Protokoll und Modul als Kulturtechniken

Protokoll und Modul als Kulturtechniken

Veranstalter
Institut für Medienwissenschaft, Universität Basel; Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie, Weimar; AG „Medien und anthropologisches Wissen“, Mercator-Forschergruppe „Räume anthropologischen Wissens“, Ruhr-Universität Bochum; Verantwortlich: Christoph Engemann, IKKM Weimar; Jun.-Prof. Dr. Anna Tuschling, Ruhr-Universität Bochum; Matthias Wittman, Universität Basel; Prof. Dr. Ute Holl, Universität Basel
Veranstaltungsort
IKKM - Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.05.2010 - 22.05.2010
Von
Christoph Engemann

Module und Protokolle haben quasi universelle Verbreitung gefunden und entfalten nahezu überall strukturierende und formierende Wirkung: Computer kommunizieren über Protokolle, genau wie diplomatische Begegnungen unter diesem Begriff koordiniert werden. Studiert wird nach Bologna im Modulprozess, wie auch Raumstationen und Möbel aus modularisierten Komponenten bestehen.

Angesichts der Reichweite und Adaptierung von Protokollen und Modularisierung quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche kann hier mit Recht von Schlüsselbegriffen gesprochen werden. Dessen ungeachtet ist in den Medienwissenschaften eine fundierte Auseinandersetzung mit Protokoll und Modul bislang ausgeblieben, wenn man von Alexander Galloways wichtigem, aber unbefriedigend bleibendem Buch „Protocol – How Conrol Exists after Decentralization“ absieht.

Die Tagung soll untersuchen, wie diese Techniken im Sinne einer Diskretisierung und Verschaltung funktionieren und somit der Herstellung abgrenzbarer Zustände und ihrer Verkopplung dienen. Sowohl Protokolle als auch Module generieren austauschbare Einheiten, operieren dabei trennend und verbindend zugleich. Protokollen und Modularisierungsprozessen ist es gemein, dass sie ihre Inhalte spezifischen Formen unterwerfen und dabei auf die Selbstbeschreibung der jeweiligen Einheiten abstellen. Diese Selbstbeschreibungen organisieren das Wissen zum einen nach Innen, formatieren es zum anderen auch nach Außen. Sie stellen Anschlussfähigkeit her, formen Erwartbarkeiten und Stetigkeiten. Module als Standardeinheiten verlangen nach Protokollen, auch um sie wiederholbar, einsetzbar und mithin verwaltbar zu machen. Die Relation von Protokoll und Modul könnte als arbeitsteilig bezeichnet werden, verfertigt modulare Logik schließlich diejenigen verarbeitbaren Einheiten, welche der Protokollierung unterliegen. Protokolle und Module unterstehen einer komplexen Zeitlichkeit, schon allein aufgrund ihrer Eigenart, wiederholbar sein zu müssen und zukünftigem Handeln vorzugreifen. Eben diese Wirkungen und ihre Schauplätze sollen anhand exemplarischer Beispiele aus Diplomatie und Internet, Logistik und Bildungspolitik, Filmpraxen und Selbsttechniken Gegenstand der Tagung sein. Hierbei sind synchrone und diachrone Zugänge vorgesehen, welche zum Einen die Genealogien der Kulturtechniken Modul und Protokoll exemplarisch aufzeigen, zum Anderen versuchen, ihren Stellenwert medientheoretisch zu fassen.

Organisatorisch sind drei Panel an zwei Tagen mit zwei Vorträgen und jeweils einem Gastvortrag geplant. Am Nachmittag des zweiten Tages findet dann eine abschließende Zusammenführung der Ergebnisse in einem gemeinsamen Panel statt.

Sektion 1: Traumprotokolle - Das Kino als futur antérieur
(verantwortlich: Ute Holl, Matthias Wittmann)

Unter futur antérieur lässt sich die Zeit des Unbewussten verstehen, eine Nicht –Zeit zwischen den Spiegeln gewissermaßen, insofern das Subjekt sich darin konstituiert als etwas, das es für diejenige oder denjenigen gewesen sein wird, die oder der es im Begriff steht zu werden: jedenfalls ein/e andere/r. Das lässt sich nicht nur für den psychoanalytischen Prozess, sondern auch für Kinowahrnehmung zeigen, wo nicht erinnert wird, sondern das Gedächtnis umgeschrieben.

Die Protokolle der Psychoanalyse hinken sowohl dem Film als auch dem Unbewussten – als beharrlichster Technologie des Protokollierens – hinter her. Wurde doch die Filmtechnik nicht nur als Möglichkeit gefeiert, der Welt ihr Gesicht zurückzugeben (Balázs), sondern auch als Kunstform, die als einzige mit der „Raschheit“ und „Sprunghaftigkeit“ unseres „Vorstellungsvermögens“ (Andreas-Salomé) mithalten könne. Der Traum vom mind screening und mind recording ist ein ständiger Begleiter des Films und seiner Theorie. Jeden Inhalt von „Mind“, Traum, Seele, Wahrnehmung jedoch wird es immer erst nachträglich und retroaktiv – im Protokoll – gegeben haben.

Sektion 2: Zu Architektur und Geschichte modularer Einheiten
(verantwortlich: Anna Tuschling)

Die Bezeichnung „Modul” verstreute sich in unterschiedliche Felder von der Baukunst, Datenverarbeitung, Festigkeitslehre über die Kognitionswissenschaft bis hin zur Musik und Mathematik, lange bevor sie durch Bildungspolitiken gesamtgesellschaftliche Tragweite bekam. Solch genuine Interdisziplinarität des Moduls verweist auf den grundlegenden Charakter von Modularisierung, ohne ihn jedoch zu explizieren. Hier setzt die Sektion an und will wesentliche Züge dieser kulturtechnischen Basalleistungen aus historischer und systematischer Perspektive darstellen. Modularisierung umgreift nicht nur die Differenzierung, Fragmentierung und Parzellierung von Arbeitsabläufen und Dingen bis zu Lauten, sondern ebenso das System ihrer nachträglichen Re-Kombinierbarkeit. Deshalb fragt die Sektion sowohl nach der Vorgeschichte zeitgenössischer Modularlogik, wie sie auch wichtige Unterschiede zwischen Modultypen eruiert. Zwar können Backstein wie Buchstabe als Modul gelten, doch zeigen sie verschiedene Verweismöglichkeiten auf, sie verkörpern mithin divergierende Kombinationsordnungen. Mittels eines solchermaßen geschärften Modularisierungsbegriffs, welcher insbesondere Sprachordnung und Dingströme zu verschalten sucht, wird Modularisierung als ein Motor der Globalisierung aufgefasst.

Sektion 3: Protokolle als Medien des Dazwischen - Staaten und Rechner
(verantwortlich: Christoph Engemann)

Protokolle erscheinen überall dort, wo keine souveräne Macht die Verkehrsregeln bestimmt, sie erscheinen im Dazwischen. Historisch erschienen Protokolle im Dazwischen von Staaten – am Ort der Begegnung zweier souveräner Mächte, die wechselseitig die Macht des Anderen nicht über sich selbst anerkennen. Das Zwischenstaatliche ist das Dazwischen schlechthin.

Digitale Protokolle erscheinen im Dazwischen von Turingmaschinen. Keine CPU soll zentralistisch über andere CPUs herrschen, das Internet ist dezentral. Während innerhalb einer Turingmaschine dieselbe souverän über alle Zustände herrscht, kann sie anderen Turingmaschinen keine Befehle, sondern nur Zeichen ausgeben, die in deren Verarbeitung eingehen können. Mithin sind Protokolle Medien zwischen Systemen, die intern als souverän sich deklinieren und extern als Einheiten erscheinen, mit Grenzen, Schnittstellen und Übergabepunkten.

Die Sektion untersucht exemplarisch diplomatische und digitale Protokolle als Kulturtechniken der Souveränisierung und Autonomisierung. Als Formate der vorausgreifenden Indexalisierung von erwartbaren Ereignissen, der Koordination von Kommunikation und des Stiftens von Gemeinsamkeit bei Erhalt von Differenz sollen Protokolle in ihrer Stellung in den gouvernemedialen Politiken der Selbstorganisation und Selbständigkeit ausgewiesen werden.

Programm

Freitag 21.05.2010

14:30 Begrüßung und einleitende Worte

Sektion 1: Traumprotokolle - Das Kino als futur antérieur

15:00 Ute Holl (Basel): „Das Kino als futur antérieur“
15:45 Matthias Wittmann (Basel): „Adornos Traumprotokolle“

16:30 Kaffeepause

17:00 Eva Schobel (Wien): „Albert Drach oder das Protokoll als Wille und Vorstellung “

18:00 Abendessen

Samstag 22.05.2010

Sektion 2: Zu Architektur und Geschichte modularer Einheiten

10:00 Anna Tuschling (Bochum): „Kognitive Komponenten. Modularisierung von ihren Anfängen zu den Wissenschaften“
10:45 Alexander Klose (Weimar): „Der Container - eine standardisierte Ladeeinheit“

11:30 Kaffeepause

11:45 Monika Dommann (Basel): „Umstapeln. Hochstapeln. Plädoyer für eine Geschichte der Distribution“

12:30 Mittagessen

Sektion 3: Protokolle als Medien des Dazwischen - Staaten und Rechner

14:00 Tobias Nanz (Gießen): „Protokolle der Krise“
14:45 Christoph Engemann (Weimar): „Digitales Protokoll als postinstitutionelles Dispositiv des ‘Self-everything’“

15:30 Kaffeepause

15:45 Falko Schmieder (Berlin): „Vom Ornament der Masse zur Modularisierung des Wissens. Bausteine für eine Konzeptgeschichte von Normierungsverfahren“

16:30 Abschlusspanel

17:15 Abreise

Kontakt

Christoph Engemann

IKKM Weimar, Cranachstr. 47
99421 Weimar
+49 3643 - 58 4032

christoph.engemann@uni-weimar.de

http://www.ikkm-weimar.de/
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Deutsch
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