltkrieg"
Veranstaltungsort
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.09.2011 - 30.09.2011
Deadline
30.04.2011
Von
Sascha Schießl

Mit der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager durch die Alliierten hätte die Institution „Lager“ in einer Weise delegitimiert sein können, die ihre weitere Nutzung hätte ausschließen können. Dem war, wie die Vielzahl von Lagern nach Ende des Zweiten Weltkriegs zeigt, mitnichten so. Vielmehr fand die Existenz von Lagern auf den Fundamenten diverser Vorläuferinstitutionen oder in Neugründungen ihre unmittelbare Fortsetzung.

In der frühen Nachkriegszeit dienten Lager vor allem dazu, Flüchtlinge, Vertriebene, Evakuierte oder Displaced Persons kurzfristig zu betreuen oder mutmaßliche Kriegsverbrecher und NS-Funktionäre zu internieren. Waren die ersten nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Lager kaum mehr als Provisorien, die oft nur kurze Zeit bestanden, entwickelten sich einige von ihnen – vor allem Friedland, Uelzen-Bohldamm, Gießen und ab 1952 Berlin-Marienfelde – in der Bundesrepublik zu komplexen Einrichtungen mit spezifischen Funktionen und Merkmalen.

Die öffentliche Wahrnehmung von Lagern in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunächst von der Berichterstattung der Alliierten über die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager geprägt. Die KZ-Ikonographie wurde jedoch schon früh von den Eindrücken vor allem der sowjetischen Kriegsgefangenenlager überschrieben. Bald wurden Stacheldraht und ausgemergelte Körper zumindest in Westdeutschland weniger mit Opfern deutscher Herrschaft, sondern vor allem mit deutschen Kriegsopfern verbunden.
Auf lokaler Ebene standen die Lager in einem steten Spannungsverhältnis zu der sich neu formierenden Gesellschaft. Auch wenn die kurzfristig in den Lagern Betreuten oder für längere Zeit dort Untergebrachten Hilfsbereitschaft von Einzelpersonen, Verwaltungen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden erfuhren, konnten die Lager Orte sein, in denen sich fortbestehende Vorbehalte und Rassenstereotype gegenüber Fremden manifestierten sowie kulturelle und habituelle Konflikte entzündeten, die mit Verteilungskämpfen der Nachkriegsgesellschaft verbunden waren.

Mit der Verfestigung der innerdeutschen Grenze und schließlich der doppelten Staatsgründung rückten Lager immer mehr in die Rolle von Scharnieren zwischen Ost und West und waren vielfach Symbole für die kommunistische bzw. die kapitalistische Ordnung. In ihnen erwies sich beispielsweise, wie die Bundesrepublik DDR-Flüchtlinge empfing bzw. die DDR mit Rückkehrern umging, wie Kriegsheimkehrer oder Aussiedler aufgenommen wurden und welche erinnerungspolitischen Programme mit ihrer Begrüßung einhergingen. Als Aufnahmeeinrichtungen für nichtdeutsche Flüchtlinge erwiesen Lager auch, wie die Gesellschaft mit diesen Gruppen umging und welche Bilder ihrer jeweiligen Heimatländer vorherrschten.
Die Forschung hat sich bisher vor allem der DP-Camps sowie, vor allem aus lokalgeschichtlicher Perspektive, der Flüchtlingslager angenommen. Mathias Beer und Volker Ackermann haben darüber hinaus wichtige Beiträge zur Funktion der Lager in Hinblick auf die „Integration“ der Ankommenden und die politische Debatten um die Rahmenbedingungen der Aufnahme geleistet. Aufbauend auf diese Forschungen soll im Rahmen des Workshops danach gefragt werden, wie sich das Verhältnis von Lager(n) und Öffentlichkeit in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte.
Welchen gesellschaftlichen und politischen Brüchen waren die Lager nach dem Zweiten Weltkrieg unterworfen? Wie beharrend zeigten sich einmal geschaffene Institutionen, deren Aufgaben und Anforderungen sich vielleicht wandelten, die aber womöglich überkommen geglaubte Denkmuster und institutionelle Abläufe bewahrten? Wie reagierten die Anwohner auf diese Lager? Konnte die Errichtung von Lagern an einzelnen Orten durch ihre öffentliche Thematisierung verhindert werden? Wurde medial über die Einrichtungen berichtet und wurden etwaige Missstände öffentlich verhandelt? Gab es eine von Lagerleitungen organisierte „Öffentlichkeitsarbeit“ oder eine Zusammenarbeit mit den Medien? Wie sehr prägten Wohlfahrtsverbände, Kirchen oder Verbände der Betreuten die Wahrnehmung der Lager und welche erinnerungspolitischen Programme waren mit ihnen verbunden? Außerdem existierten in der SBZ/DDR Lager nach wie vor als Hafteinrichtungen. Wie spiegelte sich deren Existenz in der Wahrnehmung der eingeschränkten Öffentlichkeit?
Diese Desiderate will der Workshop thematisieren, weshalb zu folgenden und verwandten Themen Beiträge gesucht werden:

- Lager und die gesellschaftliche Neuordnung im Nachkriegsdeutschland (1945-1955)
- Notaufnahmelager und die deutsch-deutsche Flüchtlingspolitik
- Lager als Hafteinrichtungen
- Lager als Orte der Vergangenheitsbewältigung und der Vergangenheits- bzw. Erinnerungspolitik
- Gesellschaftliche, politische und/oder mediale Inszenierungen in Lagern
- Lager im öffentlichen Bewusstsein
- Zur deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik (ab 1970)

Wir bitten um Themenvorschläge (max. eine Seite einschließlich kurzer biographischer Angaben) bis zum 30. April 2011 an saschaschiessl@web.de oder jeannettevanlaak@t-online.de.

Programm

Kontakt

Sascha Schießl

Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 5, 37073 Göttingen, 0551-394665

http://wwwuser.gwdg.de/~bweisbr1/projekt_durchgangslager.html
Redaktion
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