Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos

Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos

Veranstalter
Deutsches Historisches Institut Warschau; in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Historischen Institut
Veranstaltungsort
DHI Warschau, Al. Ujazdowskie 39; 00-540 Warszawa
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
03.12.2010 - 04.12.2010
Von
Deutsches Historisches Institut Warschau

Der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik fielen im Zweiten Weltkrieg sechs Millionen Juden zum Opfer, die in einem systematischen Genozid vernichtet wurden. Bevor jedoch die Massenmorde begannen, wurden die europäischen Juden in insgesamt über 1100 Ghettos in Osteuropa eingesperrt, um sie von der Außenwelt abzuschneiden und ihre Kontrolle zu erleichtern. Diese Ghettos sollten sich selbst versorgen und den deutschen Besatzern möglichst keine Kosten und Mühen verursachen, sondern ganz im Gegenteil kostendeckend wirtschaften. Wie die neueste Forschung gezeigt hat, ist von einer flächendeckenden Entlohnung der Ghettoarbeiter und -arbeiterinnen in Form von Bargeld oder Lebensmitteln auszugehen.

Zwar war dieses Entgelt weder angemessen noch ausreichend, aber es half doch zu überleben. Die historischen Erkenntnisse im Rahmen der Wiedergutmachung in Folge des „Ghettorentengesetzes“ ZRBG zeigen auch, dass die meisten Arbeiten zwar unter allgemeinen Zwangsumständen ausgeübt, aber eben doch aus eigenem Entschluss angetreten wurden. Das Bild einer monolithischen Terrorherrschaft erfährt so Differenzierungen, denn trotz allem blieben individuelle Spielräume des Ghettolebens bestehen. Die bisherige Begriffsbildung der Historiker, die mehr oder weniger alle Arbeitsformen als Zwangsarbeit apostrophiert hat, muss dementsprechend nuanciert werden; Zwang beschreibt als Begriff zwar die allgemeinen Umstände in den Ghettos, stellt aber kaum eine trennscharfe, erklärende Kategorie dar.

Die gemeinsam vom Deutschen Historischen Institut und dem Żydowski Instytut Historyczny veranstaltete Konferenz will die Ergebnisse aus der Beschäftigung mit „Ghettorenten“ in einem
interdisziplinären Ansatz bündeln und in den wissenschaftlichen Diskurs einordnen. Sie geht davon aus, dass es eben nicht „das“ Ghetto gab, sondern viele unterschiedliche. Mit der Tagung sollen die Bedingungen der Ghettoarbeit und -wirtschaft näher in den Blick genommen und der immer noch geringe Forschungsstand zu den Ghettos vergrößert werden. Untersucht
werden etwa
- das Verhältnis von wirtschaftlichem Kalkül und Vernichtungsideologie,
- der Beitrag der Ghettos zur Besatzungs- bzw. Rüstungsökonomie,
- die verschiedenen Absichten der lokalen Machthaber und Institutionen in Bezug auf „ihre“ Juden,
- Fragen nach der Arbeitsmotivation, den verschiedenen Arbeitsformen und deren Organisation (aus der Opferperspektive),
- die Bedeutung „freiwilliger“ Aspekte für die Lebenskonstruktionen bzw. Verfolgungsnarrative der Überlebenden, aber auch für die Rechtfertigung der Besatzer,
- kollektive wie individuelle Überlebensstrategien angesichts von Ausplünderung und Unterversorgung.

Programm

Freitag, 3. Dezember (Beginn 9 Uhr)

Begrüßung
Prof. Dr. Eduard Mühle (DHI); Dr. Eleonora Bergman (ŻIH)
Sektion I: Vorüberlegungen und Bedingungen (9:30-11 Uhr)
1. Einführung
Dr. Jürgen Hensel, ŻIH Warszawa; Dr. Stephan Lehnstaedt, DHI Warschau
2. Rekrutierung und Beschäftigung jüdischer Arbeitskräfte im besetzten Polen und Litauen während des Ersten Weltkrieges
Dr. des. Christian Westerhoff, Landesbibliothek Berlin
3. HSSPF Krüger und die jüdische Arbeit im GG 1940 - ein Kompetenzstreit
Dr. Jacek A. Młynarczyk, Muzeum Historii Polski

Sektion II: Ghettoarbeit im nördlichen Osteuropa (11:15-13:30 Uhr)
Moderation: PD Dr. Ruth Leiserowitz, DHI Warschau
1. Jüdische Arbeiterselbstorganisation am Beispiel von Krakau und Warschau
Imke Hansen M.A., Universität Hamburg
2. Max Bischof und die Transferstelle Warschau
Giles Bennett M.A., Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
3. Theresienstadt: Musterghetto und Musterarbeit?
Dr. Peter Klein, Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur
4. Besatzungsziele in der Sowjetunion und jüdische Arbeit in Litauen
Dr. Joachim Tauber, Nordost-Institut Lüneburg

Sektion III: Ghettoarbeit im südlichen Osteuropa (15-17:30 Uhr)
Moderation: Dr. Andrea Löw, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
1. Die ukrainischen Juden unter Zivil- und Militärverwaltung
Prof. Dr. Frank Golczewski, Universität Hamburg
2. Nicht länger der vergessene Friedhof? - Überlegungen zur Ghettoarbeit und Arbeitseinsatzsteuerungsmaßnahmen in Transnistrien
Dr. Andrej Angrick, Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur
3. Wenig Zeit zur Arbeit? Die ungarischen Ghettos 1944
Mag. Regina Fritz, Universität Wien

Samstag, 4. Dezember (Beginn 9 Uhr)

Sektion IV: Orte jüdischer Arbeit (9:15-12 Uhr)
Moderation: Dr. Katrin Stoll, DHI Warschau
1. Deutsche Firmen in den Ghettos
Dr. Jürgen Hensel, ŻIH Warszawa
2. Wehrmacht und „Arbeitsjuden“
Dr. Jochen Böhler, DHI Warschau
3. Jüdische Zwangsarbeitslager. Arbeit außerhalb der Ghettos 1940-1942
Dr. Marta Janczewska, Centrum Badań nad Zagładą Żydów, IFiS-PAN Warszawa
4. Ghettos als Arbeitslager 1942/43
Dr. Alina Skibińska, Warszawa

Sektion V: Makroökonomische Aspekte jüdischer Arbeit (13:30-15 Uhr)
Moderation: Dr. Martin Dean, US Holocaust Memorial Museum, Washington [angefragt]
1. Wie überlebt ein Ghetto? Arbeit, Geld und Lebensmittel
Dr. Witold Mędikowski, Hebrew University, Jerusalem
2. Der Beitrag der Ghettoarbeit für die NS-Wirtschaft
Dr. Ingo Loose, Humboldt-Universität Berlin
3. Verwaltung und SS. Konträre Interessen in der Judenpolitik?
Dr. Stephan Lehnstaedt, DHI Warschau

Sektion VI: Nachgeschichte und Ergebnisse (15:15-17:30 Uhr)
1. Ghettorenten und historische Wissenschaft – interdisziplinäre Perspektiven
Dr. Jan-Robert von Renesse, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen; Dr. Jürgen Zarusky,
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
2. Zusammenfassung und Abschlussdiskussion
Dr. Jürgen Hensel, ŻIH Warszawa; Stephan Lehnstaedt, DHI Warschau

Konzeption: Dr. Stephan Lehnstaedt (lehnstaedt@dhi.waw.pl) und Dr. Jürgen Hensel
(jhensel@jhi.pl).

Kontakt

Stephan Lehnstaedt

DHI Warschau, Al. Ujazdowskie 39; 00-540 Warszawa; Polen

+48 22 5258316
+48 22 5258337
lehnstaedt@dhi.waw.pl

www.dhi.waw.pl
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