„Das Geschlecht der Diplomatie“ – Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart / „The gender of diplomacy“ – Gender roles in foreign relations from the Late Middle Ages to the Present

„Das Geschlecht der Diplomatie“ – Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart / „The gender of diplomacy“ – Gender roles in foreign relations from the Late Middle Ages to the Present

Veranstalter
Abteilung für Neuere Geschichte, Historisches Institut der Universität Bern
Veranstaltungsort
Historisches Institut
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
01.12.2011 - 03.12.2011
Deadline
20.02.2011
Website
Von
Corina Bastian, Bern; Eva Dade, Paris; Hillard von Thiessen, Köln; Christian Windler, Bern

[English version below]

Was Frauen von Männern bei Verhandlungen unterscheide, wurde der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Januar 2009 gefragt, als er nach Condoleezza Rice mit Hillary Clinton erneut eine weibliche Kollegin im amerikanischen Außenministerium bekam. Die Frage des Journalisten provoziert eine Gegenfrage: Warum soll das Geschlecht bei der Amtsausübung einen signifikanten Unterschied machen?

Beispiele aus allen historischen Epochen zeigen, dass Frauen in Außenbeziehungen als Ausnahmen gesehen oder als solche inszeniert wurden. Diplomatische Tätigkeit war und ist mit Rollenvorstellungen verbunden, die stark durch die Konstruktionen von „männlich“ und „weiblich“ der jeweiligen Epoche und Kultur geprägt sind.

In der Frühen Neuzeit wurde die Ausgrenzung von Frauen aus dem Bereich des Politischen mit deren angeblicher geistiger Inferiorität begründet und die Geschlechterhierarchie mit der natürlichen, gottgegebenen Ordnung gleichgesetzt. Bei adeligen Frauen glich der privilegierte Stand die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts teilweise aus – informelle Machtteilhabe war eine Alternative zur Amtsinhabe. Unter den soziopolitischen Bedingungen personaler Herrschaft, die im Ancien Régime Monarchien wie Republiken prägten, bestanden Außenbeziehungen zudem weniger zwischen abstrakten Staatsgebilden, sondern lassen sich zutreffender als Netzwerke konkreter Personen verstehen. Diese bestanden aus Männern und Frauen. Die historische Geschlechterforschung hat darüber hinaus gezeigt, dass weibliche Akteure vor dem Prozess der funktionalen Differenzierung im 18. und 19. Jahrhundert im höfischen Umfeld Einfluss auf viele Bereiche der Politik ausübten. Mit dem so genannten „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas) wird eine sich zu dieser Zeit ausbildende schärfere Trennung der Sphären des Öffentlichen und des Privaten sowie ihre Zuordnung zu den Geschlechtern beschrieben. Außenbeziehungen wurden von nun an stärker als jeder andere Politikbereich männlich konnotiert, was sich insbesondere im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung von Diplomatie als einem spezifischen, zunehmend auch professionalisierten Tätigkeitsfeld zeigt. In der darauf aufbauenden Tradition der Diplomatiegeschichtsschreibung wurde diese Sichtweise verfestigt. In der Folge wurden die Akteure der politischen Außenbeziehungen vornehmlich im formalen Bereich gesucht und in diesem Bereich aktive Frauen zu Ausnahmen stilisiert. Ein erstes Ziel der Tagung ist es daher, sporadisch aufgearbeitete Fallbeispiele zusammenzutragen und gemeinsame Fragestellungen zu entwickeln.

Mit dem Prozess der Globalisierung ist zu beobachten, dass internationale Beziehungen wiederum stärker durch personale Netzwerke und nicht-staatliche Organisationen gestaltet werden. Eine Sichtweise, die die Kategorie „Geschlecht“ in ihrer Analyse berücksichtigt, nimmt ebenso wie der transnationale Ansatz Abstand von der vorrangigen Betrachtung des „Inter-Nationalen” und betont die Beziehungen und Verhältnisse, die internationale Politik konstituieren: Internationale Politik wird als Mehrebenenpolitik vielfältiger Akteure und Netzwerke verstanden. Zugleich haben Männer und Frauen heute zumindest formal den gleichen Zugang zu außenpolitischen Ämtern.

Doch nach wie vor scheint das weibliche Geschlecht als Ausnahme gehandelt zu werden, wie die oben erwähnte Interviewfrage exemplarisch zeigt. Herr Steinmeier antwortete damals, dass Außenministerinnen die Interessen ihrer Länder genauso hart verträten wie ihre männlichen Kollegen. Der Vergleich des Ministers zeigt, dass auch hier unterschwellig geschlechterspezifische Grenzen existieren, die sich auf der sprachlichen Ebene zeigen. Es stellt sich daher die Frage, welche Rolle das Geschlecht und die damit verbundenen Eigenschaften in der Darstellung von diplomatischen Akteuren und Akteurinnen spielt. Diese geschlechterspezifischen Stereotypen weisen über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg Konstanten auf. Grenzüberschreitungen zeigen sich in den Diskursen. Wenn Frauen zu Ausnahmen stilisiert werden, geschieht dies, weil sie geschlechterspezifische Grenzen überschreiten. Das Ergebnis ist, dass die Eignung von Frauen für das diplomatische Geschäft meist entweder trotz ihres Geschlechts - wie im obigen Beispiel - oder gerade aufgrund ihres Geschlechts hervorgehoben wird. Dies ist bei Männern zumindest explizit nicht der Fall. Solche geschlechterspezifischen Rollenzuschreibungen und Diskurse wurden und werden bewusst instrumentalisiert: in Fremddarstellungen, um unliebsame Akteure zu diskreditieren oder in Selbstdarstellungen, beispielsweise um sich der Verantwortung zu entziehen. Inwiefern das Geschlecht der Akteure ihren Handlungsspielraum begrenzte oder erweiterte, soll eine zweite Fragestellung der Konferenz sein.

Zielführender als die Dichotomie männlich/weiblich immer wieder zu bekräftigen, ist es zu fragen, in welchen Kontexten welche Kategorien relevant waren und wie sich Geschlecht jeweils zu anderen Identitäts- und Differenzkategorien verhält. Dies hat die jüngere Forschung – beispielsweise das durch den Schweizerischen Nationalfonds finanzierte und oben erwähnte Forschungsprojekt über außenpolitische Akteurinnen im 18. Jahrhundert - in jüngster Zeit immer wieder hervorgehoben. Konzepte des „idealen Diplomaten“ sind bis heute von Kategorien wie sozialem Stand bzw. Schichtzugehörigkeit, Alter und Erfahrung oder Bildung bestimmt. Welche Bedeutung die Kategorie „Geschlecht“ für die normativen Vorstellungen außenpolitischer Akteure hatte und hat, soll einen dritten Fokus der Konferenz darstellen.

Die Konferenz möchte nach Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen in der longue durée fragen und dazu die historische Forschung mit Ansätzen und Ergebnissen aus Nachbardisziplinen wie der Politikwissenschaft, der politischen Soziologie oder den Gender Studies zusammen bringen. Ziel ist es, ein historiographisch noch kaum bearbeitetes Forschungsfeld abzustecken und eine Geschlechtergeschichte der Diplomatie anzustoßen. Die skizzierten Überlegungen zeigen, dass ein solcher interdisziplinärer Ansatz gewinnbringend ist: Ganz konkret kann auf diese Weise zunächst ein Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln und methodischen Zugängen beleuchtet, und im Anschluss eine gemeinsame These aufgestellt werden. Darüber hinaus ist die Integration verschiedener Disziplinen ohnehin bereits eine logische Folge der immer stärkeren methodischen Vernetzung in den Geisteswissenschaften.

Die Idee für diese Konferenz ist aus dem weitgehend abgeschlossenen Forschungsprojekt „Weibliche Diplomatie? Frauen als außenpolitische Akteurinnen (18. Jahrhundert)“ hervorgegangen, das an der Universität Bern durch den Schweizerischen Nationalfonds finanziert wurde. Die Tagung wird in ihrer Fragestellung und ihren Zielen auf den Ergebnissen dieses Forschungsprojektes aufbauen und zugleich die Diskussion über die Epoche der Frühen Neuzeit und die geschichtswissenschaftliche Disziplin hinaus öffnen.

Leitfragen:
- Was wird zu welchen Zeiten im Kontext von Außenbeziehungen als „weiblich“ und „männlich“ empfunden? Welche Rollenvorstellungen für den Diplomat und die Diplomatin existieren?
- Wie inszenieren sich männliche und weibliche Akteure in Verhandlungssituationen?
- Wie werden geschlechterspezifische Erwartungen, Zuschreibungen, Vorurteile in diesem Bereich genutzt oder diskursiv instrumentalisiert?
- Wo werden sie bedient, sind Teil oder gar Voraussetzung einer Verhandlung?
- Wo werden geschlechterspezifische Grenzen überschritten, und wie wird dies sprachlich markiert?
- Welche Bedeutung hat die Kategorie „Geschlecht“, welche anderen Differenzkategorien spielen eine Rolle?
- Wo lassen sich Interferenzen von Kategorien beobachten?

OrganisatorInnen:
Corina Bastian, M.A. (Bern), Dr. Eva Dade (Paris), PD Dr. Hillard von Thiessen (Köln), Prof. Dr. Christian Windler (Bern)

Tagungssprachen: Deutsch, Französisch und Englisch.

Bitte senden Sie eine Zusammenfassung Ihres Referatsvorschlages mit kurzen Angaben zu Person und wissenschaftlichem Werdegang (max. 2 Seiten) bis zum 20. Februar 2011 an corina.bastian@hist.unibe.ch.

Weitere Informationen: corina.bastian@hist.unibe.ch.

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“What distinguishes women from men during negotiations?” the German Foreign Minister Frank-Walter Steinmeier was asked when, in January 2009, Hillary Clinton succeeded Condoleezza Rice in the U.S. State Department, and he thus had to cope with another female colleague. The journalist’s question immediately provokes a riposte: Why should gender significantly influence the exercise of an office?

Examples from all epochs show that women in foreign relations have been considered as exceptional cases or have been represented as such. Diplomatic activity has been, and still is, associated to roles strongly shaped by the constructions of the “male” and the “female” in the contexts of the epochs and cultures concerned.

In the Early Modern Period, the exclusion of women from the political sphere was justified by their alleged intellectual inferiority and the hierarchy of sexes which the (male) contemporaries equated with a natural, God-given order. Among noble women, however, their privileged rank partially compensated for discrimination – exercising power informally was an alternative to holding an office. Moreover, in the context of the socio-political conditions of personal rule shaping both monarchies and republics in the period of the Ancien Régime, external relations were to a lesser extent relations between abstract state entities; rather are they more appropriately conceived as networks of concrete individuals. These networks consisted of men and women. Historical gender research has furthermore demonstrated that before the functional differentiation in the 18th and 19th centuries, female actors in the environment of court relations influenced various aspects of politics. However, with the so-called “structural transformation of the public sphere” (Jürgen Habermas) during these centuries, a sharper separation between the public and private spheres took place, and these spheres became more clearly defined as related to the sexes. In this panorama, foreign relations more than any other political field are attributed to male individuals. This becomes particularly evident in the context of the differentiation of diplomacy as a specific and increasingly professional practice. Based on this view, the traditional strand of diplomatic history consolidated the respective point of view. Whereas the actors of political foreign relations have, thereupon, principally been sought in the formal sphere, actively participating women have been stylized as exceptions. A first aim of the conference is, therefore, to bring together the isolated case studies and to develop common questions.

Through the effects of globalization, international relations are in the process of becoming once again heavily shaped by personal networks and non-governmental organisations. A perspective on international relations accounting for the category of “gender” distances itself, as well as the transnational approach, from a preferential analysis of the “inter-national”, and emphasizes relations which constitute international politics. This approach conceives international politics as multi-level politics shaped by diverse actors and networks. At the same time, in current diplomatic practice, men and women dispose of the same access to offices in foreign relations – at least formally.

However, as the above-mentioned interview suggests, the female presence in diplomatic functions is still treated as an exception. Franz-Walter Steinmeier answered that female Foreign Ministers represented the interest of their countries’ as vigorously as their male colleagues. This comparison indicates that we still need to transcend boundaries that continue to shape the discourse. Therefore, we will need to face the following question: Which role do gender and the characteristics associated with gender play in the representation of male and female diplomatic actors? In different time periods and in diverse geographic regions, these gender-specific stereotypes possess constant features. The discourses allude, however, to the crossing of the boundaries set by the stereotypes. Particular women are commented on as exceptions because these women cross gender-specific boundaries. Thus, the aptitude of women in the diplomatic field is emphasised as existent in spite of their sex – as in the case discussed above – or well because of their sex. For men, this is, at least explicitly, not the case. Gender-specific role labels and discourses were and are deliberately exploited, e.g. through negative characterisations that serve to discredit disagreeable actors, and by in self-representations to evade being held responsible. Thus, a second question of this conference asks for the extent to which the sex of the actors limited or extended their room for manoeuvre.

Instead of simply affirming the dichotomy male/female, it seems more purposeful to ask in which contexts particular categories were relevant and how gender was related to other categories of identity and difference. Recent research – as for example the above-mentioned project “Female Diplomacy?” – has repeatedly emphasized this fact. To the present day, categories such as social rank or class, age, experience or education determine concepts of the “ideal diplomat”. A third focus of the conference will consequently analyse the significance of the category “gender” for normative conceptions of the diplomatic actor.

The conference will undertake to examine gender roles in foreign relations in a long-term perspective. For that particular purpose, historical research is contrasted and combined with approaches and results of neighbouring disciplines such as political science, political sociology or gender studies. Our goal will be to define a field of research that, hitherto, has barely been investigated in contemporary historiography. We thereby attempt to encourage a gendered history of diplomacy. Our considerations discussed above show the advantages of the suggested interdisciplinary approach: in this way, we will manage to tackle the issue from various perspectives and methodological approaches and formulate hypotheses that integrate the distinct points of view. Moreover, the contribution of different disciplines seems to be a corollary of the increasing tendency to combine methodological approaches in the humanities.

The idea for this conference resulted from the research project “Female Diplomacy? Women as actors in foreign relations (18th century)”, located at the University of Berne, which has been funded by the Swiss National Science Foundation and is now near to completion. While the questions and objectives of the conference originate at the results of this research project, we will extend the debate beyond both the Early Modern Period and the field of history.

Central questions:
- Which is, in different time periods, the perception of “female” and “male” attributes in the context of foreign relations? Which are the existing conceptions for the role of male and female diplomats?
- How do male and female actors represent themselves in negotiations?
- In which manners are gender-specific expectations, stereotypes or prejudices used or discursively exploited in this field?
- At which occasions are these activated and where are they part or even precondition of a negotiation?
- Where are gender-specific boundaries transcended, and how is this marked?
- Which significance is taken by the category “gender” and which other categories of difference are relevant?
- At which moments can interferences of these categories be observed?

Organizers:
Corina Bastian, M.A. (Berne), Dr. Eva Dade (Paris), PD Dr. Hillard von Thiessen (Cologne), Prof. Christian Windler (Berne)

Papers may be submitted in German, English and French.

Please send your proposal (max. 2 pages, including contact details and institutional affiliation) by 20 February 2011 to corina.bastian@hist.unibe.ch.

For contact and further information: corina.bastian@hist.unibe.ch.

Programm

Kontakt

Corina Bastian, M.A.
Historisches Institut der Universität Bern, Unitobler, Länggassstrasse 49, CH-Bern 9
corina.bastian@hist.unibe.ch