"Ein Exzeß der Befreiung der Frau"? Terrorismus, Geschlecht und Gesellschaft in den 1970er Jahren in transnationaler und interdisziplinärer Perspektive

"Ein Exzeß der Befreiung der Frau"? Terrorismus, Geschlecht und Gesellschaft in den 1970er Jahren in transnationaler und interdisziplinärer Perspektive

Veranstalter
Andreas Schneider, Justus-Liebig-Universität Gießen; Research Area 7 des International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC), Justus-Liebig-Universität Gießen; Irene Bandhauer-Schöffmann, Universität Wien / Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Veranstaltungsort
Senatssaal der Justus-Liebig-Universität Gießen
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.01.2010 - 29.01.2010
Deadline
25.01.2010
Website
Von
Andreas Schneider

Seit den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 erfreut sich die internationale Terrorismusforschung anhaltender Konjunktur. So hat etwa in den letzten Jahren in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF) nachhaltig das Interesse der Wissenschaft, mehr aber noch der Publizistik, auf sich gezogen. Hierbei fällt jedoch auf, dass die Forschung der Kategorie Geschlecht bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat und die Erkenntnisse der Geschlechterforschung bislang für die Analyse des Terrorismus kaum genutzt wurden.

Dieser Befund überrascht angesichts des hohen Mitgliederanteils von Frauen in linksterroristischen Gruppen, der in den 1970er Jahren massive Verstörungen und Verunsicherungen evozierte, sowie durchgängig vergeschlechtlichten Sicherheitsdiskursen, innerhalb derer das Phänomen Terrorismus mit "pervertierter" Frauenemanzipation verknüpft wurde. Zumeist wurden Terroristinnen als "Terror-Amazonen" oder "Flintenweiber" beschrieben, und die Suche nach den Ursachen für das gewaltsame Engagement von Frauen bestimmte die öffentlichen Debatten. Dies verweist darauf, dass die physische Gewaltausübung durch Frauen etwa bei Bombenattentaten oder gezielten Mordanschlägen keineswegs nur als Verstoß gegen die Rechtsnorm oder als Kriegserklärung an den Staat und die kapitalistische Ordnung begriffen wurde, sondern gleichsam für die Zeitgenossen und -genossinnen einen massiven Angriff auf die vermeintlich natürliche Ordnung der Geschlechter bedeutete.

Jedoch soll im Rahmen der Tagung eine Reproduktion des zeitgenössischen Diskurses, der Geschlecht weitgehend mit "Weiblichkeit" gleichsetzte und vornehmlich das als "deviant" wahrgenommene Verhalten von Terroristinnen in den Blick nahm, vermieden werden. Vielmehr gilt es, eine männergeschichtliche Erweiterung der Perspektive, die ebenfalls ein dringendes Desiderat der Terrorismusforschung darstellt, vorzunehmen. Es ist daher ein wesentliches Ziel der Tagung, auch die (medialen) Repräsentationen männlicher Angehöriger terroristischer Gruppierungen zu analysieren und danach zu fragen, in welchem Spannungsverhältnis sich diese Selbst- und Fremdzuschreibungen zu hegemonialen Männlichkeitskonzepten befanden.

Von „langen 1970er Jahren“ ausgehend, welche die Zeit zwischen den späten 1960er und mittleren 1980er Jahren umspannen und in der aktuellen zeithistorischen Forschung gleichermaßen als allgemein- wie auch geschlechterhistorische „Satteldekade“ (Adelheid von Saldern) debattiert werden, beabsichtigt die Tagung eine vertiefte Diskussion des Verhältnisses von Geschlechterordnung und Terrorismus vorwiegend in transnationaler sowie interdisziplinärer Perspektive.

Um eine Anmeldung bis zum 25. Januar 2010 bei Andreas Schneider (andreas.schneider@zmi.uni-giessen.de) wird gebeten.

Programm

Donnerstag, 28. Januar 2010

13.15 Uhr
Begrüßung: Irene Bandhauer-Schöffmann (Wien/Klagenfurt), Andreas Schneider (Gießen), Frank Bösch (Gießen)

13.30 Uhr:
Einführung: Andreas Schneider (Gießen)

13.45-16.45 Uhr
Panel 1: Terrorismus und die Ordnung der Geschlechter in printmedialen Darstellungen
Moderation: Christoph Hilgert (Gießen)

Sylvia Schraut (München): "Weichei-Macho und Terroristen-Mutti". Terroristenbilder, Deutungsversuche und Geschlechterstereotypen in der Presse in ihrer historischen Entwicklung

Clare Bielby (Hull): "Nestbeschmutzerinnen"? The Violent Women of the 1960s and 1970s West German Print Media

Hanno Balz (Lüneburg): Feindbilder von der "bewaffneten Frau": Mediale Darstellungen von RAF und Weather Underground

15.00-15.30 Uhr: Kaffeepause

Eva Maria Modrey (Gießen): "Die Welt empört. Die Mörder feiern. Die Bundesrepublik gedemütigt." Mediale Konstruktion von Männlichkeit bei dem terroristischen Attentat in München 1972

Kommentar: Frank Bösch (Gießen)

16.45-17.15 Uhr: Kaffeepause

17.15-19.30 Uhr
Panel 2: Filmische Darstellungen von Terrorismus und Geschlecht
Moderation: Caroline Rothauge (Gießen)

Jan Henschen (Erfurt/Weimar/Jena): Der Terrorist, der Mann, der Kinoheld. Eine deutsch-französische Asynchronie über Vorbilder und Nachleben

Todd Goehle (Binghamton, NY): "What type of man sees red?" Death Wish, transnational publics, and gendered solutions for West German criminality and terror

Till Knaudt (Bochum): Emanzipation aus der Badewanne oder Eifersuchtsmord? Der japanische Film "Die Vereinigte Rote Armee" im Vergleich mit dem "Baader-Meinhof-Komplex"

Kommentar: Hedwig Wagner (Gießen)

19.30 Uhr: Gemeinsames Abendessen

Freitag, 29. Januar 2010

9.00-12.00 Uhr
Panel 3: Terrorismusbekämpfung und Geschlechterordnung -
Reaktionen des Staates
Moderation: Patricia Melzer (Philadelphia, PA)

Gisela Diewald-Kerkmann (Bielefeld): Herausforderung der bundesdeutschen Justiz: Terroristinnen vor Gericht

Dominique Grisard (Basel): Terrorismus als Regierungstechnik: Eine Geschlechteranalyse des Linksterrorismus in der Schweiz, 1970-1983

Irene Bandhauer-Schöffmann (Wien/Klagenfurt): Eine Verführung österreichischer Studenten durch "deutsche Terrordamen"? Terrorismusbekämpfung in Österreich

10.15-10.45 Uhr: Kaffeepause

Vojin Saša Vukadinović (Berlin): Spätreflex und Indifferenz. Über das Fortleben und den Umgang mit antifeministischer Geschichte. Zwei Fallstudien

Kommentar: Dirk van Laak (Gießen)

12.00-13.15 Uhr: Mittagspause

13.15-15.15 Uhr
Panel 4: Vergeschlechtlichte (Selbst-)Stilisierungen des Terrorismus
Moderation: Andreas Schneider (Gießen)

Katharina Karcher (Warwick): Femininity as camouflage – gendered performances during the liberation of Andreas Baader in May 1970

Annette Vowinckel (Potsdam): Leila Khaled und Souhaila Andrawes: Kulturelle Codierungen im Kontext der bundesdeutschen Palästinasolidarität

Olaf Gätje (Gießen): Vul(v)arismen: Zur Konventionalität und Iterativität vulgärer Bezeichnungen von 1968 bis heute

Kommentar: Hubertus Büschel (Gießen)

15.15-15.45 Kaffeepause

15.45-17.15
Panel 5: Das Geschlecht des Terrorismus in literarischen
Verarbeitungen
Moderation: Norman Ächtler (Gießen)

Wolfram Ette (Bielefeld/Chemnitz): Hamlet-Ophelia. Ein deutscher Terrorist

Kirsten Prinz (Gießen): Literarische Erinnerungen an die RAF. Zum Verhältnis von Genderinszenierungen und Terrorismusdeutungen bei Elfriede Jelinek, Michael Wildenhain und Leander Scholz

Kommentar: Anja Schwarz (Konstanz/Gießen)

17.15 Ende der Tagung

Kontakt

Andreas Schneider

Zentrum für Medien und Interaktivität, Universität Gießen
Ludwigstraße 34, 35390 Gießen

andreas.schneider@zmi.uni-giessen.de