Das umstrittene Gedächtnis. Transnationale und innergesellschaftliche Erinnerungskonflikte in Europa nach 1945

Das umstrittene Gedächtnis. Transnationale und innergesellschaftliche Erinnerungskonflikte in Europa nach 1945

Veranstalter
Prof. Dr. Arnd Bauerkämper, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas, Freie Universität Berlin
Veranstaltungsort
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.06.2011 - 18.06.2011
Deadline
31.03.2011
Website
Von
Zimmermann, Robert

Mehr als sechzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges treffen in Europa sehr unterschiedliche Erinnerungen an diese Vergangenheit aufeinander. Neben den Erinnerungen von Opfern und Tätern konkurrieren – oft unbeachtete – Widerstands- und Opfernarrative einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder gar Nationen miteinander. Das Ringen um die Deutungshoheit zwischen der Gedächtnispolitik von Regierungen und unterschiedlichen Gegenerinnerungen prägte sowohl die Konsolidierung der einzelnen Nachkriegsgesellschaften als auch die transnationalen Beziehungen im Kalten Krieg. Der Deutungskampf wurde dabei durch die Weltbilder, Werte, Interessen und das Handeln einzelner Akteure bestimmt. Mit Hilfe aktiver Erinnerungspraktiken, aber auch durch verordnetes Vergessen haben jeweils vorherrschende Akteure oder Minderheiten versucht, die nationale Konsenserzählung maßgeblich zu steuern oder zumindest zu beeinflussen.

Im Gegensatz zu anderen Forschungsvorhaben, die überwiegend von der Vorstellung eines einheitlichen „kollektiven Gedächtnisses“ (Maurice Halbwachs) ausgegangen sind, soll der Workshop die politischen Spannungen, Gegensätze und Konflikte in den Mittelpunkt rücken, die in den Erinnerungskulturen zum Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg innerhalb der europäischen Staaten und Gesellschaften und zwischen ihnen nach 1945 auftraten. Insgesamt liegt der Veranstaltung das Ziel zu Grunde, im grenzüberschreitenden Beziehungs- und Verflechtungsverhältnis exemplarisch die Multiperspektivität von Erinnerungen an gemeinsam geteilte Vergangenheiten zu konturieren und zu erklären.

Dabei soll Norwegen in den transnationalen Bezügen des Landes besonders beachtet werden. Während der „Krieg im Norden“ aus westdeutscher Sicht nach 1945 als verhältnismäßig ruhig und unaufgeregt wahrgenommen worden ist, hat die fünfjährige Besatzung in der norwegischen Erinnerungskultur der Nachkriegszeit den Mythos einer „Nation im Widerstand“ hervorgebracht, der über Jahrzehnte Bestand haben sollte. Die strikte Trennung zwischen „Norwegern“ und den „Anderen“ (den deutschen Besatzern und den norwegischen Kollaborateuren) übernahm eine integrative Funktion innerhalb der Gesellschaft, beeinflusste aber auch die Außenpolitik und transnationalen Beziehungen. Konträre Themen, die diesem Selbstbild schadeten, wurden erfolgreich verschwiegen oder marginalisiert. Es bedurfte einer jüngeren Generation, um den Widerstandsmythos aufzubrechen und zunächst vernachlässigte Probleme und Aspekte wie die wirtschaftliche und politische Kollaboration, den kommunistischen Widerstand, die Judenverfolgung, die Rolle der SS-Freiwilligen und das Leben der Kriegskinder in den Erinnerungsdiskurs aufzunehmen.

Beim Kampf um die Deutungshoheit spielten in Norwegen grenzüberschreitende Auseinandersetzungen mit den Erinnerungskulturen der skandinavischen Nachbarn und der Bundesrepublik eine wichtige Rolle. In erster Linie sollen die Beiträge zu dem Workshop die zentrale Frage beantworteten, welche Dynamiken, Träger und Handlungspraktiken transnationale und innergesellschaftliche Erinnerungskonflikte in Norwegen und anderen europäischen Staaten kennzeichneten.

Dabei ist beabsichtigt, Tendenzen in der transnationalen Analyse historischer Erinnerungskonflikte und ihre Komplexität mit Hilfe vergleichs- und verflechtungs-geschichtlicher Ansätze aufzuzeigen. Neben konkreten historischen Fallstudien sind dazu auch allgemeine theoretische Überlegungen erwünscht. Das norwegische Beispiel dient dabei als Ausgangspunkt für umfassendere Beobachtungen bis zur europäischen Ebene.

Folgende Fragen sollen im Rahmen des Workshops im Bezug auf innergesellschaftliche Erinnerungskonflikte in Norwegen im Vergleich mit anderen europäischen Staaten diskutiert werden:

- Wo und in welchen Konstellationen lösten unterschiedliche Narrative über die nationalsozialistische Herrschaft bzw. dem Zweiten Weltkrieg Erinnerungskonflikte aus?
- Welche Rolle spielten dabei staatliche und gesellschaftliche Akteure mit ihren jeweiligen Interessen und Werten?
- Inwiefern und wie beeinflussen sich offizielle und individuelle Erinnerungen wechselseitig? Welches Verhältnis bestand jeweils zwischen dem kommunikativen und kulturellen Gedächtnis?

Zu den Erinnerungskonflikten zwischen Norwegern und anderen Europäern sind für den Workshop folgende Fragen besonders relevant:
- Welche Unterschiede bildeten sich in den Erinnerungsregimes in den Demokratien und Diktaturen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg heraus?
- Inwieweit haben grenzüberschreitende Erinnerungskonflikte supranationale Integrationsprozesse (EG/ EU, NATO, UN) beeinflusst?
- Welche Ähnlichkeiten und Differenzen der Widerstandsnarrative sind zu identifizieren? Wie können sie jeweils erklärt werden?
- Welche Rolle spielt das Vergessen im Umgang mit den traumatisch wahrgenommenen Erfahrungen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg („negatives Gedächtnis“)?

Themenfelder für mögliche Beiträge:
- Erinnerung vs. Gegenerinnerung – „Widerstand“ vs. „Kollaboration“
- Erinnerungskonflikte im Kalten Krieg
- Offizielle Gedächtnispolitik und Narrative von Kleingruppen
- Erinnerungskonflikte und supranationale Kooperation
- Vergessen im transnationalen Kontext

Der Workshop wird am 17. und 18. Juni 2011 an der Freien Universität Berlin stattfinden. Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.

Vorschläge für Beiträge senden Sie bitte mit Titelangabe und einer kurzen Zusammenfassung (maximal 500 Wörter) gemeinsam mit ihren Kontaktdaten bis spätestens 31. März 2011 an Robert Zimmermann, M.A. (E-Mail: robert.zimmermann@fu-berlin.de).

Der Workshop wird vom Stipendienfonds E.ON Ruhrgas im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gefördert.

Programm

Kontakt

Robert Zimmermann
Goßlerstraße 2-4, 14195 Berlin
robert.zimmermann@fu-berlin.de


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