„Deutschland AG“? Unternehmen, Verbände und Politik in der Bundesrepublik

„Deutschland AG“? Unternehmen, Verbände und Politik in der Bundesrepublik

Veranstalter
Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Veranstaltungsort
Zentrum für Zeithistorische Forschung
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2011 - 12.11.2011
Deadline
30.03.2011
Website
Von
Ralf Ahrens

Der Begriff „Deutschland AG“ bezeichnet ein vermeintlich „typisch deutsches“ Modell der Unternehmenskontrolle und mittelbar der informellen Wirtschaftslenkung. Paradoxerweise wird er erst verwendet, seit Ökonomen und Sozialwissenschaftler in den 1990er Jahren die Erosion dieses Modells konstatierten. Er beschreibt primär die finanziellen und personellen Verflechtungen zwischen Großbanken, Versicherungen, Industrie- und Handelsunternehmen, die sich seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland herausgebildet haben, institutionell beispielsweise über das Aktienrecht abgesichert wurden und politisch gewünscht waren.

Vor allem im Zuge der Kapitalmarktliberalisierung wurde diese Struktur seit den 1990er Jahren als unzeitgemäßes Wachstumshemmnis wahrgenommen. Der Gesetzgeber erleichterte den Verkauf von Unternehmensanteilen, Großbanken und Versicherungen trennten sich von gegenseitigen und industriellen Beteiligungen, „feindliche Übernahmen“ wurden erleichtert. Die globale Finanzkrise seit 2007 veränderte jedoch erneut den Blick auf die „Deutschland AG“: Mitunter wird sie nun als ein Hort der Stabilität gesehen und als institutionelles Arrangement, das Strukturwandel und Unternehmenskrisen sanfter zu bewältigen erlaubte als im angloamerikanischen Shareholder-Value-Kapitalismus. Auch einige gegenwärtige Maßnahmen der Krisenbewältigung, beispielsweise die staatlich geförderte Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank, muten fast wie eine Reminiszenz an die Steuerungskompromisse vergangener Jahrzehnte an. Es gibt also gute Gründe für eine historisierende Betrachtung, die über Verflechtungen und Corporate Governance von Großunternehmen hinausgeht. Dabei geraten eine Vielzahl von korrespondierenden Akteuren (Unternehmen, Manager, Aufsichtsräte, politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände usw.), Beziehungsebenen und institutionellen Arrangements in den Blick, deren Interaktion den Handlungsrahmen auch für mittlere und kleinere Unternehmen wesentlich mitbestimmte.

Die interdependenten Funktionsmechanismen der „Deutschland AG“ im weiteren Sinne, ihr historischer Wandel und ihre Reichweite sind Gegenstand einer gemeinsamen Tagung des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU) und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) im November 2011. Im Zentrum des Interesses steht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beiträge, die aus strukturellen Gründen zeitlich früher ansetzen, sind jedoch ebenso erwünscht wie international vergleichende Perspektiven. Von besonderem Interesse sind der Blick „von außen“ auf die Bundesrepublik und die Frage nach strukturellen Äquivalenten in anderen europäischen Staaten. Nicht zuletzt sollen neben unternehmenshistorischen Zugängen auch Ansätze aus angrenzenden Disziplinen wie der Zeit- oder Rechtsgeschichte, den Wirtschafts-, Sozial- oder Politikwissenschaften diskutiert werden. Dabei sollen vier Untersuchungsfelder die Tagung strukturieren:

1.) Akteure (z.B. Industrieunternehmen, Banken, Versicherungen, Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Verflechtungen/Netzwerke, einzelne Personen);

2.) Diskurse (z.B. Corporate Governance, Systemwettbewerb, Mitbestimmung, Betriebsverfassung, Wirtschaftsgesetzgebung, Kapitalismuskritik („Wem gehört Deutschland?“), Strukturwandel, Verantwortung von Unternehmen);

3.) Prozesse (z.B. Wissenstransfer, Karrieren, Gleichberechtigung, Europäisierung, Globalisierung, Effekte exogener Faktoren wie der Währungs- und Ölpreiskrisen oder der Wiedervereinigung);

4.) Dimensionen (z.B. Größe und volkswirtschaftliche Bedeutung der „zugehörigen“ Unternehmen, sektorale Verteilung, Innovationsfähigkeit, wirtschaftspolitische Prägekraft).

Vorschläge für Vorträge (im Umfang von maximal zwei Seiten) senden Sie bitte mit Angaben zu Person und wissenschaftlichem Werdegang bis zum 30. März 2011 an:

Dr. Boris Gehlen, b.gehlen@uni-bonn.de

Die Vorträge können in deutscher oder englischer Sprache gehalten werden. Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist geplant.

Programm

Kontakt

Dr. Ralf Ahrens (ZZF): ahrens@zzf-pdm.de
Dr. Boris Gehlen (AKKU): b.gehlen@uni-bonn.de
Dr. Alfred Reckendrees (AKKU; Copenhagen Business School): are.lpf@cbs.dk


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