Die Tagung befasst sich mit dem Phänomen „Mediävalismus“, mithin also der Frage, was mit "dem Mittelalter" nach dessen Ende – und in unserem Fall enger gefasst: in unserer eigenen Gegenwart – geschieht.
Seit rund drei Jahrzehnten wird in Deutschland die „Aktualität des Mittelalters“ (Thomas Nipperdey) als virulentes Problem für die Konstitution der Moderne wahrgenommen und verhandelt. Dabei spielt sich die Diskussion im deutschen Sprachraum nur innerhalb einer verhältnismäßig kleinen Gruppe ab und ist von vorwiegend geschichtsphilosophischen bzw. -theoretischen Fragen, beispielsweise nach der konstitutiven Alterität des Mittelalters (als „nächstes Fremdes“) für die Identität der Moderne, geprägt. Zu Recht hat Ludolf Kuchenbuch noch vor wenigen Jahren in seinem Beitrag zum „Handbuch der Kulturwissenschaften“ darauf hingewiesen, dass die Mediävalismus-Forschung, gerade in Deutschland, noch am Anfang stehe. Hier geht es noch um Selbstvergewisserung der eigenen Arbeit und ihrer Prämissen. Ganz anders sieht es im angloamerikanischen Sprachraum, vor allem in Großbritannien, aus; hier ist „medievalism“ schon lange ein etabliertes Forschungsfeld in den historischen ebenso wie in den Literaturwissenschaften.
Dabei stehen aber weniger die epistemologischen und geistesgeschichtlichen Herausforderungen des Mittelalters als vielmehr seine populären Repräsentationen und deren Auswirkungen auf das populäre Verständnis von Geschichte und Gegenwart im Mittelpunkt. Es geht also in einem sehr greifbaren Sinn um die Bildung von Geschichtsbewusstsein als Teil von Geschichtskultur, wie sie sich in Sachbüchern („pop-science“) oder Museen, aber auch in Filmen, Spielzeug, Romanen und Mittelaltermärkten artikuliert.
Der museale Aspekt spielt dabei insofern eine gewichtige Rolle, als sich durch das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Präsentieren und Vermitteln der Relikte von Alltagskultur der Vergangenheit in Museen natürliche Schnittmengen zwischen Wissenschaft, populären Mittelalterbildern und „Mittelalter-Szene“ ergeben. Den Einfluss, den museale Präsentation im Allgemeinen sowie als Lernort im Besonderen auf das Geschichtsbewusstsein der Öffentlichkeit ausüben kann, gilt es dabei konstruktiv von Seiten der Mediävistik, der Geschichts- und Museumsdidaktik sowie der „Mittelalter-Szene“ zu nutzen. Aus diesem Grund findet die Tagung im Ersten Zentrum für experimentelles Mittelalter in Deutschland statt, das am Museum im Zeughaus Vechta beheimatet ist und sich bewusst als eine solche Schnittstelle versteht.
Die Tagung will die oben umrissenen Impulse aufgreifen und sich grundlegend mit geschichtskulturellen, vor allem auch populären Repräsentationen und Rekonstruktionen des Mittelalters auseinandersetzen. Dabei werden nicht nur Vertreter der Wissenschaft, sondern auch Akteure der so genannten, aber nie inhaltlich konturierten „Mittelalter-Szene“ an einen Tisch gebeten. Einen solchen Dialog anzustoßen, verspricht ausgesprochen fruchtbar zu werden, wenn nicht langfristig notwendig: Weder will die Wissenschaft sich den Interessen populärer Geschichtskultur verschließen noch kann eine vom wissenschaftlichen Diskurs vollkommen losgelöste, im Grunde rein virtuelle Geschichtslandschaft langfristig glaubhaft bleiben. Letztlich geht es dabei also darum, ein Feld gesellschaftlich-kultureller Realität gemeinsam sowohl wissenschaftlich als auch didaktisch fruchtbar zu machen und perspektivisch institutionell zu verorten.
Begleitet wird die Tagung von der Eröffnung einer Ausstellung „Mein, dein, unser Mittelalter“, die Bochumer Studierende für das Museum im Zeughaus vorbereitet haben und in der "das Mittelalter" als integraler Bestandteil populärer Geschichtskultur vom Kino über Musik, Literatur, Kunst bis hin zum Re-enactment beleuchtet wird.