Die Entgrenzung der Kunstgeschichte. Eine Revision von George Kublers Schrift The Shape of Time // Dissolving the Boundaries of Art History. A Revision of George Kubler's The Shape of Time

Die Entgrenzung der Kunstgeschichte. Eine Revision von George Kublers Schrift The Shape of Time // Dissolving the Boundaries of Art History. A Revision of George Kubler's The Shape of Time

Veranstalter
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln; Bereich Wissenschaft, Kunsthochschule für Medien Köln; in Kooperation mit dem Centrum für Postcolonial und Gender Studies (CePoG),Universität Trier und dem Kölnischen Kunstverein; Konzeption/Conception: Sarah Maupeu, Kerstin Schankweiler, Stefanie Stallschus
Veranstaltungsort
Kölnischer Kunstverein, Die Brücke, Hahnenstraße 6, 50667 Köln
Ort
Köln/Cologne (Germany)
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.05.2010 - 09.05.2010
Von
Sarah Maupeu

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Internationale Tagung
DIE ENTGRENZUNG DER KUNSTGESCHICHTE. Eine Revision von George Kublers Schrift /The Shape of Time/
07.–09. Mai 2010
Veranstaltungsort: Kölnischer Kunstverein, Die Brücke, Hahnenstraße 6, 50667 Köln

Im Jahr 1962 veröffentlichte der amerikanische Kunsthistoriker George Kubler den theoretischen Essay /The Shape of Time. Remarks on the History of Things/. Darin entwickelte er ein strukturalistisches Modell einer Historiographie von Kunst, das die kulturellen, zeitlichen und objektbezogenen Einschränkungen und Hierarchisierungen der bisherigen Kunstgeschichte in Frage stellte. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive handelt es sich bei dem Essay um eine innovative methodisch-theoretische Schrift der Kunstgeschichte, welche den eurozentristischen Blick zu überwinden versucht und einen explizit transkulturellen Ansatz verfolgt.

Kublers methodische Fragen besitzen auch heute noch ihre Gültigkeit und erhalten zudem eine neue Aktualität durch die gegenwärtig stattfindenden Erweiterungen der Kunstgeschichte um kulturwissenschaftliche, medienwissenschaftliche und postkoloniale Fragestellungen. In dieser Situation erscheint es lohnenswert, Kublers Theoriemodell einer Revision zu unterziehen, um den methodischen Debatten neue Anstöße zu geben. Die Tagung verfolgt das Ziel, Kublers Theoriemodell in einem interdisziplinären Rahmen kritisch zu überprüfen, methodisch weiter zu entwickeln sowie exemplarisch anzuwenden.

Es lassen sich vier thematische Felder von aktueller Relevanz benennen, die jeweils im Kontext der Kunstgeschichte diskutiert werden und so zur interdisziplinären Öffnung des Faches beitragen sollen.

Sektion 1: Formen in der Zeit
Kubler entwickelt seine Theorie vor dem Hintergrund der formanalytischen Tradition in der Kunstgeschichte, reformuliert diese aber in entscheidenden Punkten. Von Henri Focillon übernimmt er die Idee, dass die Formen als Kräfte in der Zeit lebendig sind und eine eigene Wirkungskraft besitzen. In der konsequenten Weiterführung dieses Gedankens Focillons verzichtet er auf die kunsthistorische Kategorie des Stils zugunsten der von ihm neu ins Spiel gebrachten Kategorie der Sequenz, die an keine synchrone oder teleologische Ordnung mehr gebunden ist. In dieser Sektion sollen die Neuerungen Kublers in seinem Verhältnis zur Wissenschaftstradition beleuchtet werden, um den Blick für die Vor- und Nachteile seines Modells zu schärfen. Zudem soll in der Sektion dem neu erwachten Interesse in den Geisteswissenschaften an der Form als medien-, kulturen- und epochenübergreifende Vergleichskategorie Rechnung getragen und das Modell der Sequenz anderen Form-Konzepten, wie beispielsweise dem Morphom, gegenüber gestellt werden.

Sektion 2: Zeitlichkeit und Geschichte
Anstelle der linearen Geschichtsvorstellung, die dem kunsthistorischen Stilbegriff zugrunde liegt, führt Kubler mit dem Modell der Sequenz eine neue diachrone Form der Zeitlichkeit ein. Insbesondere künstlerische Auseinandersetzungen mit Kublers Schrift haben einen wichtigen Beitrag zum Diskurs um Zeitlichkeit und Historizität geleistet, den es hier zu berücksichtigen gilt. Diese Perspektivverschiebung hat angesichts technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen an Relevanz gewonnen, denn die Erfahrung einer Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten hat sich durch die Digitalisierung der Medien und das World Wide Web noch verstärkt. Es stellt sich also zum einen die Frage, wie sich die Medienkunst (als „Zeitkunst“ par excellence) und die Medienkunstgeschichte heute zum Problem der Zeitlichkeit positionieren. Zum anderen werden in dieser Sektion die Zeitvorstellungen in der Kunstgeschichte überdacht. Die Diachronizität von Kublers Geschichtsmodells ermöglicht eine neue Kunstgeschichtsschreibung, die nicht mehr evolutionistischen Denkmodellen unterliegt. Mit Kubler kann ein teleologischer Begriff von Geschichte kritisch in den Blick genommen werden, der dem Fach immer noch (unbewusst) zugrunde liegt.

Sektion 3: Die Geschichte der Dinge und postkoloniale Perspektiven
Angesichts Kublers Orientierung an den artefaktgebundenen Wissenschaften (Kunstgeschichte, Ethnologie bzw. Kulturanthropologie und Archäologie) ist eine Auseinandersetzung mit seiner Schrift im Kontext der Material Culture Studies nahe liegend. Dinge oder Artefakte, die vom Menschen hergestellt oder geformt sind, machen mentale Dispositionen und ein kulturelles Verständnis des Menschen deutlich (in Kublers Worten: die Auseinandersetzung mit und die Lösung von Problemen). Kublers Abkehr vom Künstlersubjekt und seinem Geniestatus sowie eine Fokussierung auf die Objekte in ihrer Form und Materialität korrespondiert mit der in den Material Culture Studies verbreiteten Auffassung einer Aufwertung der Gegenstände als Akteure, die aktuell in der kulturwissenschaftlichen Forschung großen Anklang findet. Eine neue Perspektivierung Kublers leistet die Tagung also im Speziellen durch die Anknüpfung an gegenwärtige Diskurse zur Dingkultur, die seinem Ansatz Aktualität verleiht. Kubler im Kontext des erweiterten Dingbegriffs zu lesen, eröffnet nicht zuletzt neue Perspektiven für die Kunstgeschichte: Kubler hat sich als erster im Fach explizit mit Dingen beschäftigt und entwickelte die Idee einer von den Dingen her verstandenen Geschichte. Hiermit erweitert Kubler den kunsthistorischen Gegenstandsbereich nicht nur in Hinblick auf andere kulturelle Produktionen, die außerhalb des traditionellen Kunstbegriffs stehen, sondern auch hinsichtlich anderer Kulturen, die nicht unter dem westlichen Kunstverständnis subsummiert werden können. Hier knüpfen die Ansätze der Material Culture Studies direkt an postkoloniale Fragestellungen an.

Aus der Perspektive der Postcolonial Studies, vor deren Hintergrund Kublers Ansatz mit der Tagung erstmals verortet werden soll, ist insbesondere seine frühe Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst und den marginalisierten Bereichen der Kunstgeschichte von Bedeutung. In diesem Kontext erscheint Kublers Theorie als ein Versuch, über die basale Kategorie der Form eine Art universale Methodik für die Analyse von kulturellen Produktionen zu generieren, denn sie ist einerseits gegenstands- und medienübergreifend und andererseits transkulturell angelegt. Hier gilt es, Kublers Ansatz in Hinblick auf die massenmedialisierten Bildkulturen der globalisierten Welt weiterzuentwickeln und auch die Medienkunstgeschichte verstärkt mit postkolonialen Perspektiven in einen Dialog zu bringen.

Kublers Universalismus in der Methode muss selbstverständlich einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Diese Sektion soll vor allem zur Revision von Kublers Theorie in der aktuellen Auseinandersetzung mit einer möglichen transkulturellen Kunstgeschichte beitragen.

Sektion 4: Kubler angewendet
Kublers Modell der Sequenz als einer neuen Form systematischer Zeitlichkeit kann nicht nur eine Berücksichtigung außereuropäischer Kunstgeschichten bewirken, sondern bietet auch die Möglichkeit, die eigenen, europäischen Kunstgeschichten zu revidieren. Ausgehend von seiner Annahme, dass die Geschichte der Kunst vor allem die Geschichte von Problemen und ihren Lösungen ist, lassen sich statt einer linearen Entwicklung neue Bedeutungsketten bilden. Marginalisierte Bereiche der Kunst erhalten damit einen anderen Stellenwert und werden neuen Forschungsansätzen zugänglich. Die Beschäftigung mit künstlerischen Phänomenen, die nicht bestimmten Stilkonventionen entsprechen – oftmals als Produkte genialer Individuen außerhalb von Zeit und Raum betrachtet oder als minderwertige, nicht dem Stilideal entsprechende Randphänomene aus der Kunstgeschichte verdrängt –, könnte mit Kublers Sequenzmodell eine neue methodische Fundierung erfahren. Anstatt eine stilistische Einordnung vorzunehmen (ein mittlerweile ohnehin häufig hinterfragtes Verfahren), werden mit dem Problem als neuer Analysekategorie Problem-Lösungs-Ketten sichtbar gemacht. Das Modell der Sequenz bietet so einen neuen komparatistischen Ansatz: Da die Sequenzen springen und sich an unterschiedlichen Orten und Zeiten fortsetzen können, machen sie Phänomene über alle Disziplinen-, Medien- und Kulturgrenzen hinweg vergleichbar. Das Sequenzmodell ermöglicht folglich eine ahierarchische Verknüpfung europäischer und außereuropäischer Kunstproduktionen ebenso wie von sog. Hochkunst und Populärkultur. In dieser Sektion soll Kublers Theoriemodell für die Anwendung überprüft, aktualisiert und erweitert werden.

Diese Themenbereiche, die in Kublers methodischer Schrift angelegt sind und die mit der Tagung für die heutige Forschung produktiv gemacht werden sollen, sind auf das engste miteinander verknüpft und müssen deshalb nicht zuletzt in ihren Interdependenzen und Strukturanalogien fokussiert werden. Die Tagung wird deshalb die strukturellen Zusammenhänge zwischen Prozessen der Historisierung, der Inklusion und der Exklusion (von Kulturen, Gegenstandsbereichen etc.) in einem interdisziplinären Setting untersuchen.

Der Eintritt ist frei.
Um Anmeldung wird gebeten: kubler_tagung@web.de

Gefördert von:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
RheinEnergieStiftung
Ulmer Verein – Verband für Kunst und Kunstwissenschaften e.V.
Kulturamt der Stadt Köln
Philosophische Fakultät der Universität zu Köln
Zentrum für Vergleichende Europäische Studien (ZEUS)

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International Conference
DISSOLVING THE BOUNDARIES OF ART HISTORY. A Revision of George Kubler's /The Shape of Time/
May 7–9, 2010
Venue: Kölnischer Kunstverein, Die Brücke, Hahnenstraße 6, 50667 Köln (Germany)

In 1962, the American art historian George Kubler published his theoretical essay /The Shape of Time: Remarks on the History of Things/. In his book Kubler developed a structuralist model for a historiography of art in which he challenged the cultural, chronological, and object-related restrictions and hierarchizations having prevailed in art history so far. From an epistemological perspective, the essay is an innovative methodological-theoretical document of art history attempting to overcome the Eurocentric view and following an explicitly transcultural approach.

Not only have Kubler's methodological questions remained valid today – they have even become topical, with art history expanding to embrace issues of cultural sciences, media sciences, and postcolonial studies. Given these circumstances, it seems worthwhile to review Kubler's theoretical model in order to lend methodological debates new impetus. It is the aim of the conference to critiqually challenge Kubler's theoretical model on an interdisciplinary basis, to further refine it methodologically, and apply it by example.

Admission free.
Please register: kubler_tagung@web.de

Supported by:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
RheinEnergieStiftung
Ulmer Verein – Verband für Kunst und Kunstwissenschaften e.V.
Kulturamt der Stadt Köln
Philosophische Fakultät der Universität zu Köln
Zentrum für Vergleichende Europäische Studien (ZEUS)

Programm

FREITAG, 07. MAI 2010
13:30 Begrüßung/Opening
Anja NATHAN-DORN (Direktorin Kölnischer Kunstverein)
Ursula FROHNE (Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln)
Einführung/Introduction: Sarah MAUPEU (Köln), Kerstin SCHANKWEILER (Köln), Stefanie STALLSCHUS (Köln)

SEKTION 1: FORMEN IN DER ZEIT / FORMS IN TIME
14:15 Annamaria DUCCI (Florenz): To spatialize time is a faculty shared by snails and by historians: George Kubler and Henri Focillon
Respondenz/Discussant: Reinhard FÖRTSCH (Köln)
15:30 Kaffeepause/Coffee break
16:00 Thierry GREUB (Köln): Form und Morphom: Eine Entgrenzung der Kunstgeschichte?
Respondenz/Discussant: Reinhard FÖRTSCH (Köln)

SEKTION 2: ZEITLICHKEIT UND GESCHICHTE // TEMPORALITY AND HISTORY
17:15 Ellen K. LEVY (New York): Classifying Kubler: Between the Complexity of Science and Art
Respondenz/Discussant: Ursula FROHNE (Köln)
18:30 Pause/Break

19:00 Abendvortrag/Evening Lecture
Thomas REESE (New Orleans): George Kubler - The Craft of Art History
Moderation: Ursula FROHNE (Köln)

SAMSTAG, 08. MAI 2010
10:00 Avinoam SHALEM (München): Histories of Belonging and George Kubler’s Prime Object
Respondenz/Discussant: Philippe CORDEZ (Florenz)

SEKTION 3: DIE GESCHICHTE DER DINGE UND POSTKOLONIALE PERSPEKTIVEN/THE HISTORY OF THINGS AND POSTCOLONIAL PERSPECTIVES
11:15 Timo KAABI-LINKE (Berlin): Von Spielern zu Sammlern, oder was die Zeit übrig lässt. Kunstgeschichte unter der Voraussetzung der Gegenwärtigkeit der Signale
Respondenz/Discussant: Karin HARRASSER (Köln)
12:30 Mittagspause/Lunch break
13:30 Hans-Jörg RHEINBERGER (Berlin): Wissenschaftsgeschichte mit George Kubler
Respondenz/Discussant: Karin HARRASSER (Köln)
14:45 Kerstin SCHANKWEILER (Köln): Kubler postkolonial. Form als universale Kategorie einer transkulturellen Kunstgeschichtsschreibung
Respondenz/Discussant: Arnd SCHNEIDER (Oslo)
16:00 Kaffeepause/Coffee break

SEKTION 4: KUBLER ANGEWENDET/KUBLER APPLIED
16:30 Stefanie STALLSCHUS (Köln): Relationale Dinge. Das Experiment mit den Medien in der Kunst
Respondenz/Discussant: Katja HOFFMANN (Köln)
17:45 Jennifer von SCHWERIN (Albuquerque): Space-Time and Design in Maya Temple Architecture: An Application and Refinement of Kubler's Art Historical Approach
Respondenz/Discussant: Arnd SCHNEIDER (Oslo)

Abendprogramm/Evening program
19:15 Zhenia COUSO MARTELL: El Pidio Valdés (Performance)

SONNTAG, 09. MAI 2010
10:00 Itay SAPIR (Florenz/Paris): Claude Lorrain's Port Scenes: A Kublerian Case-Study?
Respondenz/Discussant: Philippe CORDEZ (Florenz)
11:15 Sarah MAUPEU (Köln): Die Sequenz als Instrument der Wissenschaftsgeschichte
Respondenz/Discussant: Jakob VOGEL (Köln)
12:30 Mittagspause/Lunch break
13:00 Impulsreferate/Concluding remarks: Katharina NIEMEYER (Köln), Viktoria SCHMIDT-LINSENHOFF (Trier)
Abschlussdiskussion/Final discussion

Kontakt

Kunsthistorisches Institut, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln

Tel.: 0049-(0)221-470-2362
Fax: 0049-(02)21-470-5044
Mail: kubler_tagung@web.de

www.uni-koeln.de/kubler