Sammeln, Ordnen und Sortieren – Medizinische Sammlungsprojekte als epistemische Objekte

Sammeln, Ordnen und Sortieren – Medizinische Sammlungsprojekte als epistemische Objekte

Veranstalter
Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung Kiel
Veranstaltungsort
Brunswiker Str. 2, 24105 Kiel
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.02.2011 -
Deadline
15.11.2010
Von
Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung Kiel

Wissenschaftliche, im Besonderen medizinische Sammlungen stellen einen reichhaltigen Fundus für wissenschaftshistorische Fragestellungen bereit. Zahlreiche Monographien der letzten Jahre zeigen, dass eine angewandte Sammlungsforschung ein fruchtbarer Anknüpfungspunkt für in die Tiefe führende Untersuchungen sein kann. Es fällt aber auf, dass fast ausschließlich das 18. und 19. Jh. in den Blick genommen wird, jene Zeit, in der die Praxis des wissenschaftlichen Sammelns geradezu konstitutiv für die sich etablierenden Einzelwissenschaften war und das Sammeln, zumindest in Teilen, identisch mit wissenschaftlicher Arbeit. In der Folge entstanden eine große Zahl Lehr- und Forschungssammlungen an allen Universitäten. Vielfacher kriegsbedingter Vernichtung folgte eine Welle von Sammlungsauflösungen in den 60er und 70er Jahren. Viele der verbliebenen Sammlungen wurden jahrzehntelang vernachlässigt oder ganz und gar vergessen.

Seit einigen Jahren rücken diese Objektbestände wieder in den Fokus des Interesses, von einer „Wiederentdeckung“ ist die Rede. Es zeigt sich, dass sich für eine am Objekt ansetzende Erforschung Wissen generierender Prozesse Aspekte ergeben, die über Theorie und Geschichte einer Sammlung weit hinausgehen und zu weitergehenden epistemischen Problem- und Fragestellungen hinführen. Sammlungsbestände des 20 Jh. werden dabei jedoch ungleich weniger behandelt.

Das Sammeln, Ordnen und Sortieren ist jedoch keineswegs verschwunden, auch wenn das neu erwachte Interesse an Sammlungen bislang vor allem den musealisierten Beständen galt und jüngere Sammlungsprojekte weniger intensiv untersucht worden sind. Das Human Genome Project war ein Sammlungsprojekt, das inzwischen zum Human Diversity Project gesteigert wurde. Das 2008 gestartete "International Cancer Genom Project" (ICGC), bei dem jeweils 500 Genome von allen bekannten Tumorarten sequenziert werden sollen, wird als größtes Sammlungsprojekt der Geschichte bezeichnet – jedenfalls produziert es Datenmengen in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Diese Beispiele legen die Vermutung nahe, dass sich von der Vormoderne zur Gegenwart vor allem die sinnlich-kognitiven Qualitäten des Sammelns veränderten. Die ästhetisch reizvolle, beruhigende Ordnung der Dinge in den Kunstkammern und Kabinetten weicht schwer zugänglichen Abstraktionen in Statistiken, Kurven, Diagrammen, Spektogrammen und Punktwolken.

In den medizinischen Wissenschaften wandert der Blick von den Makrostrukturen zu den Mikrostrukturen und schließlich zu reinen Datenmassen (StackMicroscope, Karyotypanalyse), die sinnlich nur noch mittelbar erfahrbar sind. Das Sammeln, Ordnen und Sortieren als Prozess der Handhabbarmachung der Mannigfaltigkeit der Phänomene hat grundsätzlich dieselbe kognitive Funktion, aber dieser Prozess ist mehr und mehr ein mathematischer.

Der Workshop findet im Rahmen eines Forschungsprojekts über die historischen Hintergründe der sog. „Kiel-Klassifikation maligner Lymphome“ statt. Diese Klassifikation der tumorbildenden Krankheiten der lymphatischen Zellen wurde 1974 vom Kieler Pathologen Karl Lennert und seinen Mitarbeitern entwickelt. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei das persönliche Archiv Lennerts, eine Sammlung von ca. 10.000 dokumentierten Krankheitsfällen nebst mikroskopischen Präparaten, die Karl Lennert über Jahrzehnte zusammentrug und die eine wesentliche Arbeitsgrundlage für das Kieler Team bildeten. An dem interdisziplinären Projekt sind die Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Universität Kiel, das Institut für Pathologie des Universitätsklinikum Kiel und das Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung (IMGWF) der Universität Lübeck beteiligt.

Der eintägige Workshop richtet sich an Kulturwissenschaftler, Historiker, Volkskundler, Medizinhistoriker und andere, die in den Bereichen Sammlungsforschung, materielle Wissenskultur möglichst zu medizinischen Themen bzw. zur Sammlungs- und Archivierungsgeschichte im 20. Jh. arbeiten.

Der Workshop findet am 19. Februar 2011 in Kiel in den Räumen der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Universität Kiel statt. Den Teilnehmern kann im begründeten Einzelfall eine Erstattung der Reisekosten gewährt werden.

Interessierte, die sich an dem Workshop mit einem Beitrag beteiligen möchten, senden bitte ein Abstract ihres Vortrags (maximal eine Seite) und ein kurzes CV bis 15.11.2010.

Programm

Kontakt

Ulrich Mechler

Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung
Brunswiker Str. 2, 24105 Kiel
0431-8805719
0431-8805727
mechler@med-hist.uni-kiel.de

www.med-hist.uni-kiel.de
Redaktion
Veröffentlicht am
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung